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BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015 – X ZR 30/14

§ 14 PatG, Art 69 EuPatÜbk, § 1 ChemVerbotsV

1. Ein Unternehmen, das ein Produkt, dessen Vertrieb für einen bestimmten Verwendungszweck nur unter bestimmten, dem Schutz der Gesundheit dienenden Voraussetzungen rechtlich zulässig ist, zu diesem Verwendungszweck anbietet oder in Verkehr bringt, gibt damit unter gewöhnlichen Umständen zu erkennen, dass es diese Voraussetzungen als erfüllt ansieht.

2. Ist der Vertrieb eines Produkts für einen bestimmten Verwendungszweck nur mit einem gesundheitsrelevanten Warnhinweis rechtlich zulässig, gibt ein Unternehmen, das ein solches Produkt ohne entsprechenden Hinweis zu diesem Verwendungszweck anbietet oder in Verkehr bringt, unter gewöhnlichen Umständen zu erkennen, dass es das Produkt als ohne Warnhinweis verkehrsfähig ansieht.

3. Der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft, die ein patentverletzendes Erzeugnis herstellt oder erstmals im Inland in den Verkehr bringt, ist dem Verletzten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er die ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen unterlässt, die Geschäftstätigkeit des Unternehmens so einzurichten und zu steuern, dass hierdurch keine technischen Schutzrechte Dritter verletzt werden.

Das Berufungsgericht hat keine näheren Feststellungen dazu getroffen, durch welche konkreten Handlungen der Beklagte zu 3 an den der Klage zugrunde liegenden Verletzungshandlungen beteiligt war. Ausdrückliche Feststellungen dazu waren in der gegebenen Konstellation indes auch nicht erforderlich.

Der Senat hat es bislang nicht beanstandet, wenn im Gefolge einer Patentverletzung neben einer Gesellschaft auch deren gesetzliche Vertreter zu Unterlassung und Schadensersatz verurteilt worden sind (vgl. etwa BGH, Urteil vom 16. September 2003 – X ZR 179/02, GRUR 2003, 1031, 1033 – Kupplung für optische Geräte). Der I. Zivilsenat hat eine haftung des gesetzlichen Vertreters für eine von der Gesellschaft begangene Verletzung von Immaterialgüterrechten grundsätzlich jedenfalls dann bejaht, wenn der gesetzliche Vertreter von den Verletzungshandlungen Kenntnis hatte und sie nicht verhindert hat (zuletzt BGH, Urteil vom 19. April 2012 – I ZR 86/10, GRUR 2012, 1145 Rn. 36 – Pelikan).

In neuerer Zeit vertritt der I. Zivilsenat sowohl für Verletzungshandlungen im Bereich des unlauteren Wettbewerbs (BGH, Urteil vom 18. Juni 2014 – I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 = GRUR 2014, 883 – Geschäftsführerhaftung) als auch für Verstöße gegen § 95 Abs. 3 UrhG (BGH, Urteil vom 27. November 2014 – I ZR 124/11, GRUR 2015, 672 Rn. 80 – Videospiel-Konsolen II) die Auffassung, ein gesetzlicher Vertreter hafte für Verletzungshandlungen der Gesellschaft nur dann, wenn er daran durch positives Tun beteiligt gewesen sei oder wenn er sie auf Grund einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründeten Garantenstellung habe verhindern müssen. Ähnliche Grundsätze hat der VI. Zivilsenat für die Verletzung von Rechten entwickelt, die nach § 823 Abs. 1 BGB geschützt sind (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297, 302 ff.; Urteil vom 10. Juli 2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rn. 24).

Ob der vom erkennenden Senat bislang vertretene Ansatz mit diesen Grundsätzen vollständig in Einklang steht, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner Entscheidung. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen führen auch auf der Grundlage des zuletzt dargestellten Ansatzes zu einer Garantenpflicht des Beklagten zu 3 und zu dessen Haftung in dem vom Berufungsgericht ausgesprochenen Umfang.

Nach der oben dargestellten Rechtsprechung ergibt sich eine Garantenstellung zum Schutz von Rechtsgütern Dritter nicht schon aus den Pflichten, die dem gesetzlichen Vertreter zum Beispiel nach § 43 Abs. 1 GmbHG oder § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG gegenüber der Gesellschaft obliegen.

Pflichten aus der Organstellung zur ordnungsgemäßen Führung der Geschäfte bestehen grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft. Im Falle ihrer Verletzung steht deshalb grundsätzlich nur der Gesellschaft ein Schadensersatzanspruch zu (BGHZ 109, 297, 303; BGHZ 194, 26 Rn. 23; BGHZ 201, 344 Rn. 23 – Geschäftsführerhaftung; BGH, Urteil vom 13. April 1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 375). Eine Eigenhaftung erfordert eine darüber hinausgehende Garantenstellung, aufgrund der der gesetzliche Vertreter persönlich zum Schutz Außenstehender vor Gefährdung oder Verletzung ihrer durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechte gehalten ist.

Eine Garantenstellung kann insbesondere dann bestehen, wenn der Schutz von Rechten Dritter eine organisatorische Aufgabe ist, zu der zu allererst der gesetzliche Vertreter berufen ist (BGHZ 109, 297, 304).

