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BGH, Urteil vom 14. Juli 1966 – II ZR 212/64

angemessene Beschäftigung

§ 626 BGB, § 75 AktG

Hat ein Vorstandsmitglied den Widerruf seiner Bestellung verschuldet, so muß es sich uU mit einer seinen Kenntnissen und Fähigkeiten angemessenen anderen leitenden Stellung zufrieden geben, wenn es eine sofortige Kündigung auch des Anstellungsvertrages vermeiden will.

Allerdings durfte sich der Kläger nicht auf den irrigen Standpunkt stellen, er habe nach wie vor einen vertraglichen Anspruch auf Beschäftigung als Vorstandsmitglied und könne deshalb ohne Rechtsnachteil jede andere Tätigkeit für die Beklagte ablehnen. Hat ein Vorstandsmitglied, wie hier der Kläger, seine Abberufung aus diesem Amt selbst zu verantworten, und hat er mithin die tatsächliche Grundlage für seine Weiterbeschäftigung in bisheriger Weise schuldhaft zerstört, so kann er grundsätzlich nicht auf der anderen Seite verlangen, daß die Gesellschaft auf seine Dienste künftig überhaupt verzichtet, trotzdem aber ihre eigenen Verpflichtungen, insbesondere zur Gehaltszahlung, einseitig weiter erfüllt. Vielmehr muß er sich, wenn er auf den Fortbestand des Dienstverhältnisses Wert legt, unter Umständen mit einer seinen Kenntnissen und Fähigkeiten angemessenen anderen leitenden Stellung zufriedengeben, die zwar der eines Vorstandsmitglieds an Unabhängigkeit und Ansehen nicht gleichrangig ist, ihr aber im Rahmen des Möglichen wenigstens nahekommt (vgl. Schmidt in Großkomm AktG 2. Aufl. § 75 Anm. 16; zur Rechtslage im Arbeitsrecht: Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts 7. Aufl. § 56 IV 2 Fußn. 33 a m.w.N.). Das gilt – jedenfalls bei selbstverschuldeter Entlassung – entgegen der Auffassung der Revision nicht nur für den Fall, daß der Anstellungsvertrag von vornherein das Vorstandsmitglied für den Fall des Widerrufs der Bestellung zu einer anderen Tätigkeit verpflichtet. Lehnt das entlassene Vorstandsmitglied eine ihm vorgeschlagene, im vernünftigen Interesse beider Teile liegende Lösung ab, so läuft es Gefahr, daß damit eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses für die Gesellschaft überhaupt unzumutbar wird und sie deshalb jetzt auch einen wichtigen Grund zur Kündigung des Anstellungsvertrages hat.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung der Revision im übrigen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Frankfurt (Main) vom 23. Juni 1964 teilweise aufgehoben und wie folgt neu gefaßt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts in Frankfurt (Main) vom 2. Mai 1963 im Kostenpunkt und wegen des Zahlungsanspruchs dahin abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger über die ihm bereits zuerkannten 13.755 DM mit Zinsen hinaus weitere 5.790 DM mit 4 % Zinsen von jeweils 2.316 DM seit dem 1. Februar und dem 1. März 1963 und weiterhin von 1.158 DM seit dem 1. Mai 1963 zu zahlen. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Kosten der ersten beiden Rechtszüge werden zu 2/3 dem Kläger und zu 1/3 der Beklagten, die Kosten der Revisionsinstanz zu 3/5 dem Kläger und zu 2/5 der Beklagten auferlegt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger war seit dem 1. Oktober 1957 stellvertretendes und später ordentliches Vorstandsmitglied der beklagten Krankenkasse, eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit. Sein Dienstverhältnis war durch einen Anstellungsvertrag vom 30. März 1957/28. Dezember 1959 geregelt. Am 28. September 1961 verlängerte der Aufsichtsrat der Beklagten die Bestellung auf weitere fünf Jahre.

