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BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 – IX ZR 143/12

InsO §§ 17, 130

a) Die Zahlungsunfähigkeit beurteilt sich im gesamten Insolvenzrecht und darum auch im Rahmen des Insolvenzanfechtungsrechts nach § 17 InsO (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 – IX ZB 238/05, WM 2006, 1631 Rn. 6). Zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO kann eine Liquiditätsbilanz aufgestellt werden. Dabei sind die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten.

b) Im Insolvenzanfechtungsprozess ist die Aufstellung einer Liquiditätsbilanz oftmals nicht erforderlich, weil im eröffneten Verfahren auch auf andere Weise festgestellt werden kann, ob der Schuldner einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen konnte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rn. 28; ständig).

c) Hat der Schuldner seine Zahlungen eingestellt, begründet dies auch für die Insolvenzanfechtung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit (BGH, Urteil vom 20. November 2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 f; vom 21. Juni 2007 – IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rn. 27; vom 30. Juni 2011 – IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 10).

d) Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (BGH, Urteil vom 20. November 2001, a. a. O.). Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, a. a. O. Rn. 28). Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, a. a. O. Rn. 29; vom 20. Dezember 2007 – IX ZR 93/06, WM 2008, 452 Rn. 21 jeweils m. w. N.). Haben im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006, a. a. O. Rn. 22, 28).

e) Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden. Sind derartige Indizien vorhanden, bedarf es einer darüber hinaus gehenden Darlegung und Feststellung der genauen Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 vom Hundert nicht. Es obliegt vielmehr dem Tatrichter, ausgehend von den festgestellten Indizien eine Gesamtabwägung vorzunehmen, ob eine Zahlungseinstellung gegeben ist (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011, a. a. O. Rn. 13 m. w. N.).

f) Die mehr als halbjährige Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen bildet nach ständiger Rechtsprechung ein erhebliches Beweisanzeichen für eine Zahlungseinstellung (BGH, Urteil vom 20. November 2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 187; vom 10. Juli 2003 IX ZR 89/02, WM 2003, 1776, 1778; vom 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rn. 24; vom 30. Juni 2011, a. a. O. Rn. 15).

g) Bereits eine dauerhaft schleppende Zahlungsweise kann aber Indizwirkung für eine Zahlungseinstellung haben (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2003 – IX ZR 175/02, WM 2003, 400, 402; Beschluss vom 24. April 2008 – II ZR 51/07, ZInsO 2008, 1019 Rn. 6).

h) Für die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners genügt es, wenn der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen und dem Verhalten des Schuldners bei natürlicher Betrachtungsweise den zutreffenden Schluss zieht, dass jener wesentliche Teile, also 10 v. H. oder mehr, seiner ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten im Zeitraum der nächsten drei Wochen nicht wird tilgen können (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rn. 24; HK-InsO/Kreft, 6. Aufl., § 130 Rn. 25 f). Der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit steht die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit hinweisen (BGH, Urteil vom 24. Mai 2007 – IX ZR 97/06, ZIP 2007, 1511 Rn. 25; vom 20. November 2008 – IX ZR 188/07, ZInsO 2009, 145 Rn. 10; vom 8. Oktober 2009 – IX ZR 173/07, ZIP 2009, 2253 Rn. 10). Es genügt daher, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Beurteilung die Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei folgt (BGH, Urteil vom 19. Februar 2009 – IX ZR 62/08, BGHZ 180, 63 Rn. 13 f; BGH, Urteil vom 8. Oktober 2009, a. a. O. Rn. 10).

i) Zahlungsunfähigkeit ist auch dann anzunehmen, wenn der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat. Kennt der Gläubiger die Tatsachen, aus denen sich die Zahlungseinstellung ergibt, kennt er damit auch die Zahlungsunfähigkeit. Bewertet er das ihm vollständig bekannte Tatsachenbild falsch, kann er sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er diesen Schluss nicht gezogen hat (BGH, Urteil vom 20. November 2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 185; vom 19. Februar 2009, a. a. O. Rn. 14).

j) Die Feststellung der subjektiven Voraussetzungen der Anfechtung – hier der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der Rechtshandlung (§ 130 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 InsO) – obliegt dabei in erster Linie dem Tatrichter (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2009, a. a. O. Rn. 15; BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 – IX ZR 134/09, ZInsO 2010, 1324 Rn. 9). Erforderlich ist auch im Blick auf die Kenntnis der aufgrund der Zahlungseinstellung vermuteten Zahlungsunfähigkeit eine Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände, sofern aus ihnen ein zwingender Schluss auf die Kenntnis folgt (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03, WM 2006, 2312 Rn. 30; vom 15. Mai 2009 – IX ZR 201/08, WM 2009, 2322 Rn. 6; vom 19. Mai 2011 – IX ZR 9/10, WM 2011, 1085 Rn. 15).

Schlagworte: Beiträge zur Sozialversicherung, Gesamtwürdigung, GmbHG § 64 Satz 1, Indizien der Zahlungsunfähigkeit, innerhalb der folgenden drei Wochen fällig werdenden Passiva, Insolvenz, Insolvenzanfechtung, Liquidität, Liquiditätsbilanz, Liquiditätslücke, mehrmonatige verschleppte Lohnzahlungen, Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen, Nichtzahlung eines erheblichen Teils, Passiva II, Zahlungen nach Insolvenzreife, Zahlungseinstellung, Zahlungsunfähigkeit