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BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2014 – II ZR 119/14

GmbHG § 64

a) Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (§ 64 Satz 1 GmbHG n.F.) sind die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Davon gilt nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. (ebenso nach § 64 Satz 2 GmbHG n.F.) eine Ausnahme für Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Das Verschulden des Geschäftsführers wird vermutet (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2012 – II ZR 243/11, ZIP 2012, 1557 Rn. 10).

b) Der Zweck dieser Vorschrift besteht darin, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern und für den Fall, dass der Geschäftsführer dieser Massesicherungspflicht nicht nachkommt, sicherzustellen, dass das Gesellschaftsvermögen wieder aufgefüllt wird, damit es im Insolvenzverfahren zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger zur Verfügung steht (ständige Rechtsprechung, siehe etwa BGH, Urteil vom 29.11.1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 186; Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265, 1266; Urteil vom 5. Mai 2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rn. 10; Habersack/Foerster, ZHR 178 [2014], 387, 390 ff.).

c) Damit wird von § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG im Regelfall nicht ein Schaden der Gesellschaft erfasst, sondern ein Schaden der künftigen Insolvenzgläubiger. Die verbotswidrigen Zahlungen dienen in der Regel der Erfüllung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft und führen bei dieser nur zur Verkürzung der Bilanzsumme, nicht aber zu einem Vermögensschaden. Verringert wird nur die Insolvenzmasse in dem nachfolgenden Insolvenzverfahren, was zu einem Schaden allein der Insolvenzgläubiger führt (BGH, Urteil vom 20. September 2010 – II ZR 78/09, ZIP 2010, 1988 Rn. 14 – Doberlug; Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957, 959; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., § 64 Rn. 4).

d) Die Haftung nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG setzt im Regelfall die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus. Es ist dann Sache des Insolvenzverwalters, den Anspruch geltend zu machen.

e) Nur ausnahmsweise, etwa wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen oder das Insolvenzverfahren nach Bestätigung eines Insolvenzplans aufgehoben worden ist (BGH, Urteil vom 11. September 2000 – II ZR 370/99, ZIP 2000, 1896, 1897 f.; Urteil vom 7. Juli 2008 – II ZR 26/07, ZIP 2008, 2094 Rn. 8 ff.), kann auch ein Gläubiger oder die Gesellschaft selbst den Anspruch geltend machen.

f) Trotz dieser Ausnahmen ist § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG nach deutschem Rechtsverständnis eine insolvenzrechtliche Norm. So heißt es in der Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 25. Juli 2007 – MoMiG (BT-Drucks. 16/6140 S. 47) in Bezug auf eine Erweiterung der Norm durch einen zusätzlichen Haftungstatbestand in § 64 Satz 3: „Die in diesem Entwurf vorgenommene Erweiterung des § 64 hat einen starken insolvenzrechtlichen Bezug. Dies erleichtert es, § 64 als insolvenzrechtliche Norm zu qualifizieren und gemäß Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) auch in Insolvenzverfahren über das Vermögen ausländischer Gesellschaften anzuwenden, deren Tätigkeitsmittelpunkt in Deutschland liegt. Die Neuregelung trägt so dazu bei, die zum Teil geringeren Gründungsvoraussetzungen ausländischer Gesellschaften zu kompensieren, die bei einer Tätigkeit in Deutschland nicht dem strengen Insolvenzrecht ihres Herkunftsstaats unterliegen“.

g) Nach deutschem Rechtsverständnis bestehen keine Bedenken, § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG auch auf einen Direktor einer Limited im Sinne des englischen und walisischen Rechts anzuwenden. Denn die Limited stimmt mit der deutschen GmbH darin überein, dass die Gesellschafter grundsätzlich nicht mit ihrem persönlichen Vermögen für die Gesellschaftsschulden haften und dass die Geschäfte von einer dafür verantwortlichen, nicht notwendig auch als Gesellschafter beteiligten Person geführt werden. Bei beiden Gesellschaftsformen besteht die Gefahr, dass der Geschäftsführer oder der Direktor nach Insolvenzreife Zahlungen zu Lasten der späteren Insolvenzgläubiger leistet und damit die Insolvenzmasse verkürzt.

