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BGH, Urteil vom 25. Januar 2011 – II ZR 196/09

GmbHG § 64

a) Wenn der Geschäftsführer einer GmbH – auch nach Eintritt der Insolvenzreife – fällige Umsatzsteuer und Umsatzsteuervorauszahlungen, ebenso wie einbehaltene Lohnsteuer, nicht an das Finanzamt abführt, begeht er eine mit einer Geldbuße bedrohte Ordnungswidrigkeit nach § 26b UStG oder § 380 AO i.V.m. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG und setzt sich außerdem der persönlichen Haftung gemäß §§ 69, 34 Abs. 1 AO aus (vgl. BFH, Urteil vom 27. Februar 2007 – VII R 67/05, ZIP 2007, 1604 Rn. 16 ff.; Beschluss vom 4. Juli 2007 – VII B 268/06, BFH/NV 2007, 2059 Tz. 6; Urteil vom 23. September 2008 – VII R 27/07, ZIP 2009, 122, jeweils zur Lohnsteuer; KG, Beschluss vom 22. September 1997 – 2 Ss 250/97, juris; Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: Juni 2004, § 380 AO Rn. 3 ff., jeweils zum Bußgeldtatbestand; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 64 Rn. 77). Die dadurch bewirkte Pflichtenkollision hat den Senat bewogen, die Zahlung von Umsatz- oder Lohnsteuer als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar anzusehen (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 11 f.; Urteil vom 29. September 2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn. 10). Der Geschäftsführer haftet daher nicht nach § 64 Satz 1 GmbHG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife rückständige Umsatz- und Lohnsteuern an das Finanzamt und rückständige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle zahlt.

b) Nach der neueren Rechtsprechung des Senats handelt ein Geschäftsführer einer GmbH grundsätzlich mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i. S. des § 64 Satz 2 GmbHG und haftet deshalb nicht nach § 64 Satz 1 GmbHG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife fällige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die zuständige Einzugsstelle zahlt (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 11 f.; Urteil vom 2. Juni 2008 – II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 6). Denn es kann ihm mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden, diese Zahlung im Interesse einer gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren zu unterlassen und sich dadurch nach §§ 266a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar und nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB schadensersatzpflichtig zu machen. Insoweit gelten die gleichen Erwägungen wie zu den Steuerforderungen.

Hingegen widerspricht es der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns, wenn Zahlungen zur Tilgung von Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung geleistet werden. Denn nur das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen ist in § 266a StGB unter Strafe gestellt und begründet eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB. Hinsichtlich der Arbeitgeberanteile fehlt es deshalb an einem Interessenkonflikt und damit an einem Grund, den Anwendungsbereich des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG einzuschränken (BGH, Urteil vom 8. Juni 2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 6 f.).

c) Gegebenenfalls kann die Zahlung an die AOK deshalb nicht zu einem Ersatzanspruch nach § 64 Satz 1 GmbHG geführt haben, weil sie dem debitorisch geführten Geschäftskonto der Schuldnerin belastet worden ist. Damit könnte insoweit ein bloßer – haftungsrechtlich unschädlicher – Gläubigertausch vorliegen. Von einem Gläubigertausch in diesem Sinne ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn aus einem debitorisch geführten Bankkonto eine Gesellschaftsschuld beglichen wird. Dann wird lediglich der befriedigte Gläubiger durch die Bank als Gläubigerin ersetzt, ohne dass die Insolvenzmasse geschmälert würde und die gleichmäßige Verteilung der Masse unter den übrigen Gläubigern beeinträchtigt wäre. Das gilt aber nur, wenn die Bank nicht über freie Sicherheiten verfügt, die sie zu einer abgesonderten Befriedigung nach §§ 50 f. InsO berechtigen. Denn dann wird die Gemeinschaft der Gläubiger durch die Zahlung insoweit geschädigt, als zur gleichmäßigen Verteilung nur noch eine geringere Vermögensmasse zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 29. November 1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 187 f.; Urteil vom 26. März 2007 – II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006, 1007; Urteil vom 25. Januar 2010 – II ZR 258/08, ZIP 2010, 470 Rn. 10).

d) Erfolgt eine Zahlung aufgrund einer Kontopfändung, haftet der Geschäftsführer nicht aus § 64 Satz 1 GmbHG, weil er dann die Zahlung nicht veranlasst hat (vgl. BGH, Urteil vom 16. März 2009 – II ZR 32/08, ZIP 2009, 956 Rn. 13 f., zu § 130a Abs. 2 HGB).

e)  Während der Insolvenzantragsfrist besteht ein Rechtfertigungsgrund für den Geschäftsführer, der die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht abführt. Dadurch wird aber nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist der Interessenkonflikt für den Geschäftsführer nicht ausgeschlossen. Denn der Rechtfertigungsgrund entfällt rückwirkend, wenn der Geschäftsführer den Insolvenzantrag nicht fristgerecht stellt (BGH, Urteil vom 29. September 2008 – II ZR 162/07, ZIP 2008, 2220 Rn. 10 a.E.; Beschluss vom 9. August 2005 – 5 StR 67/05, ZIP 2005, 1678, 1679).

f) Wenn der Geschäftsführer aus § 64 Satz 1 GmbHG haftet, ist ihm im Urteil vorzubehalten, nach Erstattung an die Masse seine Rechte gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen; dabei deckt sich der ihm zustehende Anspruch nach Rang und Höhe mit dem Betrag, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte (BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 279).

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