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BFH, Beschluss vom 18.08.1999 – VII B 106/99

§ 34 AO 1977, § 69 AO 1977, § 76 Abs 1 FGO

1. Ein grob fahrlässig handelnder Geschäftsführer haftet, nach § 69 AO 1977 grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben und seiner Pflicht, die Person sorgfältig auszuwählen, der er die Erledigung steuerlicher Angelegenheiten der GmbH und damit die Erfüllung seiner eigenen Pflichten überlässt, nachzukommen. Bei unterlassener Überwachung eines zur Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen Beauftragten kommt allerdings ein haftungsbegründendes, grob fahrlässiges Verhalten in der Regel nur dann in Betracht, wenn die Überwachungsmaßnahmen, zu deren Vornahme im Einzelfall Anlass bestanden hätte, auch geeignet gewesen wären, die Beanstandungen zu verhindern.

2. Ein Geschäftsführer hat diejenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm als Vertreter der Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten überträgt, laufend und sorgfältig bei der Durchführung der ihnen übertragenen Aufgaben zu überwachen. Insbesondere hat er sich ständig so eingehend über den Geschäftsgang zu unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann bzw. dass ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird. Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen ist regelmäßig eine grob fahrlässige Pflichtverletzung.

3. Auch wenn der als Haftungsschuldner in Betracht kommende Geschäftsführer einer GmbH im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht verpflichtet ist, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum zu erteilen (BFH-Urteil vom 11.07.1989 VII R 81/87), hat das FG im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung die erforderlichen Auskünfte z.B. bei dem auskunftspflichtigen Konkursverwalter einzuholen oder sich die dort befindlichen Buchführungsunterlagen der GmbH aushändigen zu lassen.

4. Hinsichtlich der Umsatzsteuer gehört die anteilige Befriedigung aller Gläubiger zu den elementaren Pflichten jedes Geschäftsführers (vgl. Senatsurteil vom 12. Mai 1992 VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785). Reichen die verfügbaren Mittel nicht zur Befriedigung aller Gläubiger, kann dies zur teilweisen Entlastung des Haftungsschuldners führen. Die Haftung ist auf die Höhe des Fehlbetrages beschränkt, in der der Geschäftsführer das FA im Verhältnis zu den anderen Gläubigern nicht anteilig befriedigt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 23. August 1994 VII R 134/92, BFH/NV 1995, 570, m.w.N.). Voraussetzung der Haftungsbeschränkung ist jedoch, daß der Haftungsschuldner anhand von aussagekräftigen Unterlagen und Aufzeichnungen bzw. Bankbelegen zur Aufklärung des Sachverhalts, in welchem Umfang die Gesellschaft Zahlungen an andere –private– Gläubiger geleistet hat, beiträgt. Auch wenn der als Haftungsschuldner in Betracht kommende Geschäftsführer einer GmbH im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht verpflichtet ist, die zur Feststellung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte über die anteilige Gläubigerbefriedigung im Haftungszeitraum zu erteilen (vgl. Senatsurteil vom 11. Juli 1989 VII R 81/87, BFHE 157, 315, BStBl II 1990, 357), hat das FG im Rahmen seiner Verpflichtung zur Sachaufklärung die erforderlichen Auskünfte z.B. bei dem auskunftspflichtigen Konkursverwalter einzuholen oder sich die dort befindlichen Buchführungsunterlagen der GmbH aushändigen zu lassen. Der Vorentscheidung ist indes zu entnehmen, daß bereits das FA zur Ermittlung der Haftungsvoraussetzungen eine gesonderte Prüfung bei der Gesellschaft durchgeführt und den Konkursverwalter um Auskünfte und Einsicht in Buchführungsunterlagen gebeten hat, ohne daß Aufzeichnungen für den Haftungszeitraum hätten vorgelegt werden können.

5. Bei der Inanspruchnahme eines nach den §§ 34, 69 AO 1977 Haftenden handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§ 191 Abs. 1 AO 1977), die in den Grenzen von § 102 FGO darauf zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 3. Februar 1981 VII R 86/78, BFHE 133, 1, BStBl II 1981, 493, und Senatsbeschluß in BFH/NV 1996, 589, 591).