 

Es reicht nicht aus, dass der Gesellschaft gesetzliche Verpflichtungen gegenüber Dritten obliegen. So ergibt sich aus der Organstellung und der allgemeinen Verantwortlichkeit für den Geschäftsbetrieb nicht schon eine Verpflichtung gegenüber außenstehenden Dritten, Wettbewerbsverstöße der Gesellschaft zu verhindern (BGHZ 201, 344 Rn. 23 – Geschäftsführerhaftung). Sofern es um den Schutz von absoluten Rechten Dritter geht, kann hingegen über die Organstellung hinaus eine mit der Zuständigkeit für die Organisation und Leitung und der daraus erwachsenden persönlichen Einflussnahme auf die Gefahrenabwehr und Gefahrensteuerung verbundene persönliche Verantwortung des Organs den betroffenen Außenstehenden gegenüber zum Tragen kommen. In dieser Beziehung gilt für die Eigenhaftung des Geschäftsführers im Grundsatz nichts anderes als für jeden anderen für ein Unternehmen Tätigen, soweit dessen Aufgabenbereich sich auf die Wahrung deliktischer Integritätsinteressen Dritter erstreckt (BGHZ 109, 297, 303). Auch in diesem Fall reicht das bloße Bestehen eines absolut geschützten Rechts zwar nicht ohne weiteres aus, um eine Garantenpflicht zu begründen. Sie kommt aber jedenfalls dann in Betracht, wenn der Betroffene ein Schutzgut der Einflusssphäre der Gesellschaft anvertraut hat oder wenn aus sonstigen Gründen eine konkrete Gefahrenlage für das Schutzgut besteht und der Geschäftsführer oder Mitarbeiter des Unternehmens für die Steuerung derjenigen Unternehmenstätigkeit verantwortlich ist, aus der sich die Gefahrenlage ergibt (vgl. BGHZ 109, 297, 304). Die haftung des Geschäftsführers folgt in diesen Fällen nicht aus seiner Geschäftsführerstellung als solcher, sondern aus der – von der Rechtsform des Unternehmens unabhängigen – tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beherrschung einer Gefahrenlage für absolut geschützte Rechte Dritter.

Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf den Schutz von Patenten jedenfalls dann typischerweise erfüllt, wenn ein Unternehmen technische Erzeugnisse herstellt oder in den inländischen Markt einführt.

Für praktisch jeden Bereich der Technik ist eine Vielzahl von Patenten mit unterschiedlichsten Gegenständen in Kraft. Ein Unternehmen muss deshalb vor Aufnahme einer der genannten Tätigkeiten prüfen, ob seine Erzeugnisse oder Verfahren in den Schutzbereich fremder Rechte fallen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 1958 – I ZR 171/56, GRUR 1958, 288, 290 – Dia-Rähmchen I; Urteil vom 3. März 1977 – X ZR 22/73, GRUR 1977, 598, 601 – Autoskooter-halle; Urteil vom 29. April 1986 – X ZR 28/85, BGHZ 98, 12, 24 = GRUR 1986, 803, 806 – Formstein).

Diese Verpflichtung beruht nicht allein auf der allgemeinen Pflicht zum Schutz fremder Rechtsgüter. Sie ist vielmehr Ausdruck der gesteigerten Gefährdungslage, der technische Schutzrechte typischerweise ausgesetzt sind. Der aus solchen Rechten resultierende, ohnehin nur für begrenzte Zeit bestehende Schutz wäre nicht in hinreichender Weise gewährleistet, wenn andere Marktteilnehmer der Frage, ob ihre Tätigkeit fremde Schutzrechte verletzt, nur untergeordnete Bedeutung beimäßen.

Kraft seiner Verantwortung für die Organisation und Leitung des Geschäftsbetriebes und der damit verbundenen Gefahr, dass dieser so eingerichtet wird, dass die Produktion oder Vertriebstätigkeit des Unternehmens die fortlaufende Verletzung technischer Schutzrechte Dritter zur Folge hat, ist der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft deshalb grundsätzlich gehalten, die gebotenen Überprüfungen zu veranlassen oder den Geschäftsbetrieb so zu organisieren, dass die Erfüllung dieser Pflicht durch dafür verantwortliche Mitarbeiter gewährleistet ist. Er muss insbesondere dafür sorgen, dass grundlegende Entscheidungen über die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft nicht ohne seine Zustimmung erfolgen und dass die mit Entwicklung, Herstellung und Vertrieb betrauten Mitarbeiter der Gesellschaft die gebotenen Vorkehrungen treffen, um eine Verletzung fremder Patente zu vermeiden.

4. Für die Annahme, dass die schuldhafte Verletzung eines Patents durch eine Gesellschaft, die ein Produkt herstellt oder in den inländischen Markt einführt, auf einem schuldhaften Fehlverhalten ihres gesetzlichen Vertreters beruht, bedarf es im Regelfall keines näheren Klägervortrags und keiner näheren tatrichterlichen Feststellungen zu den dafür maßgeblichen Handlungen des gesetzlichen Vertreters.

Schlagworte: Geschäftsführerhaftung, Haftung wegen Herstellung/Vertrieb eines patentverletzendes Erzeugnisses