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BFH, Beschluss vom 14.07.2008 – VIII B 176/07

AO §§ 171, 175, 233a, 239; FGO §§ 69, 132, 155; ZPO § 572

1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass bei einer wiederholten Änderung der Steuerfestsetzung die Festsetzungsfrist für den gesamten Anspruch des Steuergläubigers auf Nachzahlungszinsen nicht abläuft, solange noch eine, wenn auch nur punktuell wirkende Änderung der Steuerfestsetzung zulässig ist. Teile des Zinsanspruchs unterliegen daher keiner gesonderten Teilverjährung

2. Nach § 69 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht auf Antrag des Steuerpflichtigen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Derartige Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung gewichtige Gründe gegen die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts erkennbar werden, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechts- oder Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 14. Februar 2006 VIII B 107/04, BFHE 212, 285, BStBl II 2006, 523, m.w.N.).

3. Nach der Rechtsprechung des BFH ist der Bindungswirkung des Grundlagenbescheids für den Folgebescheid unbedingte Geltung zu verschaffen. Wird etwa ein Grundlagenbescheid im Festsetzungsverfahren des Folgebescheids übersehen oder sonst unzutreffend im Folgebescheid ausgewertet, so gebietet die absolute Anpassungsverpflichtung, die Folgen der Versäumnisse bei Erlass eines geänderten Grundlagenbescheids vollständig zu beseitigen. Weil der geänderte Grundlagenbescheid die Suspendierung des früheren Grundlagenbescheids bewirkt, ist der Inhalt des geänderten Grundlagenbescheids der alleinige Maßstab für die Anpassung des Folgebescheids. Der Umfang der Änderung des Folgebescheids bestimmt sich also nicht nach dem Verhältnis der Änderung des Grundlagenbescheids zum vorausgegangenen Grundlagenbescheid (BFH-Urteil vom 29. Juni 2005 X R 31/04, BFH/NV 2005, 1749, m.w.N.).

4. In verjährungsrechtlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass einer weiteren Änderung des Folgebescheids als Folge der Änderung des unzutreffend ausgewerteten Grundlagenbescheids keine Teilverjährung im Umfang der Bindungswirkung des zunächst nicht richtig ausgewerteten –ersten– Grundlagenbescheids entgegensteht. Denn § 171 Abs. 10 AO bewirkt in seiner Funktion als verjährungsrechtliche Ergänzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (BFH-Urteile vom 12. August 1987 II R 202/84, BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318; vom 4. November 1992 XI R 32/91, BFHE 170, 291, BStBl II 1993, 425), dass der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer insoweit gehemmt ist, als die Folgesteuer auf einem Grundlagenbescheid beruht oder beruhen kann. § 171 Abs. 10 AO führt also nicht dazu, dass eine zunächst abgelaufene Festsetzungsfrist durch den Erlass von Grundlagenbescheiden im Umfang der von diesen ausgehenden Bindungswirkung stets wieder erneut in Lauf gesetzt würde. Solange und soweit in offener Feststellungsfrist ein Grundlagenbescheid, der für die Festsetzung der Steuer bindend ist, noch zulässig ergehen kann, ist der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Folgesteuer im Ausmaß der Bindungswirkung dieses Grundlagenbescheids gehemmt und wird diese Bindung durch § 171 Abs. 10 AO auf die Frist von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids ausgedehnt (BFH-Urteile in BFHE 150, 319, BStBl II 1988, 318, und in BFH/NV 2005, 1749). Ergeht also zulässigerweise ein geänderter Grundlagenbescheid, weil die Feststellungsfrist insgesamt oder jedenfalls punktuell noch offen war, dann ist die Folgesteuer allein nach Maßgabe des gesamten Inhalts des geänderten Grundlagenbescheids unter „Bereinigung“ früherer Auswertungsfehler zu ändern.

5. Einkommensteuerbescheid und Zinsbescheid stehen im Verhältnis von Grundlagenbescheid und Folgebescheid zueinander. Dies ergibt sich aus der akzessorischen Natur des Zinsanspruchs und der Regelung in § 233a Abs. 5 AO, die spezialgesetzlich die Korrekturvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verdrängt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. März 1998 I S 8/97, BFH/NV 1998, 1318; vom 23. Dezember 2002 IV B 13/02, BFH/NV 2003, 737; BFH-Urteil vom 18. Mai 2005 VIII R 100/02, BFHE 210, 1, BStBl II 2005, 735; Kögel in Beermann/Gosch, § 233a AO Rz 119; Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 233a Rz 41; Heuermann in HHSp, § 233a AO Rz 66; Baum in Koch/Scholtz, a.a.O., § 239 Rz 9/1).

6. Bei summarischer Prüfung ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Satz 3 AO die von § 233a Abs. 5 AO eingeräumten Korrekturmöglichkeiten verjährungsrechtlich ebenso absichern wollte wie er es mit § 171 Abs. 10 AO im Hinblick auf die Änderungsvorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO getan hat. Die Regelungskonzepte sind weitgehend identisch: Ergeht zulässigerweise ein Einkommensteueränderungsbescheid, weil die Steuerfestsetzungsfrist insgesamt oder punktuell noch nicht abgelaufen ist, dann ist im Ausmaß der Bindungswirkung des Einkommensteuerbescheids auch der Ablauf der Zinsfestsetzungsfrist durchgehend gehemmt. Es ist demnach nicht so, dass eine zunächst abgelaufene Zinsfestsetzungsfrist durch den Erlass von Einkommensteueränderungsbescheiden stets wieder erneut in Lauf gesetzt würde. Die durch Änderung der Steuerfestsetzung ausgelöste einjährige Zinsfestsetzungsfrist gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AO stellt sich damit als eine Art Auswertungsfrist nach dem Vorbild der Auswertungsfrist des § 171 Abs. 10 AO dar, die durch eine Änderung des Grundlagenbescheids ausgelöst wird. § 239 Abs. 1 Satz 3 AO verknüpft die Zinsfestsetzungsfrist mit der Einkommensteuerfestsetzungsfrist auf dieselbe Weise wie § 171 Abs. 10 AO die Festsetzungsfrist für die Folgesteuer mit der Feststellungsfrist für den Grundlagenbescheid verklammert.

Schlagworte: Ablaufhemmung, Bindungswirkung, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit, Festsetzungsfrist, Feststellungsfrist, Folgebescheid, Folgesteuer, Grundlagenbescheid, Hemmung, Steuerrecht