h) In der Rechtsprechung der deutschen Gerichte und im deutschen Schrifttum ist jedoch umstritten, ob § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (ebenso § 64 Satz 1 GmbHG n.F.) auf Geschäftsführungsorgane von EU-Auslandsgesellschaften wie der Limited, die den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in Deutschland haben und über deren Vermögen in Deutschland nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, Anwendung findet. Dabei wird darüber gestritten, ob § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG (und § 64 Satz 1 GmbHG neuer Fassung) zum Insolvenz- oder zum Gesellschaftsstatut gehört und ob eine Anwendung der Norm die Niederlassungsfreiheit verletzt.

i) Die herrschende Meinung hält § 64 GmbHG für eine insolvenzrechtliche Vorschrift im Sinne des Art. 4 Abs. 1 EuInsVO (KG, ZIP 2009, 2156, juris Rn. 25 ff.; Weller/Schulz, IPrax 2014, 336; Thole, ZIP 2012, 605, 607; Wais, IPrax 2011, 176; Barthel, ZInsO 2011, 211, 215; Kindler, IPrax 2010, 430, 431; Spahlinger/Wegen in Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 759; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 64 Rn. 21; Casper in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, Erg.Band, § 64 Rn. 35; Servatius in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., IntGesR Rn. 179; Altmeppen in Altmeppen/Roth, GmbHG, 7. Aufl., § 64 Rn. 5; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 18. Aufl., EuInsVO Art. 3 Rn. 42, Art. 4 Rn. 13 f.; K. Schmidt in K. Schmidt/ Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, Rn. 11.34; MünchKommGmbH/H. F. Müller, § 64 Rn. 131; Kolmann in Saenger/Inhester, GmbHG, 2. Aufl, § 64 Rn. 12 f.). Damit, so wird angenommen, sei sie nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO als Teil des deutschen Insolvenzrechts im Rahmen von nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffneten Insolvenzverfahren anwendbar. Die Niederlassungsfreiheit werde durch die Anwendung des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG schon deshalb nicht verletzt, weil die Vorschrift insolvenzrechtlicher Natur sei. Im Übrigen regele sie nicht die Voraussetzungen, unter denen eine EU-Auslandsgesellschaft ihren Verwaltungssitz in Deutschland begründen kön-ne, sondern nur die Rechtsfolgen dieser Entscheidung.

j) Die Gegenmeinung (Bitter, WM 2001, 666, 669 Fn. 34; Poertzgen, NZI 2008, 9. 11 Fn. 18; ders., NZI 2013, 809; Ringe/Willemer, NZG 2010, 56 ff.; Bork in Bork/Schäfer, GmbHG, 2. Aufl., § 64 Rn. 3; wohl auch K. Schmidt, ZHR 168 [2004], 637, 654; in der Tendenz ebenso OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Karlsruhe
, ZIP 2010, 2123 f.; offengelassen von OLG KölnBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Köln
, NZI 2012, 52) verortet § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG dagegen im nationalen deutschen Gesellschaftsrecht. Damit komme die Vorschrift auf EU-Auslandsgesellschaften nicht zur Anwendung. Denn der Gerichtshof der Europäischen Union habe entschieden, dass auf die inneren Verhältnisse von Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gegründet worden seien, ihre hauptsächliche Tätigkeit aber in einem an-deren Mitgliedstaat ausübten, im Rahmen der Niederlassungsfreiheit das Gesellschaftsrecht des Gründungsstaats zur Anwendung komme (EuGH, Slg. 2002, I-9919 = ZIP 2002, 2037 Rn. 52 ff. – Überseering; Slg. 2003, I-10155 = ZIP 2003, 1885 Rn. 95 ff. – Inspire Art). Eine Anwendung des § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG auf Geschäftsführer von EU-Auslandsgesellschaften verstieße damit gegen die Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 49, 54 AEUV.

k) Der Senat sieht in § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG eine insolvenzrechtliche Norm auch im unionsrechtlichen Sinn und kommt damit zu einer Anwendbarkeit auf EU-Auslandsgesellschaften wie die Limited. Zwar setzt die Vorschrift nicht zwingend die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus. Dass der Anspruch außerhalb des Insolvenzverfahrens und von einer anderen Person als dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann, ist aber – auch nach der oben zitierten Gesetzesbegründung – die Ausnahme. Im Regelfall macht der Insolvenzverwalter im Rahmen des Insolvenzverfahrens den Anspruch geltend. Ebenso spricht der Zweck der Vorschrift, das Vermögen der Gesellschaft gegen Abflüsse zu schützen und so im Interesse der späteren Insolvenzgläubiger die Insolvenzmasse zu erhalten, für ein insolvenzrechtliches Verständnis der Norm.

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