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BFH, Urteil vom 26.04.1984 – V R 128/79

§ 109 Abs 1 AO, § 103 AO, § 112 AO, § 69 AO 1977, § 34 Abs 1 AO 1977, § 71 AO 1977, § 105 Abs 1 AO

1. Bei einer Kommanditgesellschaft haben die geschäftsführenden persönlich haftenden Gesellschafter (§§ 161, 114, 125, 164, 170 HGB) die Pflichten zu erfüllen, welche dieser Gesellschaft wegen der Besteuerung auferlegt sind (§ 105 Abs.1 RAO, § 34 Abs.1 AO 1977). Ist persönlich haftender Gesellschafter eine Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
, haben deren Geschäftsführer (§ 35 GmbHG) die steuerlichen Pflichten dieser Gesellschaft (§ 103 Satz 1 RAO, § 34 Abs.1 AO 1977) und mit diesen die steuerlichen Pflichten der Kommanditgesellschaft zu erfüllen. Sie haften bei Pflichtverletzungen bis zum 31.Dezember 1976 (Artikel 97 § 11 EGAO) insoweit persönlich neben der Kommanditgesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
, als durch schuldhafte Verletzung dieser Pflichten Steueransprüche verkürzt oder Erstattungen oder Vergütungen zu Unrecht gewährt worden sind (§ 109 Abs.1 RAO). Maßstab der Pflichten eines Geschäftsführers ist die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs.1 GmbHG), unabhängig von der Person des jeweiligen Geschäftsführers. Lediglich in der Zurechnung eines Verschuldens bei Verletzung dieser Pflichten (§ 109 Abs.1 RAO) können subjektive Gesichtspunkte von Bedeutung sein.

2. Sind in einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
mehrere Geschäftsführer bestellt, trifft grundsätzlich jeden von ihnen die Verantwortung für die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft. Diese kann durch eine Verteilung der Geschäfte zwar begrenzt, aber nicht aufgehoben werden.

Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, trifft jeden von ihnen die Pflicht zur Geschäftsführung und grundsätzlich die Verantwortung für die Geschäftsführung im ganzen. Denn die Führung der Geschäfte – sei es einer Kapitalgesellschaft, sei es einer offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft – umfaßt nicht in erster Linie die Besorgung eines bestimmten Geschäftsbereichs, sondern die verantwortliche Leitung der Geschäfte in ihrer Gesamtheit. Diese erfordert – unbeschadet der Handlungsbefugnisse jedes einzelnen Geschäftsführers und seiner etwaigen Befugnis, die Gesellschaft allein zu vertreten – eine einheitliche Willensbildung (vgl. § 77 Abs.1 AktG, § 115 Abs.1 HGB). Daraus folgt die solidarische Verantwortlichkeit aller Geschäftsführer (§ 43 Abs.2 GmbHG) für diejenigen Belange, welche die Existenz der Gesellschaft im ganzen berühren, insbesondere bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (vgl. § 84 GmbHG) unabhängig von einer sonst gegebenen Verteilung der Aufgaben. Die Gesamtverantwortung eines jeden Geschäftsführers verlangt zumindest eine gewisse Überwachung der Geschäftsführung im ganzen. Sie ist mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes wahrzunehmen (§ 43 Abs.1 GmbHG).

Die Geschäftsführer sind im Bereiche des § 103 Satz 1 RAO (§ 34 Abs.1 AO 1977) auch dem Steuergläubiger zur Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes verpflichtet, daneben und grundsätzlich gegenüber der Gesellschaft (§ 43 Abs.2 und 3 GmbHG). Sie können folglich weder den Umfang ihrer Pflichten noch den Maßstab der gebotenen Sorgfalt aus eigener Befugnis einengen. Auch die Gesellschaft selbst ist nicht in der Lage, sie im Gesellschaftsvertrage oder durch Beschluß einer Gesellschafterversammlung von der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes zu dispensieren. Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs.1 GmbHG) wird von den Geschäftsführern nämlich nicht nur um der Gesellschafter willen erwartet, sondern auch wegen der Gesellschaftsgläubiger (vgl. §§ 7, 78, 9, 43 Abs.3, §§ 64, 84 GmbHG), denen nur die beschränkte Masse des Gesellschaftsvermögens haftet (§ 13 Abs.2 GmbHG). Die Gesellschaft kann folglich im Gesellschaftsvertrage oder durch Beschluß der Gesellschafter (§ 37 Abs.1 GmbHG) unter mehreren Geschäftsführern zwar eine Arbeitsteilung verfügen, bei der für jeden Bereich stets mindestens ein Geschäftsführer zuständig sein muß (§ 6 Abs.1 GmbHG); sie kann aber keinen Geschäftsführer von seinem Anteil an der Gesamtverantwortung entlasten.

