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BFH, Urteil vom 22.11.2005 – VII R 21/05

§ 69 AO 1977, § 34 AO 1977, § 38 Abs 3 EStG 1997, § 41a Abs 1 S 1 Nr 2 EStG 1997, § 35 Abs 1 GmbHG

1. Auch bei Zahlungen, die ein Gesellschafter-Geschäftsführer auf die von der GmbH geschuldeten Löhne aus seinem eigenen Vermögen ohne unmittelbare Berührung der Vermögenssphäre der Gesellschaft und ohne dieser gegenüber dazu verpflichtet zu sein selbst erbringt, hat er dafür zu sorgen, dass die Lohnsteuer einbehalten und an das FA abgeführt wird.

Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 haften die in § 34 AO 1977 bezeichneten Personen, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht erfüllt werden. Der Kläger gehört zu den in § 34 Abs. 1 AO 1977 aufgeführten Personen, wie sich aus § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) ergibt, wonach der Geschäftsführer einer GmbH die Pflichten zu erfüllen hat, die der GmbH als Arbeitgeberin beim Lohnsteuerabzug obliegen und die sich in steuerlicher Hinsicht aus § 38 Abs. 3, § 41a Abs. 1 EStG ergeben. Der Geschäftsführer hat also dafür Sorge zu tragen, dass bei jeder Lohnzahlung der GmbH die gesetzlich festgelegte Lohnsteuer einbehalten und innerhalb bestimmter Fristen an das FA abgeführt wird. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn Zahlungen auf die von der GmbH geschuldeten Löhne von einem Gesellschafter-Geschäftsführer aus seinem eigenen Vermögen ohne unmittelbare Berührung der Vermögenssphäre der Gesellschaft und ohne dieser gegenüber dazu schuldrechtlich verpflichtet zu sein erbracht werden.

Der erkennende Senat hat bereits in dem Urteil vom 21. Oktober 1986 VII R 144/83 (BFH/NV 1987, 286) darauf hingewiesen, es spiele für die rechtliche Beurteilung von Lohnzahlungen keine Rolle, ob die dafür verwendeten Mittel der GmbH zur Verfügung gestanden haben oder die Zahlung aus dem persönlichen Vermögen der Gesellschafter erfolgt ist (vgl. auch BFH-Urteil vom 24. Februar 1978 VI R 100/75, nicht veröffentlicht). Auch wenn ein Gesellschafter Lohnschulden der Gesellschaft aus seinem eigenen Vermögen tilgt und Lohnzahlungen zugunsten der Arbeitnehmer der Gesellschaft von seinem eigenen Konto ausführen lässt, ohne dass die Vermögenssphäre der GmbH unmittelbar berührt wird, handelt er dabei in (möglicherweise verdeckter) Vertretung der Gesellschaft. Denn seine Leistungsbereitschaft beruht auf dem Gesellschaftsverhältnis, einerlei welches Rechtsverhältnis zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft hinsichtlich der von ihm anstelle der Gesellschaft ausgeführten Zahlungen begründet werden mag, ob der Gesellschafter der Gesellschaft also die entsprechenden Beträge als Einlage oder als Darlehen gewährt und es folglich bei vollständiger Abwicklung dieser Rechtsbeziehungen zu einem Durchgangserwerb der Gesellschaft gekommen wäre und die unmittelbare Zahlung an die Arbeitnehmer der Gesellschaft mithin nur der Abkürzung des Zahlungsweges gedient hat; oder ob der Gesellschafter aufgrund seiner Zahlungen lediglich einen Aufwendungsersatz- oder Bereicherungsanspruch gegen die Gesellschaft erwirbt (und möglicherweise sogar darauf verzichtet, diesen gegen die GmbH tatsächlich geltend zu machen). Ungeachtet der diesbezüglichen Ausgestaltung des Innenverhältnisses zur Gesellschaft und erst recht der kontomäßigen und buchhalterischen Abwicklung der Lohnzahlungen stellen diese keine gleichsam privaten, lediglich seine Vermögenssphäre betreffenden Zuwendungen des Gesellschafters an die Arbeitnehmer der GmbH dar, die lediglich die Folge hätten, dass diese von ihrer Lohnschuld frei wird. Ein Gesellschafter, der Schulden der Gesellschaft begleicht, stellt dadurch vielmehr mittelbar der Gesellschaft Vermögensmittel in einer Weise zur Verfügung, die es rechtfertigt, die Gesellschaft steuerrechtlich genauso wie bei der entsprechenden Verwendung eigener Mittel zu behandeln.

2. Grob fahrlässig im Sinne dieser Vorschrift handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen verpflichtet und imstande war, in ungewöhnlich hohem Maße verletzt (Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 69 Rdnr. 97, m.N.), z.B. trotz entsprechender persönlicher Fähigkeiten die einfachsten, ganz nahe liegenden Überlegungen nicht anstellt und das unbeachtet lässt, was jedem einleuchten muss (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 AO 1977 Rdnr. 26, m.N.). Diesem subjektiven Maßstab entsprechend setzt die Haftung auch Kenntnis oder vorwerfbare Unkenntnis der betreffenden steuerrechtlichen Pflichten eines Geschäftsführers voraus; ein entschuldbarer, weil nicht grob fahrlässiger Rechtsirrtum lässt die Haftung folglich entfallen (Senatsurteil vom 21. Juni 1994 VII R 34/92, BFHE 175, 198, BStBl II 1995, 230; vgl. auch BFH-Urteil vom 18. September 1981 VI R 44/77, BFHE 134, 149, BStBl II 1981, 801).

Im Streitfall kann dem Kläger kein Schuldvorwurf dahin gemacht werden, er habe die Pflicht der GmbH zur Entrichtung der von ihm selbst gezahlten Löhne kennen müssen, nachdem das mit drei Berufsrichtern besetzte FG Düsseldorf in seinem Urteil in EFG 1992, 240 in einem Verhalten wie dem des Klägers einen haftungsbegründenden Tatbestand nicht zu erkennen vermocht hat; es ist damit, soweit ersichtlich, im Schrifttum auch nicht auf Widerspruch gestoßen (zustimmend vielmehr Klein/Rüsken, a.a.O., § 69 Rdnr. 29) und der Senat hat in der zu diesem Urteil ergangenen Revisionsentscheidung vom 17. November 1992 VII R 13/92 (BFHE 170, 295, BStBl II 1993, 471) die Richtigkeit dieser rechtlichen Würdigung ausdrücklich dahinstehen lassen, ohne auf sein Urteil in BFH/NV 1987, 286 hinzuweisen. Dass die Rechtslage bis zum Ergehen der vorliegenden Entscheidung auch nicht objektiv klar und eindeutig war, bedarf nach den vorstehenden Ausführungen keiner Darlegung.

Schlagworte: Grundsatz der anteiligen Tilgung, Haftung für Steuerschulden, Lohnkürzung, Lohnsteuer, Zahlung aus persönlichem Vermögen