In den Jahren 1961/62 errichtete die Beklagte in F (…) einen Hotelbau. Nach dem Vortrag des Klägers deutete ihm ein Mitarbeiter des Architekten von Herbst 1961 bis März 1962 wiederholt an, der Vorstandsvorsitzende der Beklagten, A, habe sich bei einem eigenen Bauvorhaben auf Kosten der Beklagten persönliche Vorteile verschafft. Eine ähnliche Beschuldigung erhob er im Februar 1962 auch gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden H. Der Kläger unternahm zunächst nichts. Ende März 1962 zog er ein ehrenamtliches Vorstandsmitglied ins Vertrauen. Am 7. April 1962 unterrichtete er den ihm aus seiner früheren Tätigkeit bekannten zuständigen Abteilungsleiter im Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen; dieser forderte unter dem 11. Juli 1962 vom Aufsichtsrat der Beklagten einen Bericht an. Am 14. Mai 1962 sprach der Kläger über die Angelegenheit außerdem mit dem Wirtschaftsprüfer der Beklagten, M. Dieser unterrichtete alsbald die Vorsitzenden des Aufsichtsrats und des Vorstands der Beklagten, H und A. In der nächsten Aufsichtsratssitzung am 18. Mai 1962 brachte der Kläger die gegen A und H erhobenen Vorwürfe nicht zur Sprache, auch nachdem ihn H gefragt hatte, ob noch etwas vorzubringen sei. In der folgenden Sitzung vom 29. Mai 1962 wurden dann die Vorwürfe behandelt und der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende mit einer Untersuchung beauftragt. Mit einem Bericht an das Aufsichtsamt fand darauf die Angelegenheit insoweit ihren Abschluß.

Am 16. Juli 1962 beschloß der Aufsichtsrat nach Anhörung des Klägers, seine Bestellung als Vorstandsmitglied mit sofortiger Wirkung zu widerrufen, den Dienstvertrag jedoch bestehen zu lassen und den Kläger bis zur Entscheidung über eine anderweitige Verwendung zu beurlauben. Das Gehalt wurde bis einschließlich August 1962 weitergezahlt. Am 24. August 1962 forderte die Beklagte den Kläger auf, seine Tätigkeit am 3. September 1962 wieder aufzunehmen und sich mit A in Verbindung zu setzen. Auf eine fernmündliche Anfrage erhielt der Rechtsanwalt des Klägers die Auskunft, der Kläger solle in der Buchhaltung oder ähnlich beschäftigt werden. Eine nochmalige Aufforderung der Beklagten, seine Tätigkeit bis zum 10. September 1962 wieder aufzunehmen, befolgte der Kläger nicht, sondern antwortete durch seinen Rechtsanwalt, der Anstellungsvertrag sehe nur seine Beschäftigung als Vorstandsmitglied vor; zu einer Tätigkeit in der Buchhaltung sei er nicht verpflichtet. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben ihres Anwalts vom 5. und 10. Oktober 1962 den Anstellungsvertrag.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß seine Abberufung als Vorstandsmitglied und die Kündigung des Anstellungsvertrags unwirksam seien. Ferner hat er die Beklagte auf Zahlung seines (jeweils am Schluß des Monats fälligen) Gehalts von September 1962 bis Januar 1963 einschließlich des Weihnachtsgeldes in Höhe von insgesamt 13.755 DM mit Zinsen in Anspruch genommen. Gegenüber dem Vorwurf der Beklagten, seine Berichtspflicht verletzt zu haben, hat er geltend gemacht, er habe sich in einer heiklen Lage befunden, in der ihm nichts anderes übriggeblieben sei, als sich so zu verhalten, wie er es getan habe. Denn sowohl der Vorstand als auch der Aufsichtsrat seien, abgesehen von den beiden beschuldigten Vorsitzenden und ihm selbst, nur mit Landwirten besetzt gewesen, die unter dem starken Einfluß der Vorsitzenden gestanden hätten. Die Kündigung sei unberechtigt. Eine Tätigkeit unter Vorstandsebene sei für ihn unzumutbar gewesen.

