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BFH, Urteil vom 12.07.2012 – I R 23/11

AO §§ 42, 351; BGB §§ 158, 397; EStG § 10d; FGO § 42; KStG § 8

1. Eine GmbH kann die Zahlung auf eine betrieblich begründete Gesellschafterforderung auch dann als Betriebsausgabe abziehen, wenn die Forderung zwischenzeitlich wertlos geworden war, der frühere Gesellschafter und Forderungsinhaber gegen Besserungsschein auf die Forderung verzichtet und die Besserungsanwartschaft später im Zusammenhang mit der Veräußerung des sog. GmbH-Mantels an einen der Erwerber veräußert hatte und sodann im Anschluss an eine Verschmelzung auf die GmbH der Besserungsfall eingetreten war (entgegen BMF-Schreiben vom 2. Dezember 2003, BStBl I 2003, 648, Nr. 2 Buchst. d; Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 1. Februar 2001 IV R 3/00, BFHE 194, 13, BStBl II 2001, 520).

2. Ein im Gesellschaftsverhältnis veranlasster Forderungsverzicht eines Gesellschafters führt jedoch zu einer Einlage (nur) in Höhe des Teilwerts der Forderung im Zeitpunkt des Verzichts; soweit die erlassene Forderung in diesem Zeitpunkt nicht (mehr) werthaltig war, bleibt es mithin bei der durch den Wegfall der Verbindlichkeit ausgelösten Gewinnerhöhung (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 9. Juni 1997 GrS 1/94, BFHE 183, 187, BStBl II 1998, 307; Senatsbeschluss vom 16. Mai 2001 I B 143/00, BFHE 195, 351, BStBl II 2002, 436).

3. Der betriebliche Charakter einer Verbindlichkeit beurteilt sich nach dem Entstehungsgrund der Verbindlichkeit und wird durch einen Wechsel in der Person des Gläubigers nicht berührt. Auch der Umstand, dass die Verbindlichkeit nach Eintritt der auflösenden Bedingung nicht rückwirkend, sondern „neu“ einzubuchen ist (vgl. Senatsurteile in BFHE 161, 87, BStBl II 1991, 588, und in BFHE 202, 74, BStBl II 2003, 768) beseitigt nicht den betrieblichen Veranlassungszusammenhang; es handelt sich materiell vielmehr nach wie vor um dieselbe Forderung (s. auch Gosch, KStG, 2. Aufl., § 8 Rz 627, m.w.N.).

4. Als missbräuchlich i.S. des § 42 AO a.F. könnte die Gestaltung nach den vom BFH entwickelten Kriterien dabei nur dann angesehen werden, wenn sie erstens im Hinblick auf das erstrebte Ziel unangemessen wäre, zweitens der Steuerminderung dienen sollte und drittens nicht durch beachtliche außersteuerliche Gründe gerechtfertigt würde (z.B. BFH-​Urteile vom 7. März 2001 X R 192/96, BFHE 196, 414, BStBl II 2002, 126; vom 11. März 2003 IX R 55/01, BFHE 202, 15, BStBl II 2003, 627; Senatsurteil vom 29. Januar 2008 I R 26/06, BFHE 220, 392, BStBl II 2008, 978; vgl. auch die jetzige Legaldefinition in § 42 Abs. 2 AO i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007, BGBl I 2007, 3150, BStBl I 2008, 218).

5. Die Anwendung des § 8 Abs. 4 KStG 1999 führt jedoch nicht zu einem Verbot des Betriebsausgabenabzugs im Hinblick auf das streitbefangene Gesellschafterdarlehen. Für die im BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 648 (Nr. 2 Buchst. d) vertretene Auffassung der Finanzverwaltung, der aus der Wiedereinbuchung der Darlehensverbindlichkeit nach Eintritt des Besserungsfalls resultierende steuerliche Aufwand unterfalle der beschränkten Verlustberücksichtigung nach § 8 Abs. 4 KStG 1999, wenn zwischen der Ausbuchung und der Wiedereinbuchung der Verbindlichkeit dessen Tatbestandsvoraussetzungen vorlägen, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage (ebenso Gosch/Roser, a.a.O., § 8 Rz 1480, § 8c Rz 101; Blümich/Rengers, § 8 KStG Rz 951; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/GewStG/UmwStG, § 8c KStG Rz 82; Dötsch in Gocke/Gosch/Lang, Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, Festschrift für Franz Wassermeyer, S. 113, 132 f.; Prinz, GmbHR 2004, 921, 928; Brendt in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 8 Abs. 4 aF/Anh § 8c Rz 218; Berg/Schmich, Finanz-Rundschau 2004, 520; Grube/Altrichter-Herzberg, GmbHR 2005, 284, 287; Hoffmann, Deutsches Steuerrecht 2004, 293, 295 f.; Pohl, DB 2008, 1531). Die Rechtsfolge des § 8 Abs. 4 KStG 1999 besteht nach dessen Wortlaut ausschließlich im Wegfall des Verlustabzugs nach § 10d EStG 1997. Die Passivierung einer bestehenden Verbindlichkeit ist aber etwas grundsätzlich anderes als die Verrechnung eines Verlustabzugs nach Maßgabe des § 10d EStG 1997. Die Wiedereinbuchung der Verbindlichkeit ist bilanziell auch nicht rückwirkend in der Weise zu vollziehen, als habe es den auflösend bedingten Verzicht nie gegeben und handele es sich letztlich um die Fortschreibung eines in der Vergangenheit eingetretenen Verlusts. Vielmehr ist die Verbindlichkeit nach Eintritt der auflösenden Bedingung –wie bereits ausgeführt– „neu“ einzubuchen (Senatsurteile in BFHE 161, 87, BStBl II 1991, 588, und in BFHE 202, 74, BStBl II 2003, 768).

