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BFH, Urteil vom 15. April 2015 – I R 44/14

§ 5 Abs 2a EStG 2002, § 158 AktG, § 247 Abs 1 HGB, § 252 Abs 1 Nr 2 HGB, § 252 Abs 1 Nr 4 HGB, § 268 Abs 1 HGB, § 275 Abs 4 HGB, § 4 Abs 1 S 5 EStG 2002, § 8 Abs 1 S 1 KStG 2002, EStG VZ 2005

1. Eine Verbindlichkeit, die nach einer im Zeitpunkt der Überschuldung getroffenen Rangrücktrittsvereinbarung nur aus einem zukünftigen Bilanzgewinn und aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss zu tilgen ist, unterliegt dem Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG 2002 (insoweit Bestätigung des Senatsurteils vom 30. November 2011 I R 100/10, BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332).

Dies gilt zunächst insofern, als zu den Gewinnen i.S. von § 5 Abs. 2a EStG 2002 auch die entsprechend den Vereinbarungen vom 7. Oktober 2004 zur Darlehenstilgung einzusetzenden „künftigen Bilanzgewinne“ zu rechnen sind. Soweit die Vorinstanz für ihre hiervon abweichende Sicht darauf hinweist, dass der handelsrechtliche Begriff des Bilanzgewinns das Jahresergebnis (Jahresüberschuss oder -fehlbetrag), den Gewinn- oder Verlustvortrag sowie die Veränderungen der Rücklagen (einschließlich der Kapitalrücklagen) umfasst, ist dem zwar im Ausgangspunkt zu folgen (vgl. § 158 des Aktiengesetzes –AktG–; § 268 Abs. 1 und § 275 Abs. 4 HGB). Das FG hat jedoch nicht hinreichend gewürdigt, dass der Gewinnbegriff i.S. von § 5 Abs. 2a EStG 2002 nicht nur auf den Steuerbilanzgewinn abstellt, sondern –entsprechend Wortlaut und Sinn der Regelung (Passivierungsverbot bei fehlender wirtschaftlicher Belastung)– auch denjenigen Sachverhalt erfasst, dass die betroffenen Verpflichtungen nur aus künftigen (handelsrechtlichen) Jahresüberschüssen zu erfüllen sind (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil in BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332). Demgemäß kann auch für die im Streitfall getroffene Vereinbarung, die Forderungen der E-GmbH aus künftigen Bilanzgewinnen zu erfüllen, nichts anderes gelten.

Es ist dem FG allerdings darin beizupflichten, dass eine solche Abrede dann mit einer im vorgenannten Sinne aktuellen wirtschaftlichen Belastung der Vermögenslage des Schuldners verbunden sein kann, wenn die Verpflichtung aus dem sich aufgrund der Auflösung einer Kapitalrücklage (also dem gegenwärtigen Schuldnervermögen) ergebenden (oder sich erhöhenden) Bilanzgewinn getilgt wird. Gleichwohl ist für den im anhängigen Verfahren zu beurteilenden Sachverhalt zu beachten, dass die Forderungen der E-GmbH nur aus einem zukünftigen Bilanzgewinn der Klägerin (zum Liquidationsüberschuss s. nachfolgend) zu tilgen waren und sich nach den Verhältnissen des Bilanzstichtags (30. Juni 2005) –d.h. mit Rücksicht auf den Fehlbetrag des Geschäftsjahrs 2004/2005 (rd. 2 Mio. €) sowie den Verlustvortrag (rd. 8,1 Mio. €)– selbst im Falle der Auflösung der Kapitalrücklage (rd. 0,644 Mio. €) kein Bilanzgewinn hätte einstellen können. Folge hiervon ist zugleich, dass die gegenüber der E-GmbH bestehenden Verpflichtungen i.S. von § 5 Abs. 2a EStG 2002 auch nur im Falle der Erzielung künftiger Gewinne (Jahresüberschüsse) zu erfüllen waren. Unerheblich ist hierbei, ob –wozu das FG keine bindenden Feststellungen getroffen hat– der tatsächliche Wert des Vermögens der Klägerin die handelsrechtlichen Ansätze am vorgenannten Bilanzstichtag überschritten hat. Hierauf kommt es deshalb nicht an, weil stille Reserven erst im Zeitpunkt ihrer Aufdeckung das Jahresergebnis und damit den für Zwecke der Forderungserfüllung (gemäß den Rangrücktrittsabreden) maßgeblichen Bilanzgewinn erhöhen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die E-GmbH in späteren Geschäftsjahren Gesellschafterleistungen (Einlagen) erbracht hat; selbst dann, wenn diese nicht als Zuzahlungen in das Eigenkapital (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB), sondern als außergewöhnlicher Ertrag (§ 275 Abs. 2 Nr. 15 HGB) erfasst werden (s. hierzu Förschle/K. Hoffmann/in Beck Bil-Komm., 9. Aufl., § 272 Rz 195, Förschle/Peun, ebenda, § 275 Rz 222), sind sie erst im Jahr ihrer Realisierung anzusetzen und können demgemäß auch erst ab diesem Zeitpunkt den Bilanzgewinn erhöhen.