Hat der Gesellschaftsvertrag oder ein förmlicher Beschluß der Gesellschafter die Wahrnehmung der steuerlichen Belange der Gesellschaft einem von mehreren Geschäftsführern zugewiesen (§ 37 Abs.1 GmbHG) oder ist dies kraft Zulassung in dem Gesellschaftsvertrage oder durch Beschluß der Gesellschafter in einer Geschäftsordnung der Geschäftsführer festgelegt (vgl. § 77 Abs.2 AktG), treffen die steuerlichen Pflichten in erster Linie diesen Geschäftsführer (§ 103 Satz 1 RAO). Die Verantwortung der anderen Geschäftsführer wird dadurch aber nicht im ganzen aufgehoben (vgl. § 37 Abs.2 Satz 2 GmbHG, § 93 Abs.2 Satz 2 AktG). Vielmehr tritt der Umfang ihrer Pflichten nur insoweit und so lange zurück, wie für sie unter den Maßstäben der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs.1 GmbHG) kein Anlaß besteht anzunehmen, die steuerlichen Pflichten der Gesellschaft würden nicht exakt erfüllt. Die Gesamtverantwortung aller Geschäftsführer wird spätestens dann wirksam, wenn die laufende Erfüllung aller Verbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet ist und infolgedessen Unregelmäßigkeiten in der Erklärung der Steuern oder der Erfüllung der Steuerschulden zu besorgen sind, oder wenn die Person des für die steuerlichen Belange primär zuständigen Geschäftsführers diese Besorgnis rechtfertigt.

Von der Verantwortung eines jeden einzelnen Geschäftsführers für die Geschäftsführung im ganzen unberührt bleibt die (interne) Aufteilung der Geschäfte des regelmäßigen Geschäftsablaufs unter den Geschäftsführern. Sie ist je nach der Größe des Geschäftsbetriebes und der Art der vorzunehmenden Geschäfte möglich oder sogar notwendig. Die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 43 Abs.1 GmbHG) erfordert aber eine vorweg eindeutige Klarstellung, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist, damit nicht im Haftungsfalle – sei es gegenüber der Gesellschaft (§ 43 Abs.2 GmbHG), sei es gegenüber dem Steuergläubiger (§ 109 Abs.1 EAO) – jeder Geschäftsführer auf die Verantwortlichkeit eines anderen verweist. Folglich muß eine vorgegebene – und damit zumindest schriftliche – Aufteilung vorliegen, die jede einzelne Aufgabe in den Zuständigkeitsbereich mindestens eines Geschäftsführers verweist. Fehlt es daran, bleibt es zumindest hinsichtlich eines Unterlassens bei der solidarischen Haftung aller Geschäftsführer (§ 43 Abs.2 GmbHG) wegen Organisationsverschuldens.

3. Die Pflicht der Geschäftsführer, dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden, entsteht nicht erst mit der Fälligkeit festgesetzter Steuerschulden.

4. Reichen bei Zahlungsschwierigkeiten die verfügbaren Mittel nicht zur Tilgung aller fälligen Schulden aus, haften die Geschäftsführer für eine angemessene – zumindest der Befriedigung der anderen Gläubiger entsprechende – Tilgung der Umsatzsteuerforderungen. Davon unberührt bleibt ihre volle Haftung für etwa hinterzogene Steuerbeträge.

Schlagworte: Grundsatz der anteiligen Tilgung, Haftung für Steuerschulden, Haftung wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG, Mehrere Geschäftsführer, Ressortverteilung, Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns, Verschulden