Das Landgericht hat dem Zahlungsantrag des Klägers stattgegeben und festgestellt, daß die Kündigung des Anstellungsvertrages unwirksam sei; den weiteren Feststellungsantrag hat es abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers, mit der er u.a. seine Zahlungsklage auf das Gehalt für Februar bis August 1963 in Höhe von 16.212 DM mit Zinsen ausgedehnt hatte, zurückgewiesen und auf die Berufung der Beklagten die Klage ganz abgewiesen. Mit der Revision, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet, verfolgt der Kläger seinen Zahlungsanspruch sowie seine Feststellungsklage nur insoweit weiter, als sie sich gegen die Kündigung des Anstellungsvertrages richtet.

Entscheidungsgründe

I. Das Berufungsgericht hält nicht nur die Abberufung des Klägers aus seinem Vorstandsamt nach § 75 Abs. 3 AktG 1937 i. Verb. m. § 34 Abs. 1 VAG, sondern auch die Kündigung des Anstellungsvertrages aus wichtigem Grund nach § 626 BGB für wirksam. Es sieht eine schwere und schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers darin, daß er auf die schon im Herbst 1961 gegen A und später auch gegen H erhobenen Beschuldigungen zunächst nichts veranlaßt, den Aufsichtsrat, zumindest seinen stellvertretenden Vorsitzenden, entgegen § 81 AktG 1937 nicht von sich aus unterrichtet, statt dessen aber schon mit Außenstehenden über jene Beschuldigungen gesprochen und sogar eine amtliche Untersuchung durch die Aufsichtsbehörde ausgelöst habe. Hierdurch habe der Kläger, so meint das Berufungsgericht, die Vertrauensgrundlage schuldhaft so sehr zerstört, daß der Beklagten die Fortsetzung auch des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden könne. Diese Begründung trägt das angefochtene Urteil nicht.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dem Kläger kein erheblicher Vorwurf daraus zu machen, daß er nicht schon im Herbst 1961 etwas unternommen hat, als ihm D das erste Mal geheimnisvoll andeutete, es sei beim Hausbau A unkorrekt zugegangen. Diese Andeutungen waren so vage, daß der Kläger sie zunächst als leeres Gerede ansehen durfte, das, wie die Beklagte selbst vorgetragen hat, keine sachliche Grundlage hatte, und mit dem er deshalb die anderen Vorstandsmitglieder und den Aufsichtsrat nicht zu behelligen brauchte. Daß D dieses Gerede damals noch an anderer Stelle verbreitet habe und deshalb im Interesse des Ansehens der Beklagten sofort hätte eingeschritten werden müssen, ist nicht vorgetragen.

2. Ernster waren die Beschuldigungen zu nehmen, die D dann im Februar und März 1962 gegen Hepp und Ahrens erhob. Denn hierbei machte er nähere Angaben über erhebliche Preisvergünstigungen, die sich die beiden Beschuldigten bei eigenen Bauvorhaben zu Lasten der Beklagten verschafft haben sollten. Diese Angaben, mochten sie glaubhaft sein oder nicht, durfte der Kläger nicht mehr auf sich beruhen lassen, sondern er mußte ihnen nachgehen, weil in jedem Falle ein Schaden, sei es für das Vermögen, sei es für den Ruf der Beklagten, zu befürchten war. Das bedeutet jedoch nicht, daß er die Äußerungen Ds sofort und ungeprüft dem Aufsichtsrat hätte berichten müssen, wie das Berufungsgericht angenommen hat. Als eigenverantwortliches Vorstandsmitglied hatte der Kläger zunächst selber den Sachverhalt zu prüfen und zu überlegen, was in dieser Angelegenheit zu tun sei. Wenn er auf Grund dieser pflichtgemäßen Überlegungen und nach Rücksprache mit einem anderen Vorstandsmitglied zu dem Entschluß gekommen ist, die Schlußrechnung über den Hotelbau der Beklagten abzuwarten, weil erst dann eine zuverlässige Grundlage für genauere Feststellungen vorhanden und bis dahin ein weiterer Schaden für die Beklagte nicht zu erwarten sei, so war dies eine sachgerechte Entscheidung. Denn auf diese Weise war am besten Klarheit zu gewinnen, ob und inwiefern es sich in der Tat um eine wichtige, der Berichtspflicht des Vorstands unterliegende Angelegenheit handelte, und welche weiteren Schritte zu unternehmen oder dem Aufsichtsrat vorzuschlagen waren. Gerade dem Kläger, dem nach der Geschäftsordnung des Vorstands das Kassen- und Rechnungswesen, die Statistik und die Haus- und Vermögensverwaltung zugewiesen waren, oblag eine solche Prüfung in erster Linie.