Der Tatbestand des § 5 Abs. 2a EStG 2002 wird im Streitfall nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin nicht nur verpflichtet war, die Forderungen der E-GmbH aus ihrem zukünftigen Bilanzgewinn, sondern –so die streitgegenständlichen Vereinbarungen– auch aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss zu tilgen. Hierzu hat der Senat mit Urteil in BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332 erläutert, dass es sich bei dem Liquidationsüberschuss zwar um das Vermögen handelt, das im Fall der Liquidation nach Veräußerung der Wirtschaftsgüter und Begleichung aller (übrigen) Verbindlichkeiten verbleibt; demgemäß betreffen die Zahlungspflichten aus einem Liquidationsüberschuss bereits das gegenwärtige Vermögen, sie belasten aber das gegenwärtige Vermögen (noch) nicht, da nach dem Grundsatz der Unternehmensfortführung (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB) der Liquidationsfall (noch) nicht berücksichtigt zu werden braucht und die Rücklagen bis zu diesem Zeitpunkt noch in vollem Umfang zur Verlustdeckung und zur Befriedigung der anderen Gläubiger zur Verfügung stehen.

Zwar ist hiergegen im Schrifttum (Schmid, Finanz-Rundschau –FR– 2012, 837, 841) geltend gemacht worden, das treffe nur für Verbindlichkeiten zu, die ausschließlich aus einem Liquidationsüberschuss zu tilgen seien, vorliegend hingegen eine bereits vor der Eröffnung des Liquidationsverfahrens entstandene Schuld zu beurteilen sei. Der Einwand gibt jedoch keine Veranlassung, die Rechtsprechung zu korrigieren. Er lässt außer Acht, dass das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG 2002 nicht nur für zukünftig entstehende, sondern gleichermaßen auch für bereits entstandene Verbindlichkeiten gilt, wenn diese nur aus zukünftig anfallenden Gewinnen (Jahresüberschüssen) zu erfüllen sind und deshalb das aktuelle Vermögen des Schuldners nicht belasten. Hiervon ausgehend wäre es aber widersprüchlich und würde erkennbar dem Gesetzeszweck widerstreiten, wenn die Verpflichtung, eine entstandene Schuld aus zukünftigen Vermögenswerten (hier: Liquidationsüberschuss) zu tilgen, das Passivierungsverbot des § 5 Abs. 2a EStG 2002 außer Kraft setzen würde, obwohl vor Eintritt des Liquidationsfalls das schuldnerische Vermögen nach der getroffenen Vereinbarung (hier: Rangrücktrittsvereinbarung) nicht belastet ist. Vielmehr ist –wie im Senatsurteil in BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332 ausgesprochen– auch in diesem Fall bei einem werbend tätigen Unternehmen die Tilgungsmöglichkeit aus einem Liquidationsüberschuss bei der Beurteilung der Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 2a EStG 2002 unbeachtet zu lassen.

