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BFH, Urteil vom 16. Dezember 2014 – X R 29/13

§ 238 Abs 1 HGB, § 239 Abs 2 HGB, § 239 Abs 4 S 1 HGB, § 146 Abs 1 S 1 AO, § 146 Abs 5 S 1 AO, § 147 Abs 1 Nr 1 AO, § 147 Abs 6 S 2 AO, § 140 Abs 1 AO, § 145 AO, § 143 AO, § 144 AO, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

1. Voraussetzung für die Datenanforderung ist das Bestehen einer Aufzeichnungspflicht. Die Befugnisse aus § 147 Abs. 6 AO stehen der Finanzbehörde nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat. Der sachliche Umfang der Aufbewahrungspflicht in § 147 Abs. 1 AO wird wiederum grundsätzlich begrenzt durch die Reichweite der zugrunde liegenden Aufzeichnungspflicht (vgl. BFH-Urteil vom 24.06.2009 VIII R 80/06).

2. Ein Kaufmann hat grundsätzlich jedes einzelne Handelsgeschäft – einschließlich der sich auf die jeweiligen Handelsgeschäfte beziehenden Kassenvorgänge – einzeln aufzuzeichnen. Bei bar erlangten Kasseneinnahmen ist der nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfall nicht nur der am Ende eines Tages insgesamt vereinnahmte Betrag (Tageslosung). Die Tatsache der sofortigen Bezahlung der Leistung rechtfertigt es nicht, die einzelnen Geschäftsvorfälle nicht auch einzeln mit Benennung des Kunden, der Art der Tätigkeit und der Bareinnahme aufzuzeichnen (vgl. BFH-Urteil vom 12.05.1966 IV 472/60).

3. Der BFH hat zwar die Einzelaufzeichnungspflicht für Einzelhandelsgeschäfte dahingehend eingeschränkt, dass die baren Betriebseinnahmen in der Regel nicht einzeln aufgezeichnet zu werden brauchen (vgl. BFH-Urteil vom 12.05.1966 IV 472/60). Ausschlaggebend für den BFH war jedoch insoweit, dass es technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch unmöglich war, an die Aufzeichnung der einzelnen zahlreichen baren Kassenvorgänge in Einzelhandelsgeschäften gleiche Anforderungen wie bei anderen Handelsgeschäften zu stellen. Entscheidet der Steuerpflichtige sich für ein modernes PC-Kassensystem, das zum einen sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert aufzeichnet und zum anderen auch eine langfristige Aufbewahrung (Speicherung) der getätigten Einzelaufzeichnungen ermöglicht, kann er sich nicht (mehr) auf die Unzumutbarkeit der Aufzeichnungsverpflichtung berufen (vgl. Literatur).

4. Etwas anderes ergibt sich weder aus dem BFH-Urteil vom 26.02.2004 XI R 25/02 noch aus den BFH-Beschlüssen vom 16.02.2006 X B 57/05 sowie vom 07.02.2008 X B 189/07. Auch eine Abweichung vom BFH-Urteil vom 12.05.1966 IV 472/60 wird hierdurch nicht begründet, dies schon deshalb nicht, weil die damalige Fallkonstellation, die sich auf das Streitjahr 1956 bezog, angesichts veränderter technischer Möglichkeiten nicht mit dem vorliegend zu entscheidenden, mehr als 50 Jahre später liegenden Fall vergleichbar ist.

5. Durch § 145 AO wird die Geltung der GoB im Steuerrecht nicht eingeschränkt (vgl. Literatur). Die §§ 143, 144 AO stehen einer Einzelaufzeichnungspflicht für Einzelhändler nicht von vornherein entgegen.

6. Die grundsätzlich auch für Einzelhändler geltende Pflicht zur Einzelaufzeichnung der Bareinnahmen bedeutet nicht, dass diese künftig einzeln gebucht werden müssen. Ausreichend ist insoweit – wie bisher – die Verbuchung der zusammengefassten Tageslosung. Entscheidend ist, dass diese sich auf die einzeln erfassten Verkäufe zurückführen lässt, die ihrerseits – ggf. unter Zuhilfenahme des Warenwirtschaftssystems – nachweisbar sind.

7. Bei den mit Hilfe einer PC-Kasse einzeln aufgezeichneten Bareinnahmen (Umsätze/Warenverkäufe) handelt es sich um Grundaufzeichnungen i.S. des § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO und keineswegs um „freiwillige“ Aufzeichnungen.

8. Eine Verpflichtung nur zur Aufbewahrung und Speicherung von Tagesendsummenbons (Z-Bons) lässt sich auch nicht aus dem BMF-Schreiben vom 09.01.1996 in BStBl I 1996, 34 herleiten. Es handelt sich dabei um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die als solche keine Rechtsnormqualität besitzt und die Gerichte nicht bindet (vgl. BFH-Urteil vom 24.09.2013 VI R 48/12).

9. Dem Datenzugriff unterfallen grundsätzlich auch die Daten aus vorgeschalteten Systemen oder Nebensystemen (vgl. Literatur). Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die in einem Vorsystem – wie einem Kassensystem – erzeugten (steuerrelevanten und aufbewahrungspflichtigen) Daten in verdichteter Form in das eigentliche Buchführungssystem übergeben werden (vgl. BMF-Schreiben vom 14.11.2014 in BStBl I 2014, 1450, insb. Rz. 20).

10. Mit der Anforderung der „Verkaufsdatei (Kassenzeile, Einzeldaten, Bewegungsdatei)“ bzw. der „Daten aus dem Warenwirtschaftssystem zu den Einzelverkäufen (Verkaufsdatenbank)“ verstößt das Finanzamt nicht gegen das Übermaßverbot.

11. Soweit der Einzelhändler der Ansicht sein sollte, einzelne in der Datei enthaltene Daten seien nicht steuerrelevant, obliegt es ihm, diese zu selektieren (sog. Erstqualifikationsrecht; vgl. BMF-Schreiben vom 14.11.2014 in BStBl I 2014, 1450, Rz. 160 ff.). Ist ihm dies nicht möglich, kann er den Zugriff auf die Verkaufsdatei mit den Kasseneinzeldaten nicht verweigern. Er trägt die Verantwortung und damit auch das Risiko, wenn er steuerrelevante und nicht steuerrelevante Daten ununterscheidbar vermengt haben sollte (vgl. BFH-Rechtsprechung und Literatur).

12. Zur Abgrenzung von Daten und Datei sowie zur hinreichenden Bezeichnung der vorzulegenden Daten.

 

Schlagworte: Formelles Steuerrecht