Hinzu kommt die zwiespältige Lage, die sich für den Kläger daraus ergab, daß die Vorsitzenden des Aufsichtsrats und des Vorstands verdächtigt worden waren. Je nachdem, was eine nähere Untersuchung der gegen sie erhobenen Vorwürfe ergab, konnte es sich empfehlen, entweder sie selbst zu unterrichten und ihnen hierdurch Gelegenheit zu geben, gegen den Urheber der Verdächtigungen vorzugehen, oder aber zunächst nur den stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats zu verständigen und ihm alles weitere zu überlassen. Auch aus diesem Grund verbot sich ein voreiliges Handeln.

3. Ebensowenig trifft den Kläger der Vorwurf, er hätte den Wirtschaftsprüfer M nicht ins Vertrauen ziehen dürfen. M stand zur Beklagten in einem besonderen Vertrauens- und Treueverhältnis (vgl. BGHZ 16, 17, 25) und war zur Verschwiegenheit verpflichtet. Aus diesem Grund und wegen seiner Sachkunde war er besonders geeignet, den Kläger bei der beabsichtigten Nachprüfung der Bauabrechnungen zu unterstützen. Es war daher unter den gegebenen Umständen sachlich vertretbar, wenn nicht sogar zweckmäßig, noch vor einer Unterrichtung des Aufsichtsrats seine Hilfe in Anspruch zu nehmen.

4. Hingegen ist mit dem Berufungsgericht eine erhebliche Pflichtwidrigkeit des Klägers darin zu sehen, daß er entgegen seiner ursprünglichen Absicht, die Schlußrechnung über den Hotelbau abzuwarten, unter Umgehung des Aufsichtsrats die Aufsichtsbehörde verständigt, hierdurch eine amtliche Untersuchung ausgelöst und so das Ansehen der Beklagten aufs Spiel gesetzt hat. Ein hinreichender Grund hierfür bestand umso weniger, als sich in diesem Augenblick noch gar nicht übersehen ließ, ob für die Vorwürfe gegen H und A irgendwelche tatsächlichen Anhaltspunkte bestanden. Durch sein Verhalten enttäuschte der Kläger das besondere Vertrauen, auf Grund dessen er in sein selbständiges und verantwortungsvolles Vorstandsamt berufen worden war. Das rechtfertigte gemäß § 75 Abs. 3 AktG 1937 seine Abberufung aus diesem Amt. Insoweit ist das Berufungsurteil im Ergebnis richtig und von der Revision auch nicht angegriffen.

