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BGH Urteil vom 7. Januar 2008 – II ZR 314/05 – Existenzvernichtender Eingriff

Existenzvernichtender Eingriff

BGB § 826Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
BGB
BGB § 826

a) Zur sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung – auch in der besonderen Form des existenzvernichtenden Eingriffs – bei einem planmäßigen Entzug von Gesellschaftsvermögen der GmbH durch deren Alleingesellschafter.

b) Die das Basisschutzkonzept der §§ 30, 31 GmbHG ergänzende Existenzvernichtungshaftung kann nur missbräuchliche, zur Insolvenz der GmbH führende oder diese vertiefende kompensationslose Eingriffe in das der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienende Gesellschaftsvermögen betreffen.

c) Die Gesellschaft trägt als Gläubigerin (bzw. an ihrer Stelle der Insolvenzverwalter) die Darlegungs- und Beweislast für im Rahmen deliktischer Ansprüche nach § 826 BGB – auch solchen der speziellen Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung –  alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts (vgl. nur BGHZ 30, 226; BGHZ 160, 134, 145; BGH, Urteil vom 16. Juli 2007 aaO S. 1558 Tz. 41 – „Trihotel“).

b) Als Alleingesellschafter und -geschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Alleingesellschafter
Alleingesellschafter und -geschäftsführer
einer Gesellschaft unterliegt er grundsätzlich keinem Wettbewerbsverbot, weil die interessen des Alleingesellschafters von denen der Gesellschaft jedenfalls solange nicht getrennt werden können, als nicht Gläubigerinteressen gefährdet sind (vgl. BGHZ 119, 257, 262; 142, 92, 95).

Leitsatz

Zur sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung – auch in der besonderen Form des existenzvernichtenden Eingriffs – bei einem planmäßigen Entzug von Gesellschaftsvermögen der GmbH (hier: „Vereinnahmung“ von Forderungen) durch deren Alleingesellschafter.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 16. November 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur Zahlung von 69.577,45 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Umfang der Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Das Berufungsgericht hat, soweit es den Beklagten zur Leistung von Schadensersatz in Höhe von 69.577,45 € nebst Zinsen verurteilt hat, dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

I. Das Berufungsgericht hat die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 69.577,45 € auf „§ 826 BGB, weil er der Gesellschaft planmäßig Teile ihres Vermögens entzogen hat“, bzw. auf die „Grundsätze der Haftung des Gesellschafters wegen existenzvernichtenden Eingriffs“ gestützt. Dabei hat es die Schädigungshandlung insbesondere in der Kündigung des Repräsentantenvertrages mit der L-Bank vom 12. März 1997 hinsichtlich des Bereichs der Immobilienverkaufsaufträge der L-Bank und der Überleitung dieses Geschäftsbereichs auf den Beklagten durch dessen neue Vereinbarung mit der L-Bank vom 11. Juni 1997 gesehen. Ein daraus resultierender Schaden zum Nachteil der Gemeinschuldnerin liege darin, dass – nach den gutachtlichen Feststellungen des Sachverständigen H. im Ermittlungsverfahren – der Beklagte selbst an Provisionen im Jahre 1997 100.958,00 DM und im Jahre 1998 102.148,97 DM vereinnahmt habe. Da der Beklagte dieser Feststellung nicht entgegengetreten sei und auch nicht behauptet habe, dass die Provisionseinnahmen nicht im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Vertriebsbeauftragter der L-Bank gestanden hätten oder aus anderen Gründen von der GmbH nach seinem Ausscheiden nicht hätten erzielt werden können, schulde er dem Kläger – unter Abzug eines nach § 287 ZPO geschätzten Unkostenaufwands von 33 % – Schadensersatz in Höhe von 67 % dieser Beträge.

II. Das Berufungsgericht hat, indem es diesen Sachverhalt insgesamt als unstreitig festgestellt hat, unter offensichtlichem Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs erheblichen Sachvortrag des Beklagten übergangen.

Wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, waren bereits der Umfang des Vertriebsauftrages und demzufolge auch die Folgen der vom Beklagten veranlassten Aufhebung jenes Vertrages keineswegs im Sinne der Feststellungen des Berufungsgerichts unstreitig; insbesondere aber war stets bestritten, dass die im Gutachten H. genannten Provisionsbeträge der Schuldnerin zugestanden hätten und damit vom Beklagten zu Unrecht vereinnahmt worden wären.

1. Schon aus dem aufgehobenen Repräsentantenvertrag selbst ergab sich, dass die Repräsentanz allein die Bereiche Wohnungsbaudarlehen, Lebensversicherungen und Bausparen umfasste, während Immobilienverkaufsaufträge der Gemeinschuldnerin nur im Einzelfall erteilt wurden (1.1 des Vertrages); ausgenommen hiervon war vor allem das sonstige Immobilienvermittlungsgeschäft, das der Repräsentant im eigenen Namen betreiben durfte und hinsichtlich dessen er nicht einmal berechtigt war, sich als Repräsentant der L-Bank zu bezeichnen (II. 5 des Vertrages). In diesem Zusammenhang hat der Beklagte stets bestritten, dass die Objekte, für die er nach der Behauptung des Klägers in sittenwidriger Weise der Gemeinschuldnerin zustehende Provisionen vereinnahmt hat, mit dem Repräsentantenvertrag überhaupt etwas zu tun gehabt hätten; sie stünden also auch nicht im Zusammenhang mit der „Überleitung“ des Immobilienvermittlungsbereichs der L-Bank auf sich selbst am 11. Juni 1997. Provisionseinkünfte aus der Vermittlung von Immobilien habe die Gemeinschuldnerin im Zusammenhang mit dem früheren Vertragsverhältnis mit der L-Bank nur in einem einzigen Fall, nämlich im Jahre 1993/1994, erzielt (Beweis: Zeugnis des Direktors der L-Bank P. M.). Demzufolge könne der Kläger kein einziges von der Gemeinschuldnerin im Zusammenhang mit dem Repräsentantenvertrag mit der L-Bank bereits angebahntes Immobiliengeschäft und schon gar keinen konkreten Vertragsabschluss benennen, der nicht mehr der Gemeinschuldnerin, sondern zu Unrecht dem Beklagten persönlich in Zusammenhang mit der Überleitung des Immobilienauftragssektors der L-Bank zugute gekommen sei.

2. Auch soweit sich die Feststellungen des Berufungsgerichts hinsichtlich eines sonstigen planmäßigen Entzugs von Teilen des Vermögens der Gemeinschuldnerin auf die nicht von dem Repräsentantenvertrag umfassten „freien“ Immobilienvermittlungsgeschäfte beziehen sollten, hat der Beklagte die zugrunde liegenden Tatsachen bestritten und behauptet, die vom Berufungsgericht genannten Provisionsbezüge aus den Jahren 1997 und 1998 hätten sich – selbst nach dem Gutachten H. – nicht auf Vermittlungen der Gemeinschuldnerin, sondern auf solche Geschäfte bezogen, die er persönlich mit dem von ihm daneben betriebenen Einzelunternehmen getätigt habe.

Insoweit hat das Berufungsgericht offensichtlich verkannt, dass die seiner Schadensermittlung und -berechnung zugrunde gelegten Provisionsbeträge von 100.958,00 DM für das Jahr 1997 und 102.148,97 DM für das Jahr 1998 schon nach dem Gutachten H. keineswegs als unstreitig der Gemeinschuldnerin zustehend zu behandeln waren. Denn dieser hat den der Gemeinschuldnerin durch den Beklagten im Bereich des Immobiliensektors zugefügten Schaden durch vereinnahmte Provisionen in Zusammenhang mit der Aufhebung des Repräsentantenvertrages lediglich auf „mindestens 17.025,67 DM für die Projekte R. und G.“ veranschlagt. Die Überprüfung der Summen- und Saldenlisten des Einzelunternehmens He. A. der Jahre 1997 und 1998 habe zwar ergeben, dass dieses im Jahre 1997 Provisionseinnahmen von insgesamt 100.958,00 DM und im Jahre 1998 in Höhe von insgesamt 102.148,97 DM zu verzeichnen gehabt habe. Ob darin allerdings etwa der Gemeinschuldnerin für die Objekte G.-W., R. und O. zustehende Provisionen enthalten seien, gehe aus den vorliegenden Unterlagen nicht hervor (Gutachten H., S. 68); an anderer Stelle des Gutachtens H. (S. 69) heißt es weiter, dass außerdem nicht habe festgestellt werden können, ob und in welcher Höhe der Gemeinschuldnerin für bereits begonnene Geschäfte, die die Bauträger bzw. die L-Bank weiter bzw. zu Ende geführt hätten, Provisionen zugestanden hätten. Dies hat der Sachverständige H. in seiner ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 3. September 2002 (S. 4) nochmals bestätigt.

