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BGH, Urteil vom 10. März 2003 – II ZR 163/02 

§ 86 Abs 2 S 1 AktG vom 19.12.1985, § 86 Abs 2 S 2 AktG vom 06.09.1965, Art 1 Nr 4 TranspPublG

Eine vor der Aufhebung des § 86 AktG (durch Art. 1 TrPublG v. 19. Juli 2002, BGBl. I S. 2681) mit dem Vorstand einer AG geschlossene Tantiemevereinbarung, die an den „Cash-Flow“ anknüpft und diesen ausdrücklich als „Jahresüberschuß gemäß § 86 AktG + Abschreibungen + ergebnisneutrale Subventionen“ definiert, ist hinsichtlich ihres von § 86 Abs. 2 Satz 1 AktG abweichenden Teils gemäß Satz 2 dieser Vorschrift nichtig.

Die Revision bleibt erfolglos.

I. Das Berufungsgericht ist – ebenso wie das Landgericht – zutreffend davon ausgegangen, daß Tantiemeansprüche des Klägers für die Jahre 1996 bis 1998 nicht bestünden, weil die Beklagte in diesen Jahren keine Überschüsse im Sinne von § 2 des Anstellungsvertrages des Klägers i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 1 AktG erzielt habe und die Vereinbarung eines Tantiemeanteils an den Abschreibungen der Beklagten (sowie an – hier nicht gegebenen – ergebnisneutralen Subventionen) als Zuschlag zu der an § 86 Abs. 2 Satz 1 AktG orientierten Tantieme gemäß Satz 2 dieser Vorschrift nichtig sei.

1. Die Aufhebung des § 86 AktG durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 19. Juli 2002 (BGBl. 2002, I 2681) kann einer – wie hier – in der Zeit davor abgeschlossenen und gegen § 86 Abs. 2 Satz 1 AktG verstoßenden Tantiemevereinbarung nicht zur Wirksamkeit verhelfen.

2. Ohne Erfolg rügt die Revision, § 86 AktG sei hier schon deshalb nicht anwendbar, weil die Beklagte bei Abschluß des Dienstvertrages mit dem Kläger vom 4. Oktober 1994 sowie bei Aufnahme seiner Diensttätigkeit am 1. März 1995 noch in der Rechtsform der GmbH existiert habe und erst danach im Lauf des Jahres 1995 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden sei. Abgesehen davon, daß der Kläger nach den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsurteils (§ 314 ZPO) ab 1. März 1995 „Vorstandsmitglied der Beklagten“ war, ist die Umwandlungsabsicht bereits in der Präambel des Dienstvertrages des Klägers verlautbart, mit der Maßgabe, daß er allenfalls interimistisch als „Geschäftsführer des Unternehmens“ fungieren sollte, falls die Umwandlung nicht bis 30. Juni 1995 erfolgt sein sollte. Nach § 1 des Dienstvertrages sollte er nach der Umwandlung durch Beschluß des Aufsichtsrats zum Vorstandsmitglied bestellt werden. Angesichts des von vornherein auf die Vorstandstätigkeit des Klägers in der AG abgestimmten Dienstvertrages kann keine Rede davon sein, daß die Tantiemeabrede Bestandteil eines Geschäftsführeranstellungsvertrages war und daher von der Umwandlung der Beklagten in eine AG unberührt bleiben müßte. Vielmehr waren die aktienrechtlichen Bestimmungen über die Vorstandsvergütung nach der Zweckrichtung des Anstellungsvertrages von vornherein auf diesen anzuwenden.

3. Entgegen der Ansicht der Revision fiel die vorliegende Tantiemevereinbarung aus dem Anwendungsbereich des § 86 AktG auch nicht deshalb heraus, weil sie nur mittelbar auf den „Jahresüberschuß“ im Sinne von § 86 AktG abstellt und im übrigen den – in der Betriebswirtschaftslehre noch nicht eindeutig konturierten und in seiner Komplexität über die Definitionsmerkmale im Anstellungsvertrag des Klägers erheblich hinausgehenden (vgl. Burger/Buchhart, WPg 2001, 801) – Begriff des „Cash-Flow“ verwendet.