Jedoch kann dem Berufungsgericht nicht auch darin gefolgt werden, daß der Kläger schon durch die pflichtwidrige Einschaltung des Aufsichtsamts zugleich einen wichtigen Grund zur Kündigung des Anstellungsvertrages gegeben habe. Bei der nach § 626 BGB gebotenen Abwägung, ob der Beklagten nach den gesamten Umständen und nach verständigem Ermessen zuzumuten war, das Anstellungsverhältnis mit dem Kläger fortzusetzen, fällt zugunsten des Klägers wesentlich ins Gewicht, daß er sich, wie schon erwähnt, vor eine ungewöhnlich heikle Lage gestellt sah, die geschickt zu meistern sehr viel Takt, Überlegenheit und Entschlußkraft erforderte. Wenn er in dieser schwierigen Lage versagt hat und vorwerfbar, aber ohne ersichtlich böse Absicht, einen falschen mit seinen Vorstandspflichten unvereinbaren Weg gegangen ist, so mag er dadurch als Vorstandsmitglied für die Beklagte untragbar geworden sein. Das schließt aber nicht aus, daß der Beklagten seine Weiterbeschäftigung außerhalb ihres Vorstands, also an einer Stelle, die ihm nicht in gleicher Weise wie ein Vorstandsamt selbstverantwortliche Entscheidungen und eine besonders enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit anderen Vorstandsmitgliedern und dem Aufsichtsrat abforderte, noch zuzumuten war. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß der Kläger sich mit seiner ganzen wirtschaftlichen Existenz auf den Bestand des Vertrages eingestellt hatte. Da er bei seiner Entlassung bereits 53 Jahre alt war und überdies bei allen künftigen Bewerbungen gegen den ungünstigen Eindruck dieser Entlassung anzukämpfen hatte, war es für ihn besonders schwer, eine neue Stellung zu finden, die seiner Vorbildung und Berufserfahrung einigermaßen entsprach und ihm und seiner Familie eine genügende wirtschaftliche Sicherheit bot.

Unter diesen Umständen konnten die Gründe, aus denen der Aufsichtsrat der Beklagten am 16. Juli 1962 die Bestellung des Klägers zum Vorstandsmitglied widerrufen hat, für sich allein nicht zugleich auch die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages rechtfertigen. Der Beschluß des Aufsichtsrats, diesen Vertrag vorerst bestehen zu lassen, entsprach daher der Rechtslage.

II. Das Berufungsgericht meint weiter, der Kläger habe auch dadurch Anlaß zur Kündigung gegeben, daß er von vornherein jede weitere Tätigkeit für die Beklagte außerhalb ihres Vorstands abgelehnt habe. Soweit es hierin eine zusätzliche Rechtsgrundlage bereits für die am 5. und 10. Oktober 1962 ausgesprochene Kündigung sieht, vermag sich der Senat dieser Auffassung ebenfalls nicht anzuschließen.

1. Allerdings durfte sich der Kläger nicht auf den irrigen Standpunkt stellen, er habe nach wie vor einen vertraglichen Anspruch auf Beschäftigung als Vorstandsmitglied und könne deshalb ohne Rechtsnachteil jede andere Tätigkeit für die Beklagte ablehnen. Hat ein Vorstandsmitglied, wie hier der Kläger, seine Abberufung aus diesem Amt selbst zu verantworten, und hat er mithin die tatsächliche Grundlage für seine Weiterbeschäftigung in bisheriger Weise schuldhaft zerstört, so kann er grundsätzlich nicht auf der anderen Seite verlangen, daß die Gesellschaft auf seine Dienste künftig überhaupt verzichtet, trotzdem aber ihre eigenen Verpflichtungen, insbesondere zur Gehaltszahlung, einseitig weiter erfüllt. Vielmehr muß er sich, wenn er auf den Fortbestand des Dienstverhältnisses Wert legt, unter Umständen mit einer seinen Kenntnissen und Fähigkeiten angemessenen anderen leitenden Stellung zufriedengeben, die zwar der eines Vorstandsmitglieds an Unabhängigkeit und Ansehen nicht gleichrangig ist, ihr aber im Rahmen des Möglichen wenigstens nahekommt (vgl. Schmidt in Großkomm AktG 2. Aufl. § 75 Anm. 16; zur Rechtslage im Arbeitsrecht: Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts 7. Aufl. § 56 IV 2 Fußn. 33 a m.w.N.). Das gilt – jedenfalls bei selbstverschuldeter Entlassung – entgegen der Auffassung der Revision nicht nur für den Fall, daß der Anstellungsvertrag von vornherein das Vorstandsmitglied für den Fall des Widerrufs der Bestellung zu einer anderen Tätigkeit verpflichtet. Lehnt das entlassene Vorstandsmitglied eine ihm vorgeschlagene, im vernünftigen Interesse beider Teile liegende Lösung ab, so läuft es Gefahr, daß damit eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses für die Gesellschaft überhaupt unzumutbar wird und sie deshalb jetzt auch einen wichtigen Grund zur Kündigung des Anstellungsvertrages hat.

