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BGH, Urteil vom 2. Juni 2008 – II ZR 27/07

GmbHG § 64; BGB § 823Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
BGB
BGB § 823
; StGB § 266a

Mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters ist es vereinbar, wenn der Geschäftsführer zur Vermeidung strafrechtlicher Verfolgung fällige Leistungen an die Sozialkassen erbringt (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265; vgl. auch Urteil vom 5. Mai 2008 – II ZR 38/07).

Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts, das schon im Ansatz verkannt hat, dass von einer Pflichtenkollision schon dann keine Rede sein kann, wenn der Geschäftsführer in der durch § 64 GmbHG bezeichneten Situation Zahlungen an Gläubiger bewirkt oder bewirken lässt, steht die Massesicherungspflicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG einer Haftung des Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB nicht entgegen. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, ist es mit den Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar, wenn er zur Vermeidung strafrechtlicher Verfolgung fällige Leistungen an die Sozialkassen erbringt (Sen.Urt. v. 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265; ebenso zu § 266 StGB Sen.Urt. v. 5. Mai 2008 – II ZR 38/07, z.V.b.). Mit Rücksicht auf die Einheit der Rechtsordnung kann es dem organschaftlichen Vertreter nicht angesonnen werden, die Massesicherungspflicht nach § 64 Abs. 2 GmbHG zu erfüllen und fällige Leistungen an die Sozialkassen nicht zu erbringen, wenn er sich dadurch strafrechtlicher Verfolgung aussetzt.

Rechtsgrund des Schadensersatzanspruchs der Klägerin gegen den Beklagten ist eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung. Der Beklagte haftet nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB.

Er hat als Geschäftsführer die Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung der Einzugstelle vorenthalten. Dass er nicht Alleingeschäftsführer war, entlastet ihn nicht. Als Geschäftsführer ist er für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflichten der Gesellschaft, zu denen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge gehört, unabhängig von der internen Zuständigkeitsverteilung oder einer Delegation auf andere Personen verantwortlich (BGHZ 133, 370, 376; BGH, Urt. v. 9. Januar 2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422). Die Erfüllung dieser Pflicht war der I. GmbH möglich, wie sich aus dem Umstand ergibt, dass die Gesellschaft am 22. Januar und 20. Februar 2001 noch Zahlungen für Miete in einer die Beiträge der Arbeitnehmer zur Sozialversicherung übersteigenden Höhe geleistet hat (vgl. dazu Sen.Urt. v. 18. April 2005 – II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026; Urt. v. 25. September 2006 – II ZR 108/05, ZIP 2006, 2127).

Der Beklagte handelte vorsätzlich. Bewusstsein und Wille, von der gebotenen Abführung der Beiträge bei Fälligkeit abzusehen, sind nach den für den bedingten Vorsatz geltenden Regeln vorhanden, wenn der Geschäftsführer eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt (BGHZ 134, 304, 314; BGH, Urt. v. 9. Januar 2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422). Wenn die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung dem Ressort eines anderen Geschäftsführers zugewiesen oder auf Angestellte übertragen ist, muss der Geschäftsführer im Rahmen der ihm verbliebenen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch den intern zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Angestellten nicht mehr gewährleistet ist, und durch geeignete Maßnahmen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen sowie die Einhaltung der Pflicht überwachen (BGHZ 133, 370, 378; BGH, Urt. v. 9. Januar 2001 – VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422). Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bieten insbesondere eine finanzielle Krisensituation (BGHZ 133, 370, 379) oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf innerhalb der Gesellschaft (vgl. BGHZ 134, 304, 315). Eine solche Krisensituation, bei der sich der Beklagte nicht mehr darauf verlassen konnte, dass die Sozialversicherungsbeiträge pünktlich abgeführt wurden, lag bei der I. GmbH vor. Dem Beklagten war jedenfalls seit November 2000 bekannt, dass sich die allgemeine Finanzlage der I. GmbH verschlechtert hatte. Außerdem war die Buchhaltung nicht auf einem aktuellen, geordneten Stand, und die dafür zuständige Mitarbeiterin wurde ausgewechselt.

Die Forderung beruht auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung im Sinne von § 302 Abs. 1 InsO. Dafür genügt es nicht, dass der Geschäftsführer vorsätzlich handelt, vielmehr muss auch die Schadensfolge vom Vorsatz umfasst sein (BGH, Urt. v. 21. Juni 2007 – IX ZR 29/06, NJW 2007, 2854). Wer vorsätzlich der Einzugstelle Beiträge zur Sozialversicherung vorenthält, nimmt auch die Schädigung der Sozialversicherungsträger in Kauf und hat damit auch Vorsatz hinsichtlich der Schadensfolge (BGH aaO).

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