6. Der Regelung des § 8 Abs. 4 KStG 1999 lässt sich keine grundsätzliche Wertentscheidung des Gesetzes entnehmen, die es über § 42 AO a.F. im Fall einer „schädlichen“ Anteilsübertragung ermöglichte, neben dem gesetzlich geregelten Ausschluss des Verlustabzugs nach § 10d EStG 1997 auch andere, dort nicht angesprochene Formen der „Verlustkonservierung“ als ausgeschlossen anzusehen.

7. § 8 Abs. 4 KStG 1999 bezweckt zwar in erster Linie, missbräuchlichen Gestaltungen vorzubeugen und in diesem Zusammenhang vor allem den Handel mit vortragsfähigen Verlusten zu unterbinden (Senatsurteil vom 14. März 2006 I R 8/05, BFHE 212, 517, BStBl II 2007, 602). Die Vorschrift abstrahiert und typisiert die Missbrauchsverhinderung durch die Ausgestaltung ihres Tatbestands indes in einer Weise, dass sie den „schädlichen“ Anteilserwerb auch dann sanktioniert, wenn im konkreten Fall eine missbräuchliche Gestaltung nicht vorliegt (vgl. Senatsurteile vom 24. November 2009 I R 56/09, BFH/NV 2010, 1123; vom 23. Februar 2011 I R 8/10, BFH/NV 2011, 1188). Wenn aber das Gesetz keine Handhabe dafür bietet, den Anwendungsbereich der Verlustabzugsbeschränkung zugunsten des Steuerpflichtigen teleologisch auf die Fälle zu beschränken, in denen es tatsächlich um den Handel mit Verlustvorträgen geht (Senatsurteil vom 20. August 2003 I R 81/02, BFHE 203, 424, BStBl II 2004, 614), dann kann der Vorschrift umgekehrt auch keine allgemeine Wertentscheidung dahingehend entnommen werden, dass infolge eines „schädlichen“ Anteilserwerbs nicht nur ein bestehender Verlustabzug nach § 10d EStG 1997 zum Wegfall kommen, sondern darüber hinaus auch Gestaltungen, die in anderer Weise als durch die Fortgeltung eines Verlustabzugs nach § 10d EStG 1997 zu einer Verlustkonservierung führen, zu neutralisieren sind. Um von einer „Umgehung“ des Gesetzes durch Gestaltungen wie die vorliegende sprechen zu können, müsste § 8 Abs. 4 KStG 1999 der Gesetzesbefehl entnommen werden können, im Vorfeld von „schädlichen“ Anteilserwerben vorhandene Verlustabzüge in größtmöglichem Umfang den Rechtsfolgen des § 8 Abs. 4 KStG 1999 zu unterwerfen. Diese Folgerung würde dem Gehalt der Vorschrift jedoch nicht gerecht.

8. Denn nach ständiger Rechtsprechung steht es dem Steuerpflichtigen im Grundsatz frei, seine Verhältnisse im Rahmen des rechtlich Zulässigen so einzurichten, dass sich für ihn eine möglichst geringe Steuerbelastung ergibt (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 42 AO Rz 39, m.w.N.). Er kann deshalb von mehreren zur Verfügung stehenden rechtlichen Gestaltungsformen regelmäßig die für ihn steuerlich günstigste wählen (BFH-Urteile vom 16. März 1993 XI R 45/90, BFHE 171, 122, BStBl II 1993, 530; vom 8. Juli 2003 VIII R 43/01, BFHE 203, 65, BStBl II 2003, 937). Missbräuchlich kann eine Gestaltung nur dann sein, wenn das Gesetz für das Erreichen eines bestimmten Ziels erkennbar eine andere Gestaltung als typisch voraussetzt und die Vermeidung dieser anderen Gestaltung der Steuerumgehung dient (vgl. BFH-Urteile vom 6. März 1990 II R 88/87, BFHE 160, 57, BStBl II 1990, 446; vom 13. November 1991 II R 7/88, BFHE 166, 180, BStBl II 1992, 202).

Schlagworte: Abtretung, Anteilsübertragung, Besserungsanwartschaft, betriebliche Veranlassung, Betriebsausgabe, Forderungsverzicht, Gesellschafterforderung, Gesellschaftsverhältnis, Gestaltungsmissbrauch, GmbH, Mantel-GmbH, Mantelkauf, Steuerrecht, Teilwert, Verlustabzug, Verlustabzugsbeschränkung, Verlustkonservierung