a) Zwar mag der Cash-Flow, wie die Revision (u.a. unter Hinweis auf Burger/Buchhart aaO; Knorren/Weber, Shareholder-Value 1997, S. 9; Grewe in: WP-Handbuch 1996, Rdn. O 123) ausführt, eine im Rahmen der Jahresabschlußanalyse bedeutsame Maßgröße für die „finanzwirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens“ darstellen. Dies und die betriebswirtschaftliche Unterscheidung zwischen Cash-Flow und Gewinn besagt aber für die Zulässigkeit der vorliegenden Tantiemevereinbarung noch nichts. Die Definition des Cash-Flow in dem Anstellungsvertrag gehört zum Vertragsinhalt und ist daher – unabhängig von ihrer fraglichen Allgemeingültigkeit – im Verhältnis der Parteien zueinander maßgebend. Dabei ändert die Bezeichnung „tantiemepflichtiger Cash-Flow“ nichts daran, daß als Bemessungsgrundlage für die „erfolgsbezogene Tantieme“ der u.a. um die Abschreibungen erhöhte Jahresüberschuß im Sinne von § 86 Abs. 2 AktG und damit eine auf den Jahresgewinn bzw. Jahresüberschuß bezogene Tantieme vereinbart worden ist, auf die § 86 Abs. 2 AktG Anwendung findet (vgl. KK-AktG/Mertens, 2. Aufl. § 86 Rdn. 6). Die Hinzurechnung der AfA zu dem Jahresüberschuß entspricht ihrer Eliminierung als Abzugsposten aus dem Gliederungsschema der GuV gemäß § 275 HGB (dort Abs. 2 Nr. 7), dessen (uneingeschränkte) Anwendung aber § 86 Abs. 2 AktG bei gewinnbezogenen Tantiemen gerade forderte (vgl. Hüffer, AktG 5. Aufl. § 86 Rdn. 6). Hätten die Parteien unmittelbar vereinbart, daß der Jahresüberschuß unter Hinzurechnung der Abschreibungen Bemessungsgrundlage für die Tantieme sein sollte, so wäre das sicherlich eine § 86 Abs. 2 Satz 1 AktG „entgegenstehende“ und damit nach Satz 2 der Vorschrift nichtige „Festsetzung“. Eine Tantiemevereinbarung, welche (mittelbar oder unmittelbar) an den Jahresüberschuß anknüpft und diesen um bestimmte Posten (hier Abschreibungen) zu Lasten der AG bereinigt, unterlag nach dem Wortlaut und Schutzzweck des § 86 Abs. 2 AktG dieser Vorschrift (vgl. KK-AktG/Mertens aaO, Rdn. 6 sowie Seibert/Kiem/Bommert, Handbuch der kleinen AG 4. Aufl. Rdn. 408 mit rechtspolitischer Kritik hieran, die aber an der hier maßgebenden Gesetzeslage nichts ändern kann). Das kann bei Verwendung eines entsprechend definierten Zwischenbegriffs wie hier des „Cash-Flow“ als Bemessungsgrundlage nicht anders sein. Anderenfalls könnte der Schutz des § 86 AktG durch beliebige Bezeichnungen unterlaufen werden.

b) Zwar konnte § 86 Abs. 2 AktG nach der Rechtsprechung des Senats abbedungen werden, sofern die der Sicherung der Aktiengesellschaft dienenden Grenzen dieser Vorschrift materiell nicht berührt wurden (BGHZ 145, 1, 3). Unter dieser Voraussetzung hat der Senat dividendenabhängige Tantiemen für zulässig erachtet, die im Ergebnis an den verteilungsfähigen Bilanzgewinn (§§ 58 Abs. 4, 158 AktG) anknüpfen, den Vorstand insoweit den Aktionären gleich und die Gesellschaft besser stellen, als dies bei einer Anknüpfung an den Jahresüberschuß gemäß §§ 86 Abs. 2 AktG, 275 Abs. 3 HGB der Fall wäre (vgl. BGHZ 145, 1, 4; Rottnauer, NZG 2001, 1009 f.). Dagegen stellt die Tantiemeregelung des vorliegenden Falles, die in der Lesart des Klägers – entgegen ihrem Wortlaut – den Vorstand selbst bei einem negativen Jahresergebnis an sämtlichen Abschreibungen partizipieren lassen soll, die Gesellschaft zweifellos schlechter als nach § 86 Abs. 2 AktG. Ob die Tantiemeklausel demgegenüber bei Fehlen eines Jahresüberschusses überhaupt zum Zuge kommt, erscheint allerdings nach ihrem Wortlaut zumindest zweifelhaft. Selbst wenn man sie so auslegte, daß die Abschreibungen dem – positiven oder negativen – Jahresergebnis hinzugerechnet werden sollten, bliebe die Bemessungsgrundlage ergebnis- und damit im Sinne von § 86 Abs. 2 AktG „gewinnabhängig“ (vgl. KK-AktG/Mertens aaO, § 86 Rdn. 6 m.w.N.) und würde die Gesellschaft schlechter gestellt als nach § 86 Abs. 2 AktG, weil in beiden Fällen die Tantieme ganz oder zum Teil aus einem Werteverzehr bzw. aus den zu dessen Ausgleich bestimmten Einnahmen gespeist würde, was der Intention des § 86 Abs. 2 AktG widersprach. Seine Vorgängervorschriften, § 237 HGB 1897 sowie § 77 Abs. 2 AktG 1937, bestimmten noch ausdrücklich, daß eine am Jahresgewinn orientierte Tantieme nach dem „Reingewinn“ zu bemessen ist, der sich u.a. „nach Vornahme der Abschreibungen“ ergibt. Durch § 86 AktG 1965 wurde lediglich der früher umstrittene Begriff des „Reingewinns“ durch den des Jahresüberschusses i.V.m. § 157 a.F. AktG (jetzt § 275 HGB) ersetzt, was zwar zu einem höheren Ausgangsbetrag für die Ermittlung einer Gewinnbeteiligung führte (vgl. KK-AktG/Mertens aaO, § 86 Rdn. 1), aber an dem Abzugserfordernis für Abschreibungen und damit an der Unzulässigkeit einer „Abschreibungstantieme“, wie sie der Kläger fordert, nichts ändert.