2. Jedoch konnte sich die Beklagte bei ihren Kündigungserklärungen vom 5. und 10. Oktober 1962 darauf, daß der Kläger die Weiterarbeit auf einem geeigneten anderen Posten verweigert habe, deshalb nicht berufen, weil sie ihm einen solchen Posten bis dahin gar nicht angeboten hatte. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten (Klageerwiderung vom 7. Dezember 1962 S. 16) ist dem Kläger auf fernmündliche Anfrage seines Anwalts, welche neue Tätigkeit für ihn vorgesehen sei, nur eröffnet worden, er solle in der Buchhaltung arbeiten. Diese Auskunft mußte der Kläger unter den gegebenen Umständen so verstehen, daß die Beklagte ihn als Buchhalter beschäftigen wolle. Daß er die Leitung der Buchhaltung übernehmen solle, konnte er nicht vermuten. Denn unstreitig bestand eine solche Stellung bei der Beklagten damals noch nicht. Sie mußte neu geschaffen werden. Daß dies beabsichtigt sei, ist dem Kläger nicht mitgeteilt worden. Deshalb konnte die Beklagte seine Weigerung, sich zur Arbeitsaufnahme bei ihr einzufinden, auch nicht auf eine leitende Tätigkeit beziehen. Da die Möglichkeit einer solchen Zwischenlösung zwischen den Parteien bis dahin nicht erörtert worden war, konnte der Kläger, abgesehen von einer für ihn nicht mehr erreichbaren Vorstandstätigkeit, nur seine Weiterbeschäftigung in einer untergeordneten Buchhalterstellung in Betracht ziehen. Auf eine solche Stellung brauchte er sich aber nach seiner Vorbildung und seinem beruflichen Werdegang nicht verweisen zu lassen, wie auch die Beklagte selbst eingeräumt hat. Sie unterschied sich grundlegend von seiner bisherigen Tätigkeit und fiel daher völlig aus dem Rahmen seines Anstellungsvertrages.

Auch der Vorwurf des Berufungsgerichts, der Kläger habe trotz der fortbestehenden vertraglichen Bindung von sich aus nichts zur Klärung der Lage getan, läßt sich rechtlich nicht halten. Nachdem die Beklagte dem Rechtsanwalt des Klägers auf Anfrage eine Auskunft gegeben hatte, die der Kläger als ein ihm nicht zumutbares Beschäftigungsangebot auffassen mußte, wäre es nunmehr ihre Sache gewesen, klarzustellen, daß sie ihn als Leiter ihrer Buchhaltung vorgesehen habe. Das hat sie zunächst versäumt. Für das hierdurch verursachte Mißverständnis ist sie und nicht der Kläger verantwortlich.

III. Schließlich ist der Revision auch darin zu folgen, daß dem Schreiben des Rechtsanwalts des Klägers vom 12. September 1962 bei der Prüfung, ob für die Kündigungserklärungen vom 5. und 10. Oktober 1962 ein wichtiger Grund vorlag, kein entscheidendes Gewicht zukommt. Dieses Schreiben enthält zwar die kaum verhüllte Drohung, die Staatsanwaltschaft und die Öffentlichkeit einzuschalten. Es ist aber ohne die unmittelbare Mitwirkung des Klägers verfaßt worden. Zudem waren damals, nicht ohne Mitschuld der Vertreter der Beklagten, die Beziehungen der Parteien schon erheblich getrübt. Vor allem empfand der Kläger das scheinbare Ansinnen, als Buchhalter zu arbeiten, mit Recht als eine Zumutung. Diese gegen seine berufliche Existenz gerichtete Zumutung glaubte er, nach den damaligen Äußerungen der Beklagten nicht ohne Grund, nachdrücklich abwehren zu müssen.

