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BAG, Urteil vom 15. Februar 2005 – 9 AZR 116/04 

§ 612a BGB, § 111 BetrVG, § 112 BetrVG, Art 27 BGBEG, Art 30 BGBEG, § 17a GVG, § 20 GVG, § 23 ZPO, § 322 ZPO

Ein Anspruch ergibt sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz.

a) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben sich die Vereinigten Staaten weder kollektivrechtlich noch auf Grund einer einzelvertraglichen Vereinbarung mit dem Kläger verpflichtet, an ihn wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes eine Abfindung zu zahlen. Es hat auch nicht festgestellt, dass die Vereinigten Staaten den SPP veröffentlicht oder praktiziert haben. Abfindungen wurden nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nur gezahlt, wenn der von der Sitzverlegung der Botschaft betroffene Arbeitnehmer keine Kündigungsschutzklage erhoben hat. Die Vereinigten Staaten behandeln mithin Arbeitnehmer, denen sie wegen der Verlegung des Sitzes der Botschaft von Bonn nach Berlin rechtswirksam aus betriebsbedingten Gründen gekündigt haben, unterschiedlich. Nur solche Arbeitnehmer, die gegen die Kündigung nicht gerichtlich vorgegangen sind, erhalten eine Abfindung nach Maßgabe des SPP, obgleich sie ebenso wie die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis gekündigt worden ist und die keine Kündigungsschutzklage erhoben haben, ihren Arbeitsplatz verlieren. Diese Gruppenbildung ist sachlich gerechtfertigt.

b) Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, gleich zu behandeln. Der Arbeitgeber verletzt diesen Grundsatz, wenn sich für die unterschiedliche Behandlung kein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund finden lässt (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 15. November 1995 – 4 AZR 489/94 – AP BAT §§ 22, 23 Lehrer Nr. 44 = EzBAT BAT §§ 22, 23 M. Lehrer Nr. 27) . Bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers heißt das, dass der Arbeitgeber die Leistungsvoraussetzungen so abzugrenzen hat, dass Arbeitnehmer des Betriebes nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden (BAG 11. August 1992 – 1 AZR 103/92 – BAGE 71, 92) . Der Arbeitgeber ist grundsätzlich frei, den Personenkreis abzugrenzen, dem er freiwillige Leistungen zukommen lassen will, also Gruppen zu bilden, wenn diese Gruppenbildung nicht willkürlich, sondern sachlich gerechtfertigt und rechtlich zulässig ist. Die sachliche Rechtfertigung dieser Gruppenbildung kann nur am Zweck der freiwilligen Leistung des Arbeitgebers gemessen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 5. März 1980 – 5 AZR 881/78 – BAGE 33, 57) . Verstößt der Arbeitgeber bei der Gewährung freiwilliger Leistungen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch auf die vorenthaltene Leistung (BAG 25. November 1993 – 2 AZR 324/93 – BAGE 75, 143) .

c) Die von den Vereinigten Staaten geltend gemachten Zwecke, nämlich die Vermeidung von Kosten und Aufwand sowie der Gewinn an Planungssicherheit, rechtfertigen das Junktim zwischen Abfindung und Hinnahme der Kündigung. Die Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern, die keine Kündigungsschutzklage und denen, die eine solche Klage erheben, ist nicht sachfremd.

aa) Für einen Sachgrund spricht das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der frühzeitigen Klärung, ob das Arbeitsverhältnis ohne Durchführung eines Kündigungsschutzrechtsstreits beendet wird. Selbst ein aus Sicht des Arbeitgebers erfolgreiche Kündigungsschutzprozess ist mit erheblichen Kosten verbunden. Daran ändert die Kostentragungspflicht des Arbeitnehmers, der den Kündigungsschutzrechtsstreit verliert (§ 91 ZPO) nur wenig. In der ersten Instanz hat der Arbeitgeber die Kosten eines Prozessbevollmächtigten nämlich selbst zu tragen (§ 12a ArbGG). Zusätzlicher Aufwand an Zeit und Personal entsteht durch die gebotene Information der Prozessvertreter und die Sachbearbeitung in der Personalabteilung. Obsiegt der Arbeitnehmer aus prozessualen oder materiellrechtlichen Gründen, trifft den Arbeitgeber regelmäßig die Verpflichtung zur Zahlung des Annahmeverzugslohnes (§ 615 BGB, § 11 KSchG). Das Interesse des Arbeitgebers, diese Risiken durch Zahlung einer – freiwilligen – Abfindung zu vermeiden, liegt auf der Hand. Nur dann kann er gewiss sein, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund der Kündigung rechtlich beendet wird und den Personalvorgang mit Ablauf der Kündigungsfrist als abgeschlossen behandeln.

