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BFH, Urteil vom 01.08.2000 – VII R 110/99

§ 69 S 1 AO 1977, § 69 S 2 AO 1977, § 34 AO 1977, § 152 AO 1977, § 240 Abs 1 AO 1977

1. Nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des BFH beschränkt sich die Haftung nach § 69 Satz 1 AO 1977 dem Umfang nach auf den Betrag, der infolge der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet worden ist. Die Vorschrift hat somit Schadensersatzcharakter (vgl. BFH in BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859, 860; BFH-Urteil vom 5. September 1989 VII R 61/87, BFHE 158, 13, BStBl II 1989, 979, 980, sowie BFH-Beschluss vom 11. Juni 1996 I B 60/95, BFH/NV 1997, 7; Klein/ Rüsken, Abgabenordnung, 6. Aufl., § 69 Anm. 3; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 69 AO 1977 Rz. 17). Die Höhe der Haftung ergibt sich daher unabhängig vom Grad des Verschuldens grundsätzlich allein aus der Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den bei dem Fiskus eingetretenen Vermögensschaden. Danach ist die Haftung nach § 69 AO 1977 dem Umfang nach auf den Betrag beschränkt, der infolge der Pflichtverletzung nicht entrichtet worden ist (zur Kausalität vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1988 I R 129/83, BFH/NV 1989, 409, 410). Stehen zur Begleichung der Steuerschulden insgesamt ausreichende Mittel nicht zur Verfügung, so bewirkt die durch die schuldhafte Pflichtverletzung verursachte Nichterfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis die Haftung nur in dem Umfang, in dem der Verpflichtete das FA gegenüber den anderen Gläubigern benachteiligt hat (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile in BFHE 158, 13, BStBl II 1989, 979; vom 14. Juli 1987 VII R 188/82, BFHE 150, 312, BStBl II 1988, 172, und vom 17. Juli 1985 I R 205/80, BFHE 144, 329, BStBl II 1985, 702).

Diese zur Haftung nicht entrichteter Umsatzsteuer entwickelten Grundsätze gelten auch für die übrigen Steuern –mit Ausnahme der Lohnsteuer– und grundsätzlich auch für Nebenleistungen (vgl. BFH-Urteile vom 7. November 1989 VII R 34/87, BFHE 159, 106, BStBl II 1990, 201; vom 12. Mai 1992 VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785, zur Haftung für Körperschaftsteuer, und in BFHE 144, 329, BStBl II 1985, 702, betreffend die Haftung für Umsatzsteuer und inzident auch für Säumniszuschläge; s. auch FG des Saarlandes, Urteil vom 27. September 1990 2 K 14/86, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 1991, 294, für Säumniszuschläge; Prugger, GmbH-Geschäftsführerhaftung im Stichtagsprinzip, Deutsches Steuerrecht –DStR– 1988, 539; Spriegel/ Jokisch, Die steuerliche Haftung des GmbH-Geschäftsführers und der Grundsatz der anteiligen TilgungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Grundsatz der anteiligen Tilgung
, DStR 1990, 433).

Die gleiche rechtliche Beurteilung gilt auch, wenn es sich um festgesetzte, aber nicht entrichtete Verspätungszuschläge wegen verspäteter Abgabe von Lohnsteueranmeldungen handelt. § 69 Satz 1 AO 1977 lässt entgegen der Auffassung des FA hinsichtlich der Verspätungszuschläge wegen verspäteter oder nicht abgegebener Lohnsteueranmeldungen keinen gegenteiligen Schluss zu. Von dieser Vorschrift sind als Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis auch die Ansprüche des Staates auf Zahlung steuerlicher Nebenleistungen erfasst, die infolge der Pflichtverletzung der gesetzlichen Vertreter nicht verwirklicht werden konnten (vgl. § 69 Satz 1 i.V.m. § 37 Abs. 1 und § 3 Abs. 3 AO 1977; BFH-Urteil in BFHE 149, 125, BStBl II 1987, 363). Eine Differenzierung danach, zu welcher Steuerart die Verspätungszuschläge festgesetzt worden sind, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und ergibt sich auch nicht anderweit.

