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BGH, Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09

BGB § 823Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
BGB
BGB § 823
; GmbHG §§ 43, 64 a.F.

a) Der Gläubiger trägt die Darlegungs- und Beweislast für den objektiven Tatbestand einer haftungsbegründenden Insolvenz- bzw. Konkursverschleppung und damit auch für die Überschuldung der Gesellschaft (vgl. nur BGH, Urteil vom 27. April 2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9 m.w.N.). Der Tatbestand einer Insolvenzverschleppung muss als Dauerdelikt im Zeitraum des zum Schaden des Neugläubigers führenden Geschäftsabschlusses zwischen ihm und der Gesellschaft noch vorliegen, um einen Schadensersatzanspruch des Neugläubigers zu begründen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2005 – II ZR 390/03, BGHZ 164, 50, 56; Urteil vom 5. Februar 2007 – II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 10).

b) Nach dem zweistufigen Überschuldungsbegriff kann eine Überschuldung (§ 63 Abs. 1 GmbHG aF, § 1 Abs. 1 Satz 1 GesO) erst angenommen werden, wenn das Vermögen der Gesellschaft bei Ansatz von Liquidationswerten unter Einbeziehung der stillen Reserven die bestehenden Verbindlichkeiten nicht deckt (rechnerische ÜberschuldungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
rechnerische Überschuldung
Überschuldung
) und die Finanzkraft der Gesellschaft nach überwiegender Wahrscheinlichkeit mittelfristig nicht zur Fortführung des Unternehmens ausreicht (BGH, Urteil vom 13. Juli 1992 – II ZR 269/91, BGHZ 119, 201, 214; Versäumnisurteil vom 12. März 2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 14).

Die Feststellung einer Überschuldung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit dem Neugläubiger hängt nicht zwingend davon ab, dass für diesen konkreten (unterjährigen) Zeitpunkt aufgrund der noch verfügbaren Geschäftsunterlagen eine Überschuldungsbilanz aufgestellt werden kann. Ist die Insolvenzreife für einen früheren Zeitpunkt bewiesen, so gilt der Nachweis der im Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses noch andauernden Verletzung der Insolvenzantragspflicht (Dauerdelikt) jedenfalls bei relativ zeitnah erteilten Aufträgen als geführt, sofern der beklagte Geschäftsführer nicht seinerseits darlegt, dass im Zeitpunkt der Auftragserteilung die Überschuldung nachhaltig beseitigt und damit die Antragspflicht – wieder – entfallen war (BGH, Versäumnisurteil vom 12. März 2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 15; Beschluss vom 28. April 2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rn. 8). Dieser zeitliche Zusammenhang ist im Streitfall gewahrt. Der Zeitraum zwischen dem 31. Dezember 1996, zu dem nach dem vorgelegten Sachverständigengutachten eine Überschuldung vorgelegen haben soll, und den nachfolgenden, der Klageforderung zugrunde gelegten Geschäftsabschlüssen beträgt lediglich bis zu neun Monaten (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. März 2007 – II ZR 315/05, ZIP 2007, 1060 Rn. 15).

Für die Feststellung, dass die Gesellschaft insolvenzrechtlich (rechnerisch) überschuldet ist, bedarf es nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich der Aufstellung einer Überschuldungsbilanz, in der die Vermögenswerte der Gesellschaft mit ihren aktuellen Verkehrs- oder Liquidationswerten auszuweisen sind. Hingegen kommt einer Handelsbilanz für die Frage, ob die Gesellschaft überschuldet ist, lediglich indizielle Bedeutung zu. Legt der Anspruchsteller für seine Behauptung, die Gesellschaft sei überschuldet gewesen, nur eine Handelsbilanz vor, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt, hat er jedenfalls die Ansätze dieser Bilanz darauf zu überprüfen und zu erläutern, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang stille Reserven oder sonstige aus ihr nicht ersichtliche Vermögenswerte vorhanden sind (BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 268; Urteil vom 7. März 2005 – II ZR 138/03, ZIP 2005, 807; Urteil vom 16. März 2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 10; Urteil vom 27. April 2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9). Ist der Anspruchsteller diesen Anforderungen nachgekommen, ist es Sache des beklagten Geschäftsführers, im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast im Einzelnen vorzutragen, welche stillen Reserven oder sonstigen für eine Überschuldungsbilanz maßgeblichen Werte in der Handelsbilanz nicht abgebildet sind (BGH, Urteil vom 16. März 2009 – II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 10; Urteil vom 27. April 2009 – II ZR 253/07, ZIP 2009, 1220 Rn. 9).

c) Der Anspruch auf Ersatz des Neugläubigerschadens gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 64 Abs. 1 GmbHG a. F. (jetzt: § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a Abs. 1 InsO) verjährt nach den für deliktische Ansprüche allgemein geltenden Vorschriften; § 43 Abs. 4 GmbHG findet keine entsprechende Anwendung.

Der Verjährungsbeginn für den hier geltend gemachten deliktischen Anspruch richtete sich nach § 852 Abs. 1 BGB aF (Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB). Grundsätzlich fanden und finden Sonderverjährungsvorschriften des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung keine Anwendung (BGH, Urteil vom 9. Februar 2009 – II ZR 292/07, BGHZ 179, 344 Rn. 33 – Sanitary). Dies gilt auch für den Anspruch auf Ersatz des Neugläubigerschadens. Dieser verjährt nicht, wie die Revisionserwiderung annimmt, nach § 64 Abs. 2 Satz 3 aF (jetzt § 64 Satz 4), § 43 Abs. 4 GmbHG – unabhängig von der Kenntnis des Geschädigten (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rn. 16) – in fünf Jahren ab der Entstehung des Anspruchs.