c) Mit einer garantierten Tantieme, die der Sache nach regelmäßig ein nur für das Ruhegehalt zu unterscheidender Teil der festen Bezüge ist, ist die vorliegende variable Tantieme ebensowenig vergleichbar wie mit einer (vom Aufsichtsrat zu bemessenden) Ermessenstantieme (vgl. zur GmbH Sen.Urt. v. 9. Mai 1994 – II ZR 128/93, WM 1994, 1245), die sich überdies ebenfalls an die Obergrenze der Berechnungsgrundlage des § 86 Abs. 2 AktG halten müßte (vgl. KK-AktG/Mertens aaO, § 86 Rdn. 5). Des weiteren ist die ausdrücklich am Jahresüberschuß gem. § 86 AktG zuzüglich Abschreibungen orientierte Tantieme auch mit einer Umsatztantieme nicht vergleichbar, deren Zulässigkeit zudem im Schrifttum nicht unumstritten war (vgl. Hüffer aaO, § 86 Rdn. 4) und von dem erkennenden Senat selbst im GmbH-Recht nur unter einschränkenden Kautelen bejaht worden ist (Urt. v. 4. Oktober 1976 – II ZR 204/74, WM 1976, 1226 f.).

4. Schließlich verhilft auch der Umstand, daß die Tantiemeregelung in dem vor der Umwandlung der Beklagten in eine AG geschlossenen Dienstvertrag von den beiden damaligen GmbH-Gesellschaftern und jetzigen Alleinaktionären der Beklagten konsentiert worden ist, der Revision nicht zum Erfolg. § 86 Abs. 2 AktG diente dem Schutz der Aktiengesellschaft als solcher und stand daher nicht zur Disposition der bei Abschluß der Tantiemevereinbarung vorhandenen Gesellschafter bzw. Aktionäre, zumal ihre Aktionärsstellung jederzeit im Wege der Veräußerung auf Dritte übergehen kann.

5. Nach allem ist die vorliegende Tantiemevereinbarung nach § 86 Abs. 2 Satz 2 AktG insoweit nichtig, als sie von Satz 1 der Vorschrift abweicht (vgl. Hüffer aaO, § 86 Rdn. 7 m.w.N.). Dies hat zur Folge, daß dem Kläger kein Anspruch auf eine Tantieme für die Jahre 1996 bis 1998 zusteht und die Beklagte mit einem Rückforderungsanspruch aus § 812 Abs. 1 BGB wegen der rechtsgrundlos bezahlten Tantieme für das Jahr 1996 gegenüber dem Anspruch des Klägers auf Karenzentschädigung aufrechnen konnte. Auf einen Wegfall der Bereicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) beruft sich der Kläger in der Revisionsinstanz ausdrücklich nicht mehr. Auch die Folgerichtigkeit der Berechnung des nach der Aufrechnung noch verbleibenden Karenzentschädigungsanspruchs durch das Berufungsgericht beanstandet die Revision ausdrücklich nicht. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Schlagworte: Gewinnbeteiligung Aufsichtsrat