Das FA hat bei summarischer Prüfung das ihm zustehende Entschließungsermessen sachgerecht betätigt. Die Behörde hat ausreichend zum Ausdruck gebracht, daß sie den Antragsteller als Haftungsschuldner deshalb in Anspruch genommen hat, weil eine Realisierung der Steuerrückstände bei der Steuerschuldnerin infolge der Eröffnung des Konkursverfahrens und auch bei der GmbH infolge der Ablehnung der Eröffnung eines Konkursverfahrens mangels Masse nicht mehr möglich ist.

Ermessenserwägungen hinsichtlich der Ausübung eines Auswahlermessens waren schon deshalb nicht veranlaßt, weil der Antragsteller als alleiniger Geschäftsführer der zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten der GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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KG
berufenen Komplementär-GmbH der einzige in Betracht kommende Haftungsschuldner ist.

Die Ermessensentscheidung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil das FA die Erkrankung und die finanziellen Verhältnisse des Antragstellers unberücksichtigt gelassen hat. Der Senat hat es in ständiger Rechtsprechung abgelehnt, im Rahmen der Betätigung des Auswahl- und Entschließungsermessens Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus der Größenordnung der Haftungsschuld im Vergleich zu den finanziellen Möglichkeiten oder aus dem Grad des Verschuldens des Haftungsschuldners ergeben. Aufgrund des Schadensersatzcharakters des Haftungsanspruchs ist es nicht gerechtfertigt, solche Billigkeitserwägungen bereits in der Entscheidung über den Erlaß eines Haftungsbescheides und in die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen einfließen zu lassen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. März 1995 VII B 172/94, BFH/NV 1995, 941, 943, und in BFH/NV 1996, 589, 591).

6. Auf sein eigenes UnvermögenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Unvermögen
, seinen Aufgaben als Geschäftsführer nachzukommen, kann sich niemand berufen (vgl. z.B. Entscheidungen des Senats vom 11. November 1986 VII R 201/83, BFH/NV 1987, 212, und vom 7. Mai 1985 VII R 111/78, BFH/NV 1987, 210). Wer den Anforderungen, die an einen gewissenhaften Geschäftsführer gestellt sind, nicht oder nicht mehr entsprechen kann, muß vielmehr von der Übernahme des Geschäftsführeramts absehen bzw. es niederlegen (vgl. Beschluß des Senats vom 5. März 1985 VII B 69/84, BFH/NV 1987, 422). Wer hingegen die Stellung eines Geschäftsführers übernommen hat, haftet, sofern ihm auch der Vorwurf persönlichen Verschuldens mindestens vom Grade grober Fahrlässigkeit gemacht werden kann, nach § 69 AO 1977 grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben und seiner Pflicht, die Person sorgfältig auszuwählen, der er die Erledigung steuerlicher Angelegenheiten der GmbH und damit die Erfüllung seiner eigenen Pflichten überläßt, nachzukommen. Bei unterlassener Überwachung eines zur Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen Beauftragten kommt allerdings ein haftungsbegründendes, grob fahrlässiges Verhalten in der Regel nur dann in Betracht, wenn die Überwachungsmaßnahmen, zu deren Vornahme im Einzelfall Anlaß bestanden hätte, auch geeignet gewesen wären, die Beanstandungen zu verhindern (vgl. Senatsurteil vom 27. November 1990 VII R 20/89, BFHE 163, 106, BStBl II 1991, 284).

Schlagworte: Amtsniederlegung, Begründung Ermessensausübung, Entschließungs- Auswahlermessen, Grundsatz der anteiligen Tilgung, Haftung für Steuerschulden, Haftung nach § 43 GmbHG, Innenhaftung, Mehrere Geschäftsführer, Passivlegitimation, Pflichtverletzung und Kausalität, Strohmann, Tilgungsquote, Überwachungsverschulden, Verschulden, Vollstreckung