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BGH, Urteil vom 1. Oktober 1991 – VI ZR 374/90

§ 266a Abs 1 StGB, § 823 Abs 2 BGB, § 23 Abs 1 S 1 SGB 4

a) „Vorenthalten“ im Sinne von § 266a StGB sind Beiträge, die bei Fälligkeit nicht abgeführt worden sind (vgl. Senatsurteil vom 31. Oktober 1989 – VI ZR 54/89 – VersR 1990, 166; BGH, Beschluß vom 10. August 1990 – 3 StR 16/90 – wistra 1990, 353). Die Arbeitnehmerbeiträge, um die es hier geht, waren am 10. Oktober bzw. 10. November 1988 an die Klägerin abzuführen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bestimmt die Satzung der Klägerin, daß die Beiträge jeweils am Zehnten des der Auszahlung der Löhne und Gehälter folgenden Monats an die Klägerin zu entrichten sind. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, daß die Klägerin eine Fristüberschreitung von 8 Tagen akzeptiert habe. Eine stillschweigende Duldung würde nämlich an den genannten Fälligkeitsterminen nichts ändern (vgl.Senatsurteil vom 4. Dezember 1979 – VI ZR 119/78). Nach § 23 Abs. 1 SGB IV ist für die Fälligkeit der Beiträge der in der Satzung bestimmte Zeitpunkt maßgebend. Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kommt es deshalb auch nicht auf den Zeitpunkt der Lohnauszahlung an.

b) Das Berufungsgericht hat indes zu Unrecht auch die subjektiven Voraussetzungen des § 266 a Abs. 1 StGB bejaht. Die Vorschrift verlangt zumindest bedingten Vorsatz (vgl. Dreher/Tröndle, StGB, 45. Aufl., § 266 a Rdn. 20; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB, 23. Aufl, § 266 a Rdn. 17; Martens, wistra 1986, 154, 157; Samson in SK StGB § 266 a Rdn. 56). Das Berufungsgericht hat die Anforderungen, die an dieses Erfordernis zu stellen sind, sowie das Gewicht verkannt, das den Besonderheiten des vorliegenden Falles für die Beurteilung der subjektiven Seite zukommt.

Für den Vorsatz, wie ihn § 266 a Abs. 1 StGB voraussetzt, ist das Bewußtsein und der Wille erforderlich und ausreichend, die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit zu unterlassen (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 1960 – VI ZR 146/59 – VersR 1960, 748, 750). Nach dem Prozeßstoff konnte das Berufungsgericht nicht davon ausgehen, daß der Beklagte bei Fälligkeit der Beiträge am 10. Oktober bzw. 10. November 1988 einen Vorsatz in diesem Sinne gehabt hat.

Allerdings hat der Beklagte als der für die GmbH verantwortlich Handelnde seine Kenntnis sowohl von der Verpflichtung zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge als auch von deren Fälligkeit nicht in Frage gestellt. Dies rechtfertigt jedoch nicht den Schluß, daß er am 10. Oktober bzw. 10. November 1988 die Abführung der fälligen Beiträge bewußt und gewollt unterlassen hat.

Der Beklagte hat behauptet, er habe Anfang Oktober 1988 einen Scheck über die Beiträge für die September-Löhne ausgestellt, der allerdings von der Kreissparkasse nicht eingelöst worden sei; daß er am 10. November 1988 einen weiteren Scheck ausgestellt hat, ist unstreitig. Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts sind solche Zahlungsversuche für die Beurteilung des Vorenthaltungsvorsatzes des Beklagten nicht deshalb ohne Belang, weil mit ihnen angesichts der schlechten finanziellen Lage der GmbH die Gewähr der rechtzeitigen Beitragszahlung nicht verbunden war. Wenn auch das Berufungsgericht festgestellt hat, daß die Kreissparkasse dem Beklagten im Gespräch vom 13. September 1988 die Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge nicht zugesagt hat, so bedeutet dies noch nicht, daß die Versäumung der Zahlungstermine für den Beklagten offenkundig war. Zwischen der Kreissparkasse und der GmbH hatte sich nämlich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Übung entwickelt, Abbuchungen von dem Konto der GmbH zuvor abzustimmen. Da dieses Abstimmungsverfahren dem Zweck diente, die Belastung des Kontos der GmbH auf das für vertretbar erachtete Maß zu begrenzen, konnte der Beklagte erwarten, daß ein in dieses Abstimmungsverfahren einbezogener Scheck auch eingelöst werde. Mag auch, wie das Berufungsgericht ausführt, die Fortsetzung dieses Zusammenspiels zwischen der Kreissparkasse und der GmbH nicht abgesichert gewesen sein, so sind doch keine Gesichtspunkte erkennbar, die den Beklagten hätten veranlassen können damit zu rechnen, daß das Abstimmungsverfahren gerade bei der Einlösung der Schecks versagen werde, die er nach seiner Behauptung bzw unstreitig fristgerecht zur Bezahlung der Sozialversicherungsbeiträge ausgestellt hat. Vielmehr konnte die bisherige Praxis der Zusammenarbeit zwischen der GmbH und der Kreissparkasse bei dem Beklagten durchaus zur Entwicklung eines Vertrauens auf die Fortsetzung dieser Übung führen.

Die Bedeutung dieses Vertrauenstatbestandes für die Prüfung des Vorenthaltungsvorsatzes hat das Berufungsgericht verkannt; seine Erwägungen tragen deshalb nicht den Vorwurf, der Beklagte habe die Sozialversicherungsbeiträge bei Fälligkeit vorsätzlich nicht abgeführt. Entsprechendes gilt für den bedingten Vorsatz. Wegen der finanziellen Lage der GmbH mag es der Beklagte für möglich gehalten haben, daß die Kreissparkasse in Abkehr von der bisherigen Übung den – nach seiner Behauptung rechtzeitig Anfang Oktober 1988 ausgestellten – Scheck über die Sozialversicherungsbeiträge trotz der Abstimmung über seine Ausstellung nicht einlösen werde; angesichts der bisherigen Praxis der Kreditgewährung durch die Kreissparkasse konnte er jedoch darauf vertrauen, daß dies nicht geschehen werde. Wenn das Berufungsgericht gleichwohl dem Beklagten bedingten Vorsatz vorwerfen wollte, hätte es zur Willensrichtung des Beklagten besonders feststellen und begründen müssen, warum er auf die Bezahlung des Schecks nicht etwa – sei es auch leichtfertig – vertraut, sondern eine Nichtzahlung der Beiträge billigend in Kauf genommen oder sich mit ihr wenigstens abgefunden hat. Dasselbe gilt für den am 10. November 1988 ausgestellten Scheck, wenn das Abstimmungsverfahren zwischen der GmbH und der Kreissparkasse auch noch zu diesem Zeitpunkt praktiziert worden ist.

Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall in einem wesentlichen Punkt von dem Sachverhalt, der dem Senatsurteil vom 4. Dezember 1979 (VI ZR 186/78 – VersR 1980, 647 f.) zugrunde lag. In jenem Fall sind die Geschäftsführer ihrer Verpflichtung zur Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung bewußt nicht nachgekommen, während im vorliegenden Fall bisher nicht ausgeschlossen ist, daß der Beklagte im Vertrauen auf die Fortsetzung einer ständigen Kreditierungspraxis Schecks zur Bezahlung der geschuldeten Beiträge ausgestellt hat.

Schlagworte: Außenhaftung, Fälligkeit, Haftung wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen gem. § 266a StGB, Verletzung von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB, Verschulden, Vorenthalten