Die in § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG aF enthaltene Verweisung auf die Verjährungsregelung in § 43 Abs. 4 GmbHG erfasst ihrem Wortlaut nach den Anspruch der Gesellschaft auf Ersatz von Zahlungen, die die Geschäftsführer nach dem Eintritt der Konkursreife geleistet haben, nicht aber Ansprüche der Gesellschaftsgläubiger unter dem Gesichtspunkt der Konkursverschleppung.

Von einem Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur wird allerdings wegen der funktionalen Nähe beider Ansprüche und einer Übereinstimmung der zugrunde liegenden Organpflichten die analoge Anwendung des § 43 Abs. 4 GmbHG in Verbindung mit § 64 Satz 4 GmbHG nF bzw. § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG aF auf Haftungsansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB, § 15a Abs. 1 InsO (§ 64 Abs. 1 GmbHG aF) befürwortet (vgl. OLG SaarbrückenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Saarbrücken
, GmbHR 1999, 1295, 1296; OLG KölnBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Köln
, WM 2001, 1160, 1162; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., Anh. § 64 Rn. 77; Paefgen in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 43 Rn. 155; Casper in Ulmer/Habersack/Winter, GmbHG, § 64 Rn. 144; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., Anh. zu § 64 Rn. 85; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 15a Rn. 42; Wübbelsmann, GmbHR 2008, 1303, 1304 f.). Andere lehnen diese Analogie generell (vgl. OLG SaarbrückenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Saarbrücken
, ZIP 2009, 565, 566; OLG Schleswig, DZWIR 2001, 330, 331; Bork in Bork/Schäfer, GmbHG, § 64 Rn. 72; MünchKommGmbHG/H.F. Müller, § 64 Rn. 195; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 4. Aufl., § 64 Rn. 51; vgl. auch OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Düsseldorf
, GmbHR 1999, 479, 481; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, OLGR 2008, 115, 116) oder jedenfalls dann ab, wenn der Schadensersatzanspruch zugleich auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 263, 265a oder 266 StGB gestützt werden kann (vgl. OLG Stuttgart, GmbHR 2001, 75 f.; OLG NaumburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Naumburg
, GmbHR 2004, 364 f.). Ein Teil der Literatur unterscheidet schließlich danach, ob der Anspruch auf den Ersatz des Quotenschadens oder des Neugläubigerschadens gerichtet ist, und verneint für letzteren die entsprechende Anwendbarkeit des § 43 Abs. 4 GmbHG (Haas, NZG 2009, 976 ff.; ders. in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rn. 145; Arnold in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 64 GmbHG Rn. 112).

Für die analoge Anwendung des § 43 Abs. 4 GmbHG in Verbindung mit § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG aF (jetzt § 64 Satz 4 GmbHG) auf Schadensersatzansprüche der Neugläubiger aus § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG aF (vgl. jetzt § 15a Abs. 1 InsO) fehlt es jedoch an einer planwidrigen Regelungslücke. Das Gesetz stellt für Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB mit § 852 BGB aF bzw. nach neuem Recht mit § 195 BGB eine Verjährungsvorschrift bereit, deren Anwendung auf Schadensersatzansprüche der Neugläubiger den Intentionen des Gesetzgebers nicht erkennbar widerspricht.

Der unterschiedliche Zweck der Ansprüche und der Umstand, dass der das Zahlungsverbot sanktionierende Ersatzanspruch der Gesellschaft zusteht, der Anspruch auf Ersatz des Neugläubigerschadens aber dem jeweiligen Gläubiger, sprechen entscheidend gegen die analoge Anwendung des § 43 Abs. 4 GmbHG in Verbindung mit § 64 Abs. 2 Satz 3 GmbHG aF. Es geht insoweit auch nicht um den Fall einer Anspruchskonkurrenz, beruhend auf einem Verhalten des Geschäftsführers, das zugleich einen gesellschaftsrechtlichen und einen deliktischen Ersatzanspruch mit unterschiedlichen Verjährungsfristen ausgelöst hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 17. März 1987 – VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190, 199 ff.). Der Schadensersatzanspruch des Neugläubigers ergibt sich allein aus § 823 Abs. 2 BGB, § 64 Abs. 1 GmbHG aF, nicht zugleich aus § 64 Abs. 2 GmbHG aF.

Schlagworte: Außenhaftung, Beseitigung der Überschuldung, Darlegungs- und Beweislast, Erkennbarkeit der Insolvenzreife, Ertrags- und Finanzplan, GmbHG § 64 Satz 1, Haftung wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO, Handelsbilanz, Innenhaftung, Insolvenzreife, Neugläubigerschaden, positive Fortführungsprognose, rechnerische Überschuldung, Sachverständiger, sekundäre Darlegungslast, stille Reserven, Überschuldung, Überschuldungsbilanz, Verjährung, Verletzung von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB, Verschulden, widerlegbare Vermutung, Zahlungen nach Insolvenzreife, Zeitpunkt der Feststellung, zweistufiger Überschuldungsbegriff