2. Beruht der hierdurch ausgelöste Wegfallgewinn auf dem Gesellschaftsverhältnis, ist er durch den Ansatz einer Einlage in Höhe des werthaltigen Teils der betroffenen Forderungen zu neutralisieren (insoweit Abkehr vom Senatsurteil in BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332).

Allerdings hat der Senat bisher vertreten, dass Darlehen, die aus künftigen Gewinnen zu tilgen sind, nicht die Funktion von zusätzlichem Eigenkapital zukommt (Urteil in BFHE 235, 476, BStBl II 2012, 332; zustimmend z.B. Baschnagel, Die Unternehmensbesteuerung 2014, 769, 771). Hieran ist jedoch nicht festzuhalten. Maßgeblich für diese Rechtsprechungskorrektur ist zum einen, dass der Einlagetatbestand durch die Zuführung eines Wirtschaftsguts gekennzeichnet ist (§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG 2002) und hierzu nach ständiger Rechtsprechung nicht nur der Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sondern auch der Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens zu rechnen ist (BFH-Urteile vom 7. Mai 2014 X R 19/11, BFH/NV 2014, 1736; vom 6. November 2003 IV R 10/01, BFHE 204, 438, BStBl II 2004, 416; vom 22. November 1983 VIII R 133/82, BFHE 140, 69). Zum anderen kommt hinzu, dass der steuerrechtliche Einlagebegriff nicht dem Maßgeblichkeitsgrundsatz unterliegt, sondern mit Rücksicht auf seine eigenständigen Regelungszwecke über diesen hinausgeht (Senatsurteil vom 29. Mai 1996 I R 118/93, BFHE 180, 405, BStBl II 1997, 92). Da zu diesen Regelungszwecken aber insbesondere auch gehört, den Steuerbilanzgewinn um die nicht betrieblich veranlassten Mehrungen des steuerrechtlichen Betriebsvermögens zu mindern, umfasst der hierauf abgestimmte steuerrechtliche Einlagebegriff (sog. Funktionsbegriff) auch die durch einen Rangrücktritt i.V.m. § 5 Abs. 2a EStG 2002 ausgelöste Ausbuchung von Verbindlichkeiten, vorausgesetzt, die Vereinbarung zur Subordination der Verbindlichkeit ist durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst (gl.A. BFH-Urteil in BFHE 211, 294, BStBl II 2006, 618; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. September 2008  12 K 8271/05 B, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2009, 1380; Schmid, FR 2012, 837, 842; Neumann, Steuerberater-Jahrbuch –StbJb– 2012/2013, S. 339, 381; Rädtke, Unternehmensteuern und Bilanzen 2012, 338; vgl. auch Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl., § 4 V, S. 109). Demnach ist es für den Eigenkapitalausweis unerheblich, dass der Rangrücktritt der E-GmbH nicht zum Erlöschen der Darlehensforderungen geführt hat (zweifelnd Förster, StbJb 2012/2013, S. 383). Es kommt auch nicht darauf an, dass die Verbindlichkeiten der Klägerin bei Anfall eines zukünftigen (Bilanz-)Gewinns oder Liquidationsüberschusses wieder zu erfüllen waren. Auch dies kann die Annahme einer Einlage nicht hindern, weil auch in Fällen des Forderungsverzichts gegen Besserungsschein der Eintritt des Besserungsfalls zu einer erneuten Umqualifikation des Darlehens (in Fremdkapital) führt und damit bis zu diesem Zeitpunkt davon auszugehen ist, dass dem Schuldner (temporär) Eigenkapital zur Verfügung stand (Senatsurteil vom 12. Juli 2012 I R 23/11, BFHE 238, 344, m.w.N.).

Schlagworte: Rangrücktritt