IV. Kann somit in dem Verhalten des Klägers bis Anfang Oktober 1962, auch zusammen genommen, ein wichtiger Grund zur Kündigung des Anstellungsverhältnisses nicht gesehen werden, so ist aber in dem Augenblick eine andere Lage eingetreten, als die Beklagte während dieses Rechtsstreits klar und deutlich erklärte, sie habe ihm eine leitende Stellung in ihrem Betrieb zuweisen wollen. Sie hat dies erstmals in ihrem Schriftsatz vom 1. Februar 1963 (S. 8) getan und dazu im Schriftsatz vom 1. März 1963 weitere Erläuterungen gegeben. Danach sollte der Kläger bei gleichem Gehalt eine neu zu schaffende Stellung als Leiter der Buchhaltung übernehmen, die mit zwei Hauptbuchhalterinnen und 16 weiteren Angestellten besetzt war. Damit hätte der Kläger, der schon früher als Referent in der Rechnungs- und Prüfungsabteilung des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungs- und Bausparwesen tätig gewesen war, auf einem ähnlichen Sachgebiet wie bisher arbeiten können. Darüber hinaus wäre ihm bei der Bedeutung der von ihm zu leitenden Abteilung gerade für ein Versicherungsunternehmen auch eine nicht geringe Verantwortung zugefallen. Eine bessere Stelle bei gleicher Bezahlung konnte ihm die Beklagte nach Art und Größe ihres Betriebs außerhalb des Vorstands nicht bieten. Mit Recht hat daher das Berufungsgericht ein solches Angebot für den Kläger als zumutbar angesehen.

Gleichwohl hat der Kläger erklärt, auch der Posten eines Leiters der Buchhaltung sei für ihn völlig unzumutbar (Schriftsatz vom 8. Februar 1963 S. 6). Diese strikt ablehnende Einstellung hat er im Termin vom 14. März 1963 vor dem Landgericht persönlich noch einmal in scharfer Form, verbunden mit abfälligen Äußerungen über den Vorstandsvorsitzenden Ahrens, zum Ausdruck gebracht, indem er nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erklärt hat, es könne ihm nicht zugemutet werden, mit Direktor Ahrens zusammenzuarbeiten; wie er beim Bundesaufsichtsamt gewesen sei, habe er diese Leute belehren müssen; es sei unmöglich; Herr A sei nicht qualifiziert. Damit hat der Kläger eindeutig zu erkennen gegeben, daß er nicht bereit war, für die Beklagte noch in irgendeiner Form tätig zu werden, es sei denn unter Bedingungen, die für sie untragbar waren. Hierdurch nahm er der Beklagten endgültig die Möglichkeit, ihn überhaupt noch in einer für sie zumutbaren Weise weiter zu beschäftigen Das berechtigte sie nunmehr dazu, das Dienstverhältnis aus wichtigem Grund zu kündigen. Diese erneute Kündigung hat der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom 2. April 1963 (S. 13) erklärt, und zwar, wie sich aus dem früheren Kündigungsschreiben desselben Rechtsanwalts vom 5. Oktober 1962 (GA 110) und den eigenen Angaben des Klägers in der Klageschrift (S. 6) ergibt, in Vollmacht des Aufsichtsrats. Es kann davon ausgegangen werden, daß diese Erklärung dem Kläger persönlich spätestens am 15. April 1963 zugegangen und die Kündigung somit wirksam geworden ist.

