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BFH, Urteil vom 28.06.2005 – I R 2/04

§ 34 Abs 1 AO 1977, § 69 S 1 AO 1977, § 121 Abs 1 AO 1977, § 191 Abs 1 S 1 AO 1977, § 35 Abs 1 GmbHG, § 93 Abs 1 S 1 AO 1977

Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO 1977 haften die gesetzlichen Vertreter einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Grob fahrlässig i.S. des § 69 AO 1977 handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt (Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 12. Mai 1992 VII R 52/91, BFH/NV 1992, 785; vom 21. Februar 1989 VII R 165/85, BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491, 493; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 AO 1977 Tz. 25 f.). Dabei erstreckt sich die Vertreterhaftung gemäß § 69 Satz 2 AO 1977 nicht nur auf Steuerschulden, sondern gleichermaßen auf die Säumniszuschläge (§ 240 AO 1977), die infolge der Pflichtverletzung entstanden sind (vgl. auch BFH-Urteil vom 26. Februar 2003 I R 30/02, BFH/NV 2003, 1301, m.w.N.).

Gerät eine GmbH in Zahlungsschwierigkeiten, so gehört es zu den Pflichten der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Geschäftsführer, die Steuerschulden der GmbH in gleicher Weise zu tilgen wie die übrigen Schulden der Gesellschaft. Der Fiskus darf gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt werden. Ein Geschäftsführer, der dies gleichwohl tut, handelt in der Regel –d.h.: Soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die die Annahme einer leichteren Form des Verschuldens rechtfertigen– zumindest grob fahrlässig (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 11. März 2004 VII R 52/02, BFHE 205, 14, BStBl II 2004, 579; vom 13. März 2003 VII R 46/02, BFHE 202, 22, BStBl II 2003, 556, 560, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 25. Juli 2003 VII B 240/02, BFH/NV 2003, 1540; ebenso: Beermann, Deutsches Steuerrecht 1994, 805, 810; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 AO 1977 Tz. 34 f.; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 69 Rz. 23 ff.).

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind die gesetzlichen Vertreter einer Gesellschaft gegebenenfalls verpflichtet, bereits  vor Fälligkeit der Steuerforderung Vorsorge für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu treffen (vgl. BFH-Urteil vom 11. März 2004 VII R 19/02, BFHE 205, 335, BStBl II 2004, 967, m.w.N.). Des Weiteren wird ein Verschulden auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass das FA die der Haftung zugrunde liegenden Steuerbescheide von der Vollziehung ausgesetzt hat; solange die Verwaltung die streitigen Bescheide nicht aufhebt, muss mit einem negativen Ausgang des Verfahrens gerechnet werden (BFH-Beschluss vom 4. Mai 1998 I B 116/96, BFH/NV 1998, 1460, 1462).

Dass die Finanzverwaltung berechtigt ist, von dem Geschäftsführer einer GmbH die zur Ermittlung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte zu verlangen, folgt aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 (vgl. auch BFH-Urteil vom 11. Juli 1989 VII R 81/87, BFHE 157, 315, BStBl II 1990, 357). Die in dieser Bestimmung niedergelegten Mitwirkungs- und AuskunftspflichtenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Auskunftspflichten
Mitwirkungs- und Auskunftspflichten
entfallen nicht dadurch, dass die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Haftung zwischen den Beteiligten streitig sind (BFH-Urteil vom 18. März 1987 II R 35/86, BFHE 149, 267, BStBl II 1987, 419, m.w.N.; ebenso: Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 191 AO 1977 Tz. 120).

Im Streitfall hat das FA in der Einspruchsentscheidung ausgeführt, dass die Geschäftsführer ihre Pflichten als Geschäftsführer der GmbH grob fahrlässig verletzt hätten. Das reicht zur Begründung der Entscheidung aus; denn die Geschäftsführer hatten dem FA die insoweit relevanten Informationen vorenthalten. Das FA war auch nicht (wie das FG meint) verpflichtet, über mögliche Gründe für die Benachteiligung des Fiskus zu spekulieren. Die Geschäftsführer ihrerseits müssen sich widersprüchliches Verhalten vorwerfen lassen, wenn sie im Verwaltungsverfahren das Auskunftsersuchen des FA ignorieren und die gegen die Haftungsbescheide eingelegten Einsprüche nicht begründen, im Klageverfahren aber gleichwohl geltend machen, die Ausführungen des FA zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung seien unzureichend.

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