2. Der Geschäftsführer ist nicht verpflichtet, die Mittel der GmbH vorrangig –also vor Befriedigung anderer Gläubiger– zur Tilgung der Verspätungszuschläge zur Lohnsteuer einzusetzen. Anders lautende Erwägungen beruhen ersichtlich auf den für die Lohnsteuerhaftung maßgebenden Grundsätzen, wonach sich die Höhe der Haftungsschuld an der Verpflichtung des Arbeitgebers orientiert, von den Einkünften der Arbeitnehmer durch Abzug vom Arbeitslohn die Lohnsteuer einzubehalten und an das FA abzuführen (§§ 38, 41a EStG). Diese Abzugsteuern sind als treuhänderisch verwaltete Fremdgelder stets vorrangig vor sonstigen Verbindlichkeiten an das FA abzuführen. Demnach können etwaige Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft den Geschäftsführer nicht von seiner Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer befreien. Falls die zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen Löhne einschließlich des Steueranteils nicht ausreichen, darf der Geschäftsführer die Löhne nur gekürzt auszahlen und muss aus den übrig gebliebenen Mitteln die darauf entfallende Lohnsteuer an das FA abführen. Nach der Rechtsprechung des BFH handelt der Geschäftsführer zumindest grob fahrlässig, wenn er seiner Verpflichtung zur gleichrangigen Befriedigung der Arbeitnehmer hinsichtlich der Löhne und des FA wegen der darauf entfallenden Lohnsteuer nicht nachkommt (vgl. Urteile des BFH vom 29. Mai 1990 VII R 81/89, BFH/NV 1991, 283; in BFHE 153, 512, BStBl II 1988, 859; vom 6. März 1990 VII R 63/87, BFH/NV 1990, 756, und vom 20. April 1993 VII R 67/92, BFH/NV 1994, 142). Die Orientierung der Haftungssumme an den ausgezahlten Löhnen, auch bei Liquiditätsschwierigkeiten der Gesellschaft, rechtfertigt sich daraus, dass die abzuführende Lohnsteuer Teil des geschuldeten Bruttoarbeitslohnes ist, den der Arbeitgeber treuhänderisch für den Arbeitnehmer und den Steuergläubiger einzuziehen hat (vgl. Senatsurteil vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, BStBl II 1982, 521). Im Grunde handelt es sich bei den Lohnsteuerabzugsbeträgen um Fremdgelder, die die Liquidität der von dem Geschäftsführer vertretenen GmbH nicht berühren und deshalb zur Abführung an das FA bereitzuhalten sind.

Diese Grundsätze zur unbeschränkten Haftung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Haftung
Haftung des Geschäftsführers
in Höhe der angemeldeten, nach den geschuldeten Bruttolöhnen berechneten Steuerabzugsbeträgen können bei unzureichender Liquidität der Gesellschaft nicht auf den wegen der Nichterfüllung der Verpflichtung zur rechtzeitigen Anmeldung der Lohnsteuer festgesetzten Verspätungszuschlag übertragen werden. Für diesen Anspruch fehlt es an der den Lohnsteuerabzug prägenden unmittelbaren Verknüpfung zwischen der abzuführenden Steuer und den infolge des einbehaltenen Steueranteils jeweils verfügbaren Mitteln des Steuerschuldners (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776). Für die Verspätungszuschläge kommt daher die Beschränkung der Haftung nach den Grundsätzen zur anteiligen Tilgung in Betracht.

Schlagworte: Grundsatz der anteiligen Tilgung, Haftung für Steuerschulden, Lohnsteuer, Pflichtverletzung und Kausalität, übrige Steuern und Nebenleistungen, Verspätungszuschläge, Zahlungsmöglichkeit