Hiergegen kann die Revision nicht einwenden, die Beklagte habe durch die Erklärung ihres Aufsichtsrats vom 16. Juli 1962, der Dienstvertrag bleibe bestehen, auf ein etwaiges Kündigungsrecht endgültig und bedingungslos verzichtet. Denn zugleich mit dieser Erklärung hat der Aufsichtsrat auch den Willen zum Ausdruck gebracht, das Dienstverhältnis nur noch in der Weise und unter der Voraussetzung fortzusetzen, daß der Kläger „anderweitig“, d.h. außerhalb des Vorstands, weiterarbeite. Die Beklagte hat also gerade nicht darauf verzichtet, weiterhin geltend zu machen, infolge der vom Kläger zu vertretenden Störung des Vertrauensverhältnisses könne sie ihn nicht mehr in einem Vorstandsamt beschäftigen, und er müsse sich daher, wenn er eine sofortige Kündigung vermeiden wolle, mit einer anderen leitenden Stellung zufriedengeben. Schlug der Kläger diese Gelegenheit, die schweren Folgen einer Lösung des Dienstverhältnisses abzuwenden, aus, so schuf er einen neuen Tatbestand, der durch die Bereitschaft der Beklagten zur Aufrechterhaltung des Dienstvertrages nicht mehr gedeckt war. Aus demselben Grund scheidet auch der Gesichtspunkt der Verzeihung aus.

V. Das Dienstverhältnis der Parteien ist demnach zwar nicht schon auf Grund der Kündigungserklärungen vom 5. und 10. Oktober 1962, wohl aber durch ihre Wiederholung im Prozeß mit Wirkung vom 15. April 1963 beendet worden. Hieraus folgt für die Klage:

1. Der Antrag des Klägers, die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung festzustellen, beschränkt sich auf die am 5. und 10. Oktober 1962 ausgesprochene Kündigung. Da für diese Kündigung noch kein wichtiger Grund vorgelegen hat, ist insoweit die Klage begründet und deshalb das Urteil des Landgerichts wiederherzustellen.

2. Da das Anstellungsverhältnis der Parteien bis zum 15. April 1963 fortbestanden hat, kann der Kläger bis zu diesem Tag das vereinbarte Gehalt verlangen. Der Einwand der Beklagten, der Kläger müsse sich das anrechnen lassen, was er durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft zu erwerben schuldhaft unterlassen habe, schlägt nicht durch. Angesichts der eingehenden Darlegungen des Klägers über seine zuerst vergeblichen Versuche, eine seiner Vorbildung entsprechende andere Stellung zu finden, (Schriftsatz vom 4. Oktober 1963), reicht die allgemeine Behauptung der Beklagten, er hätte bei genügendem Bemühen eine solche Stelle finden können, nicht aus, um einen solchen Einwand für die Zeit bis zum 15. April 1963 zu begründen.

Dem Kläger ist demnach über das Urteil des Landgerichts hinaus auch das auf die Zeit vom 1. Februar 1963 bis zum 15. April 1963 entfallende Gehalt mit Zinsen gemäß §§ 284 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB zuzusprechen. Im übrigen verbleibt es bei der Abweisung der Klage.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92, 97 ZPO.

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Schlagworte: Abberufung, Abwägung der Interessen beider Vertragsteile, Anderweitige Erwerbstätigkeit möglich, Außerordentliche Kündigung, Auswirkungen auf Anstellungsvertrag, Beendigung der Organstellung insbesondere durch Widerruf, entbehrlicher Gesellschafterbeschluss, Führungsaufgaben unterhalb der Organebene, Geschäftsführer, Gesellschafterbeschluss zusätzlich erforderlich, grundsätzlich keine Auswirkungen auf Anstellungsvertrag, Kein schuldrechtlicher Anspruch auf Weiterbeschäftigung als Geschäftsführer, Kündigungsgrund, Nachschieben von Beschlussgründen, Nachschieben von Gründen, Niederlegung und Anstellungsverhältnis, rechtliche Auswirkungen des Abberufungsbeschlusses, Soziale Folgen für betroffenen Geschäftsführer, Trennungsgrundsatz, Trennungstheorie, Verlust der Pension und höheres Alter, Vorstand, Weiterbeschäftigung, Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an anderer Stelle, Widerruf, Zustimmungpflicht zu Kenntnissen und Fähigkeiten angemessenen anderen leitenden Stellung