3. Angesichts dieser verfahrensfehlerhaften Grundlage des Berufungsurteils hat die Verurteilung des Beklagten keinen Bestand. Mangels Endentscheidungsreife ist die Sache an das Berufungsgericht zum Zwecke der Sachaufklärung zurückzuverweisen.

III. Für die neue Berufungsverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Eine etwaige – vom Berufungsgericht in Erwägung gezogene – Haftung des Beklagten wegen existenzvernichtenden Eingriffs lässt sich nach der Neuausrichtung des Haftungskonzepts des Senats (vgl. Sen.Urt. v. 16. Juli 2007 – II ZR 3/04, ZIP 2007, 1552 – „Trihotel“) allein auf § 826 BGB stützen.

Insoweit ist zu beachten, dass die das Basisschutzkonzept der §§ 30, 31 GmbHG ergänzende Existenzvernichtungshaftung – nach wie vor – nur missbräuchliche, zur Insolvenz der GmbH führende oder diese vertiefende kompensationslose Eingriffe in das der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienende Gesellschaftsvermögen betreffen kann. Soweit es um eine mögliche Insolvenzverursachung bzw. -vertiefung durch etwaige Vereinnahmung von der Schuldnerin zustehenden Provisionen geht, wird zu beachten sein, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Zusammenhang mit der weitergehenden – rechtskräftigen – Klageabweisung weder eine Zahlungsunfähigkeit noch eine Überschuldung der späteren Gemeinschuldnerin vor dem 15. Mai 1997 vorgelegen hat und dass auch insoweit bis zu diesem Zeitpunkt die Entstehung oder Vertiefung einer Unterbilanz i. S. der §§ 30, 31 GmbHG nicht ersichtlich ist.

2. Freilich kann – unabhängig von den besonderen Voraussetzungen einer Existenzvernichtungshaftung – der Tatbestand des § 826 BGB auch in sonstiger Weise erfüllt sein, sofern die vom Beklagten vereinnahmten Forderungen Bestandteil des Vermögens der Gemeinschuldnerin waren und der Beklagte diese „auf sich umgeleitet hat“.

3. Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast hat das Berufungsgericht – sofern es darauf ankommen sollte – zu beachten, dass diese im Rahmen deliktischer Ansprüche nach § 826 BGB – auch solchen der speziellen Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung – die Gesellschaft als Gläubigerin (bzw. an ihrer Stelle der Kläger als Konkursverwalter) für alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale des Delikts trägt (vgl. nur BGHZ 30, 226; BGHZ 160, 134, 145; Sen.Urt. v. 16. Juli 2007 aaO S. 1558 Tz. 41 – „Trihotel“).

4. Als Alleingesellschafter und -geschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der Gemeinschuldnerin unterlag der Beklagte grundsätzlich keinem Wettbewerbsverbot, weil die interessen des Alleingesellschafters von denen der Gesellschaft jedenfalls solange nicht getrennt werden können, als nicht Gläubigerinteressen gefährdet sind (vgl. BGHZ 119, 257, 262; 142, 92, 95).

5. Hinsichtlich einer – bislang allerdings nicht festgestellten – Durchgriffshaftung (analog § 128 HGB) des Beklagten wegen etwaiger unkontrollierbarer Vermischung des Gesellschaftsvermögens mit dem (Privat-)Vermögen des gleichzeitig betriebenen Einzelunternehmens wird auf die ständige Senatsrechtsprechung verwiesen (Sen.Urt. v. 14. November 2005 – II ZR 178/03, ZIP 2006, 467; BGHZ 125, 366).

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