bb) Soweit das Landesarbeitsgericht unter Verweisung auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit von Sozialplänen (20. Dezember 1983 – 1 AZR 442/82 – BAGE 44, 364) den Ausschluss solcher Arbeitnehmer, die eine Kündigungsschutzklage erheben, als sachfremd ansieht, kann dem nicht zugestimmt werden. Der wegen einer Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG aufgestellte Sozialplan nach § 112 BetrVG darf Arbeitnehmer nicht ausschließen, wenn sie gegen die auf den Interessenausgleich zurückzuführende betriebsbedingte Kündigung gerichtliche Schritte einleiten, denn eine solche Vereinbarung überschreitet die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien. Der Sozialplan soll nach der ausdrücklichen Regelung in § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dem Ausgleich oder der Milderung der mit der Betriebsänderung verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Nachteile dienen. Die vom Bundesarbeitsgericht bejahte Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes beruht auf der Pflicht der Betriebsparteien, die Arbeitnehmer nach Recht und Billigkeit zu behandeln (§ 75 BetrVG). Da der Zweck eines Sozialplanes gesetzlich festgelegt ist, werden Arbeitnehmer unbillig, weil “funktionswidrig”, und insoweit gleichheitswidrig behandelt, wenn sie ebenso wie andere Arbeitnehmer auf Grund der Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz verlieren, im Gegensatz zu diesen aber die Kündigung nicht ungeprüft hinnehmen wollen.

cc) Besteht kein kollektivrechtlicher Anspruch des Arbeitnehmers, ist der Arbeitgeber grundsätzlich frei in der Bestimmung der Zwecke, die er mit einer bisher noch nicht vereinbarten freiwilligen Leistung (vgl. Senat 11. April 2000 – 9 AZR 255/99 – BAGE 94, 204, 206) verfolgen will. Das gilt auch für eine als “Abfindung” bezeichnete Leistung. Der Arbeitgeber muss sich nicht am Leitbild des § 112 BetrVG orientieren und die Abfindung ausschließlich zum Ausgleich oder Milderung der von der betriebsbedingten Kündigung betroffenen Arbeitnehmer bestimmen. Er ist befugt, die Zahlung von Abfindung als Steuerungsmittel einzusetzen, um die geplante und begonnene Betriebsänderung störungsfrei durchzuführen (vgl. BAG 8. März 1995 – 5 AZR 877/93 -) .

Es begegnet daher keinen Bedenken, wenn ein Arbeitgeber Abfindungen nur unter der Bedingung zusagt, dass der Arbeitnehmer gegen die Kündigung nicht gerichtlich vorgeht. Dass er die Höhe der freiwilligen Leistung “sozialplanähnlich” nach generellen Merkmalen bestimmt, macht den mit der Abfindung verfolgten Zweck entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht “sachfremd”. Der hier vertretenen Auffassung steht die Entscheidung des Zweiten Senats (BAG 25. November 1993 – 2 AZR 324/93 – BAGE 75, 143) nicht entgegen. Dort hatte der Arbeitgeber, anders als im hier anhängigen Rechtsstreit, mit der Abfindung ausschließlich den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Verlustes des Arbeitsplatzes bezweckt.

Schlagworte: Aktienrechtliche Grundlagen für alle Beteiligungsformen, Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz, Beteiligung an AG, Rechtlicher Rahmen für Beteiligung von Arbeitnehmern