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BGH, Urteil vom 22. Mai 2012 – II ZR 14/10

BGB §§ 312, 738

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt ein Widerrufsrecht nach § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB voraus, dass der Kunde durch mündliche Verhandlung im Bereich einer Privatwohnung oder an seinem Arbeitsplatz zu seiner Vertragserklärung bestimmt worden ist. Dabei genügt es, dass er in eine Lage gebracht worden ist, in der er in seiner Entschließungsfreiheit, den ihm angebotenen Vertrag zu schließen oder davon Abstand zu nehmen, beeinträchtigt war (st. Rspr., siehe nur BGH, Urteil vom 26. Oktober 1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380, 392 f. zu § 1 Abs. 1 HWiG; Urteil vom 20. Januar 2004 – XI ZR 460/02, ZIP 2004, 500, 502; Beschluss vom 22. September 2008 – II ZR 257/07, ZIP 2008, 2359 Rn. 5; Urteil vom 15. April 2010 – III ZR 218/09, BGHZ 185, 192 Rn. 13). Diese Vorschrift findet auf Verträge über den Beitritt zu einer Gesellschaft, die der Kapitalanlage dienen soll, nach der vom Gerichtshof der Europäischen Union bestätigten (Urteil vom 15. April 2010 – C 215/08, ZIP 2010, 772) ständigen Rechtsprechung des Senats Anwendung (siehe hierzu nur BGH, Urteil vom 12. Juli 2010 – II ZR 292/06, BGHZ 186, 167 Rn.12 – FRIZ II).

b) Für das Entstehen des Widerrufsrechts gelten die allgemeinen Regeln zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast: Der Verbraucher hat alle Tatbestandsmerkmale des § 312 Abs. 1 Satz 1 BGB sowie deren Kausalität für den Vertragsschluss darzulegen und zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1996 – XI ZR 116/95, BGHZ 131, 385, 392 zu § 1 Abs. 1 HWiG; Beschluss vom 22. September 2008 – II ZR 257/07, ZIP 2008, 2359 Rn. 5 m. w. N.). Wurden die Vertragsverhandlungen in der Privatwohnung geführt und kommt es sodann noch während dieser Zusammenkunft zum Abschluss des Vertrages, so kann in aller Regel davon ausgegangen werden, dass die „Haustürsituation“ für den Vertragsschluss jedenfalls mitursächlich geworden ist mit der Folge, dass der Verbraucher die „Bestimmung“ zum Vertragsschluss nicht konkret dar-legen und beweisen muss (sogenannte Indizwirkung, vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1996 – XI ZR 116/95, BGHZ 131, 385, 392; Urteil vom 15. April 2010 – III ZR 218/09, BGHZ 185, 192 Rn. 11).

c) Der Annahme, der Verbraucher sei zum Abschluss eines Vertrages durch eine sogenannte Haustürsituation nach § 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB bestimmt worden, steht nicht entgegen, dass der Besuch des Vermittlers in der Privatwohnung des Verbrauchers aus Anlass eines kurze Zeit vorher bereits erklärten (hier: wegen Insolvenz der Gesellschaft gescheiterten) Beitritts des Verbrauchers zu einer anderen Anlagegesellschaft erfolgt ist, da es grundsätzlich auf den Anlass des Besuchs nicht ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 1998 – VII ZR 424/97, ZIP 1999, 70, 71; s. auch Urteil vom 26. November 1991 – XI ZR 115/90, ZIP 1992, 536, 537; Urteil vom 15. April 2010 – III ZR 218/09, BGHZ 185, 192 Rn. 15).

d) Der Anleger muss nach der ständigen Rechtsprechung des Senats über alle Eigenschaften und Risiken der Anlage richtig und vollständig informiert werden, die für seine Entscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können (siehe nur BGH, Urteil vom 6. Oktober 1980 – II ZR 60/80, BGHZ 79, 337, 344; Urteil vom 17. Mai 2011 – II ZR 202/09, AG 2011, 554 Rn. 9 m. w. N.). Dies betrifft nicht nur Umstände, die sich auf das Anlageobjekt selbst beziehen, sondern auch solche, die für die Seriosität und Zuverlässigkeit der Fondsverantwortlichen wichtig sind und sein können. Hierzu gehört etwa die Aufklärung über ein strafbares Verhalten, wenn es um Taten geht, die aus der Sicht eines vernünftigen Anlegers geeignet sind, die Vertrauenswürdigkeit des Fondsverantwortlichen in Frage zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2011 – III ZR 81/11, ZIP 2012, 85 Rn. 9).

e) Die Fälle des gesetzlichen Widerrufsrechts, die eine Durchbrechung des Grundsatzes „pacta sunt servanda“ darstellen, sind enumerativ und abschließend geregelt (§ 355 Abs. 1 Satz 1 BGB) und knüpfen an bestimmte gesetzliche Merkmale an (s. insoweit auch BGH, Urteile vom 6. Dezember 2011 – XI ZR 401/10, ZIP 2012, 262 Rn. 17 und – XI ZR 442/10, juris Rn. 24).

f) Der wirksame Widerruf der Beitrittserklärung führt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats zur Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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und zur Ermittlung des Wertes des Gesellschaftsanteils des fehlerhaft beigetretenen Gesellschafters im Zeitpunkt seines Ausscheidens (siehe nur BGH, Urteil vom 2. Juli 2001 – II ZR 304/00, BGHZ 148, 201, 207 f.; Urteil vom 12. Juli 2010 – II ZR 292/06, BGHZ 186, 167 Rn. 12 – FRIZ II; Urteil vom 17. Mai 2011 – II ZR 285/09, ZIP 2011, 1359 Rn. 14, 17). Der Tatrichter hat die Höhe des Auseinandersetzungsguthabens gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe zu ermitteln (st. Rspr., siehe nur BGH, Urteil vom 7. Juni 2011 – II ZR 186/08, ZIP 2011, 1358 Rn. 16 m. w. N.).

g) Eine Klage auf Freistellung muss die Forderung, von der der Beklagte den Kläger freistellen soll, nach Grund und Höhe hinreichend bestimmt bezeichnen. Der ausgeschiedene Gesellschafter kann Freistellung nach § 738 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. BGB nur von gemeinschaftlichen Schulden, d.h. von Verbindlichkeiten der Gesellschaft verlangen, für die er analog § 128 HGB haftet (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 2010 – II ZR 31/09, ZIP 2010, 515 Rn. 7 m.w.N.). Soweit der Gläubiger Grund und Höhe nicht bezeichnen kann, ist ein Freistellungsantrag unzulässig und stattdessen auf Fest-stellung zu klagen (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2010 – II ZR 66/08, ZIP 2010, 1030 Rn. 33 m. w. N.).

Schlagworte: Auseinandersetzung, Auseinandersetzungsbilanz, Beitritt, Darlegungs- und Beweislast, fehlerhafte Gesellschaft, Freistellung, Haustürwiderrufsgesetz, Publikumsgesellschaft, Publikumspersonengesellschaft, Widerruf