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BFH, Beschluss vom 12.05.2009 – VII B 266/08

§ 115 Abs 1 Nr 1 FGO, § 115 Abs 1 Nr 2 FGO, § 115 Abs 1 Nr 3 FGO, § 76 Abs 1 FGO, § 69 AO, § 34 Abs 1 AO, § 41a Abs 1 EStG 2002

1. Ein GmbH-Geschäftsführer ohne Leitungsbefugnisse (sog. Titular-Geschäftsführer) kann selbst dann als Haftungsschuldner nach § 69 AO in Anspruch genommen werden, wenn in der finanziellen Krise der Gesellschaft die Geschäftsführung tatsächlich von anderen Personen, wie z.B. von Sanierungsexperten, wahrgenommen wird.

Dem Geschäftsführer obliegt als Mitgeschäftsführer der GmbH nach § 41a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes i.V.m. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und § 34 Abs. 1 AO die Pflicht zur fristgerechten Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer. Die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers entfällt nicht dadurch, dass die finanziellen Entscheidungen von einem Sanierungsbeauftragten und einem Generalbevollmächtigten getroffen worden sind und dass er selbst ohne deren Zustimmung keine Zahlungen hätte vornehmen können.

2. Ein Haftungsprivileg für den Geschäftsführer einer im Konzern eingebundenen GmbH ist grundsätzlich nicht anzuerkennen.

Nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen hat die Rechtsprechung eine Begrenzung der Haftung durch eine interne Verteilung von Aufgabenbereichen und eine dadurch bewirkte Einschränkung des Grundsatzes der Gesamtverantwortung zugelassen. Danach kommt einer internen Aufgabenverteilung eine haftungsbegrenzende Wirkung nur dann zu, wenn die nähere Ausgestaltung der Aufgabenzuweisungen vor Aufnahme der Geschäftsführertätigkeit klar und eindeutig schriftlich festgelegt worden ist (BFH-Entscheidung vom 4. März 1986 VII S 33/85, BFHE 146, 23, BStBl II 1986, 384). Allerdings können die zur Haftungsbegrenzung entwickelten Grundsätze auf andere Personen als Geschäftsführer, auch wenn diese Personen im Unternehmen oder im Konzern Leitungsfunktionen wahrnehmen, nicht übertragen werden (BFH-Urteil vom 10. Mai 1988 VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72). Schließlich lebt die uneingeschränkte Gesamtverantwortung wieder auf, wenn erkennbar wird, dass das Unternehmen in eine finanzielle Krise gerät (Senatsentscheidungen vom 13. März 2003 VII R 46/02, BFHE 202, 22, BStBl II 2003, 556, und vom 21. August 2000 VII B 260/99, BFH/NV 2001, 413).

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die vom Geschäftsführer vertretene Gesellschaft in einen Konzern eingebunden ist. Ein Haftungsprivileg für einen im Konzern tätigen Geschäftsführer ist daher nicht anzuerkennen. Mit der Pflichtenstellung des gesetzlichen Vertreters einer GmbH wäre eine uneingeschränkte Freistellung von der Erfüllung steuerlicher Pflichten –einschließlich etwaiger Überwachungspflichten– aufgrund der zwischen mehreren Unternehmen bestehenden Organisationsstruktur nicht zu vereinbaren (Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2005 VII B 57/05, BFH/NV 2006, 246).

Daraus folgt, dass ein GmbH-Geschäftsführer ohne Leitungsbefugnisse selbst dann nach § 69 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden kann, wenn die Geschäftsführung tatsächlich von anderen Personen, wie. z.B. von Sanierungsexperten, wahrgenommen wird. Auf die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung durch solche Personen darf ein Geschäftsführer –insbesondere in der finanziellen Krise des Unternehmens– nicht blind vertrauen. Auch darf er nicht jegliche Überwachung und Kontrolle der ordnungsgemäßen Erfüllung der Steuerentrichtungspflichten unterlassen. Ein Geschäftsführer, der sich in der von ihm vertretenen Gesellschaft oder im Unternehmensverbund nicht durchsetzen kann und sich an jeglicher Einflussnahme und an einer Kontrolle des Zahlungsverkehrs gehindert sieht, darf nicht untätig bleiben, sondern muss zur Vermeidung haftungsrechtlicher Konsequenzen von der Übernahme der Geschäftsführertätigkeit Abstand nehmen oder sein Amt niederlegen (Senatsbeschluss vom 5. März 1985 VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422). Etwas anderes gilt nur dann, wenn ihm etwa durch Bestellung eines Insolvenzverwalters die Verfügungsmacht entzogen worden ist.

Schlagworte: Haftung für Steuerschulden, Konzern, Sanierungsversuche, Schuldner, Titular- Geschäftsführer, Weisung der Gesellschafter