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BFH, Urteil vom 28.03.2012 – II R 39/10

AO §§ 170, 235, 370; ErbStG §§ 7, 9

1. Bei der Festsetzung von Hinterziehungszinsen sind die Voraussetzungen der Steuerhinterziehung und die Höhe der hinterzogenen Steuer unabhängig von einem ergangenen Steuerbescheid zu prüfen.

2. Schenkungsteuerbescheide sind keine Grundlagenbescheide i.S. des § 171 Abs. 10 AO für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach § 235 AO.

3. Grundlagenbescheide sind gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO Feststellungsbescheide, Steuermessbescheide oder sonstige für eine Steuerfestsetzung bindende Verwaltungsakte. Für die Annahme einer Bindungswirkung ist grundsätzlich eine gesetzliche Regelung erforderlich (BFH-Urteile vom 10. Juni 1988 III R 232/84, BFHE 154, 68, BStBl II 1988, 981; vom 20. August 2009 V R 25/08, BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15 und vom 27. Januar 2011 III R 90/07, BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543). Ohne gesetzlich angeordnete Bindungswirkung hat der BFH einen Grundlagenbescheid nur dort für möglich gehalten, wo Sachverhalte zu beurteilen sind, die die Finanzbehörde mangels eigener Sachkunde nicht selbst nachzuprüfen vermag (BFH-Urteil in BFHE 226, 479, BStBl II 2010, 15, m. w. N.; dazu kritisch BFH-Beschluss vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679). Eine Rechtsgrundlage für die Bindungswirkung kann nicht durch allgemeine Zweckmäßigkeitserwägungen oder vergleichbare sinnvolle Überlegungen ersetzt werden (BFH-Beschluss in BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679).

4. Ein Schenkungsteuerbescheid entfaltet danach keine Bindungswirkung für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach § 235 AO. Weder § 235 AO noch eine andere Vorschrift sieht insoweit eine Bindungswirkung vor. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen richtet sich nicht akzessorisch nach dem festgesetzten, sondern nach dem tatsächlich hinterzogenen Steuerbetrag (Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 235 AO Rz 40; Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 235 Rz 27; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 235 AO Rz 11). Dies wird durch § 235 Abs. 3 Satz 3 AO verdeutlicht. Danach lässt eine nach Ende des Zinslaufs erfolgende Aufhebung, Änderung oder Berichtigung des Steuerbescheids die bis dahin entstandenen Zinsen unberührt. Um Fälle mangelnder Sachkunde des FA geht es bei der Festsetzung von Hinterziehungszinsen nicht.

5. Der Festsetzung von Hinterziehungszinsen gegen den Schuldner der hinterzogenen

Steuer steht es nicht entgegen, wenn er an der Steuerhinterziehung nicht mitgewirkt hat (BFH-Urteil vom 27. August 1991 VIII R 84/89, BFHE 165, 330, BStBl II 1992, 9).

6. Der Schenkungsteuer unterliegt als Schenkung unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; vgl. auch § 516 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Die Besteuerung richtet sich danach, wie sich die Vermögensmehrung im Zeitpunkt der Zuwendung beim Beschenkten darstellt (BFH-Urteile vom 9. November 1994 II R 87/92, BFHE 176, 53, BStBl II 1995, 83, und vom 22. Juni 2010 II R 40/08, BFHE 230, 182, BStBl II 2010, 843). Dementsprechend bestimmt sich der steuerpflichtige Erwerb gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 ErbStG nach der Bereicherung des Erwerbers und knüpft die Wertermittlung (§ 11 ErbStG) über § 9 Abs. 1 Nr. 2 und § 12 ErbStG an den Gegenstand an, über den der Beschenkte endgültig verfügen kann (BFH-Urteil in BFHE 230, 182, BStBl II 2010, 843, m. w. N.).

7. Es ist nicht erforderlich, dass der Gegenstand, um den der Beschenkte bereichert wird, sich vorher in derselben Gestalt im Vermögen des Schenkers befunden hat und wesensgleich übergeht. “Entreicherungsgegenstand” und “Bereicherungsgegenstand” brauchen nicht identisch zu sein (BFH-Urteile vom 13. März 1996 II R 51/95, BFHE 180, 174, BStBl II 1996, 548, und in BFHE 230, 182, BStBl II 2010, 843). Danach kann in der Hingabe von Vermögensgegenständen mittelbar die Schenkung eines anderen Vermögensgegenstandes gesehen werden. Dies setzt voraus, dass der Beschenkte im Verhältnis zum Schenker nicht über das ihm unmittelbar Zugewendete, sondern (erst) über das Surrogat desselben, z.B. über den Verkaufserlös, verfügen kann; denn in diesem Fall ist der Beschenkte nicht um das unmittelbar Hingegebene, sondern erst um den Verkaufserlös bereichert. Dies gilt nicht nur für die Fälle der mittelbaren Grundstücksschenkung, sondern generell bei mittelbarer Schenkung aller als Zuwendungsobjekt in Betracht kommenden Gegenstände oder Rechte (BFH-Urteil in BFHE 230, 182, BStBl II 2010, 843).

8. In der Übertragung von Gesellschaftsanteilen kann die mittelbare SchenkungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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des Erlöses aus einem bereits geplanten Verkauf der Anteile liegen. Dies ist dann der Fall, wenn der Erwerber der Anteile im Verhältnis zum Schenker nur über den Verkaufserlös, nicht aber über die Anteile frei verfügen durfte, sondern sich insoweit den Verfügungen des Schenkers unterzuordnen hatte (BFH-Urteil in BFHE 230, 182, BStBl II 2010, 843).

9. Liegt eine mittelbare SchenkungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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vor, ist sie erst dann i. S. d. § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ausgeführt, wenn die Vermögensverschiebung endgültig ist, also der Beschenkte gegenüber dem Schenker die freie Verfügung über den Gegenstand der freigebigen Zuwendung erhält und insoweit die endgültige Vermögensmehrung des Beschenkten auf Kosten des Schenkers eintritt (BFH-Urteile vom 4. Dezember 2002 II R 75/00, BFHE 200, 406, BStBl II 2003, 273; vom 23. August 2006 II R 16/06, BFHE 213, 399, BStBl II 2006, 786, und vom 27. August 2008 II R 19/07, BFH/NV 2009, 29). Erst im Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung entsteht nach dieser Vorschrift die Schenkungsteuer.

Schlagworte: Bindungswirkung, Erbschaft- und Schenkungsteuer, freigebige Zuwendung, Grundlagenbescheid, Hinterziehungszinsen, mittelbare Schenkung, Steuerhinterziehung, Steuerrecht, Steuerstrafrecht, Vermögensdelikte