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BGH, Urteil vom 27. März 2008 – IX ZR 98/07

§ 130 Abs 1 S 1 Nr 1 InsO

1. Eine bereits vor der angefochtenen Rechtshandlung gegebene Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners entfällt, wenn er aufgrund neuer, objektiv geeigneter Tatsachen zu der Ansicht gelangt, nun sei der Schuldner möglicherweise wieder zahlungsfähig.

Ob dies ohne weiteres auf § 139 Abs. 2 InsO übertragen werden kann, hat der Bundesgerichtshof bisher nicht ausdrücklich entschieden (vgl. BGHZ 149, 100, 111; 149, 178, 189). Er hat jedoch zu § 133 InsO ausgesprochen, dem Gläubiger, der von der einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gewusst habe, obliege es darzulegen und zu beweisen, warum er später davon ausgegangen sei, der Schuldner habe seine Zahlungen allgemein wieder aufgenommen (BGH, Urt. v. 8. Dezember 2005 – IX ZR 182/01, WM 2006, 190, 194; v. 20. Dezember 2007 – IX ZR 93/06, WM 2008, 452, 455 Rn. 36). Dies setzt voraus, dass die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit nachträglich wegfallen kann. Im Schrifttum wird die Frage teilweise restriktiv beantwortet (FK-InsO/Dauernheim, 4. Aufl. § 130 Rn. 45). Von anderen wird jedoch – insofern dem Reichsgericht folgend – eine Ausnahme für den Fall anerkannt, dass die irrige Annahme, die Zahlungsunfähigkeit sei nachträglich behoben worden, auf wesentlichen neuen Tatsachen beruht (MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 130 Rn. 31).

Die zuletzt genannte Ansicht ist im Ansatz zutreffend. Der Gläubiger muss, wie sich aus § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO ergibt, die erforderliche Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Rechtshandlung, das heißt grundsätzlich bei Eintritt ihrer Rechtswirkungen (§ 140 InsO), gehabt haben. Eine der Rechtshandlung nachfolgende Kenntnis schadet nicht (MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO § 130 Rn. 32; Uhlenbruck/Hirte, aaO § 130 Rn. 53; HK-InsO/Kreft, aaO). Dann kann auch eine frühere Kenntnis nicht schaden, falls der Gläubiger im Zeitpunkt der Rechtshandlung nicht „bösgläubig“ war.

Es ist nicht erforderlich, dass der Anfechtungsgegner im Zeitpunkt der Rechtshandlung überzeugt war, die Zahlungsunfähigkeit sei behoben. Es genügt, dass er von dieser Möglichkeit ausging. Kenntnis, wie sie § 130 Abs. 1 InsO verlangt, bedeutet positive Kenntnis, das heißt für sicher gehaltenes Wissen (MünchKomm-InsO/Kirchhof, aaO § 130 Rn. 33; Uhlenbruck/Hirte, InsO 12. Aufl. § 130 Rn. 51; HK-InsO/Kreft, 4. Aufl. § 130 Rn. 22).

2. Den Wegfall der Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hat der Anfechtungsgegner zu beweisen; der Beweis ist erbracht, wenn feststeht, dass der Anfechtungsgegner infolge der neuen Tatsachen ernsthafte Zweifel am Fortbestand der Zahlungsunfähigkeit hatte.

Wird nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ein Erfolg versprechender Sanierungsversuch unternommen, kann dies einen Gläubiger, der davon erfährt, in seiner Annahme, der Schuldner sei zahlungsunfähig, wanken lassen. Die Revision meint, ein Gläubiger, der sich einem Sanierungsvorhaben anschließe, dürfe nicht besser stehen als ein anderer Gläubiger, der die Quote in Kauf nehme. Auch bestehe kein praktisches Bedürfnis für eine Ausnahme. Verlaufe die Sanierung erfolgreich, komme es zu keinem Insolvenzverfahren und somit auch zu keiner Anfechtungsklage; schlage dagegen die Restrukturierung fehl, so sei nicht ersichtlich, weshalb sich der sanierungswillige Gläubiger auf Kosten der Masse solle bereichern können. Der Revision ist zuzugeben, dass nicht jeder nach Stellung eines Insolvenzantrags unternommene Sanierungsversuch Anlass gibt, am Fortbestehen der Zahlungsunfähigkeit zu zweifeln. Von einer Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit kann erst ausgegangen werden, wenn der Schuldner nicht nur einzelne Verbindlichkeiten beglichen, sondern begonnen hat, seine sämtlichen Verbindlichkeiten zu tilgen (BGHZ 149, 100, 109; 149, 178, 188; BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222, 2224; v. 21. Juni 2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469, 1471). Jedenfalls dann, wenn im Rahmen eines Sanierungsversuchs umfangreiche Forderungsverzichte der Gläubiger erreicht sind und ein bereits gestellter Insolvenzantrag daraufhin zurückgenommen wird, kann möglicherweise eine allgemeine Wiederaufnahme der ZahlungenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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erwartet werden. Tatrichterliche Feststellungen liegen insoweit nicht vor.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Gläubiger, der die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners einmal erkannt hatte, aufgrund neuer Tatsachen angenommen hat, die Zahlungsunfähigkeit sei beseitigt, liegt bei dem Gläubiger. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass derjenige, der sich auf den nachträglichen Wegfall der objektiven Zahlungsunfähigkeit beruft, dies beweisen muss (BGHZ 149, 100, 109; 149, 178, 188; BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03, aaO; v. 21. Juni 2007 – IX ZR 231/04, aaO). Für den nachträglichen Wegfall der subjektiven Anfechtungsvoraussetzung „Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit“ gilt Entsprechendes. Ein Gläubiger, der von der einmal eingetretenen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners wusste, hat darzulegen und zu beweisen, warum er später davon ausging, der Schuldner habe später seine Zahlungen möglicherweise allgemein wieder aufgenommen (BGH, Urt. v. 8. Dezember 2005 – IX ZR 182/01, WM 2006, 190, 194; v. 20. Dezember 2007 – IX ZR 93/06, WM 2008, 452, 455 Rn. 36). Der Insolvenzverwalter wäre regelmäßig überfordert, müsste er darlegen und beweisen, dass in der Person des Gläubigers (Anfechtungsgegners) die objektiv veränderten Umstände keine Änderung der inneren Einstellung bewirkt haben. Demgegenüber kann der Gläubiger unschwer darlegen, welche neuen Umstände ihm die Überzeugung vermittelt haben, nunmehr sei der Schuldner möglicherweise nicht mehr zahlungsunfähig.

Schlagworte: Beseitigung der Zahlungseinstellung, Forderungsverzicht, GmbHG § 64 Satz 1, Sanierungsversuche, Wiederaufnahme der Zahlungen, Zahlungen nach Insolvenzreife, Zahlungseinstellung, Zahlungsunfähigkeit