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BGH, Urteil vom 27. März 2012 – II ZR 171/10

GmbHG § 64 a. F.

a) Eine GmbH ist zahlungsunfähig, wenn sie nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO). Kann sie sich innerhalb von drei Wochen die zur Begleichung ihrer fälligen Forderungen benötigten finanziellen Mittel nicht beschaffen, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Zahlungsunfähigkeit und nicht mehr eine nur rechtlich unerhebliche Zahlungsstockung vor. Beträgt die innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke der Schuldnerin allerdings weniger als 10 % ihrer fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist regelmäßig Zahlungsunfähigkeit noch nicht eingetreten, es sei denn, es ist bereits absehbar, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird. Beträgt die Liquiditätslücke der Schuldnerin 10 % oder mehr, ist dagegen regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 139 ff.; Urteil vom 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 27; Urteil vom 21. Juni 2007 – IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 37; Beschluss vom 19. Juli 2007 – IX ZB 36/07, BGHZ 173, 286 Rn. 31).

b) Die Haftung des GeschäftsführersBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Haftung
Haftung des Geschäftsführers
nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a. F. setzt Verschulden voraus. Einfache Fahrlässigkeit genügt. Maßstab ist nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a. F. die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns. Zu Lasten eines Geschäftsführers, der in der in § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. beschriebenen Lage der Gesellschaft Zahlungen aus ihrem Gesellschaftsvermögen leistet, wird vermutet, dass er dabei schuldhaft, nämlich nicht mit der von einem Vertretungsorgan einer GmbH zu fordernden Sorgfalt gehandelt hat (BGH, Urteil vom 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 274 f.; Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 11, 15; Urteil vom 5. Mai 2008 – II ZR 38/07, ZIP 2008, 1229 Rn. 8; Urteil vom 8. Juni 2009 – II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 7; Urteil vom 18. Oktober 2010 – II ZR 151/09, ZIP 2010, 2400 Rn. 14 – Fleischgroßhandel). Als Ausgangspunkt des subjektiven Tatbestands des § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. reicht die Erkennbarkeit der InsolvenzreifeBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Erkennbarkeit der Insolvenzreife
Insolvenzreife
aus, wobei die Erkennbarkeit als Teil des Verschuldens vermutet wird (BGH, Urteil vom 29. November 1999 – II ZR 273/98, BGHZ 143, 184, 185; Urteil vom 15. März 2011 – II ZR 204/09, ZIP 2011, 1007 Rn. 38).

c) Von dem Geschäftsführer einer GmbH wird erwartet, dass er sich über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft stets vergewissert (laufende Beobachtung). Hierzu gehört insbesondere die Prüfung der Insolvenzreife. Wenn der Geschäftsführer erkennt, dass die GmbH zu einem bestimmten Stichtag nicht in der Lage ist, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen, hat er die Zahlungsfähigkeit der GmbH anhand einer Liquiditätsbilanz zu überprüfen (BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 140 f.). Er handelt fahrlässig, wenn er sich nicht rechtzeitig die erforderlichen Informationen und die Kenntnisse verschafft, die er für die Prüfung benötigt, ob er pflichtgemäß Insolvenzantrag stellen muss. Dabei muss sich der Geschäftsführer, sofern er nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse verfügt, gegebenenfalls fachkundig beraten lassen (BGH, Urteil vom 6. Juni 1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199; Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 16).

d) Der selbst nicht hinreichend sachkundige Geschäftsführer ist nur dann entschuldigt, wenn er sich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person hat beraten lassen (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 16; vgl. auch BGH, Urteil vom 20. September 2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 18) und danach keine Insolvenzreife festzustellen war. Die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters gebietet es zudem, das Prüfergebnis einer Plausibilitätskontrolle zu unterziehen (BGH, Urteil vom 14. Mai 2007 – II ZR 48/06, ZIP 2007, 1265 Rn. 18; vgl. auch BGH, Urteil vom 20. September 2011 – II ZR 234/09, ZIP 2011, 2097 Rn. 18).Bei der zum Ausgleich unzureichender persönlicher Kenntnisse des Geschäftsführers heranzuziehenden fachlich qualifizierten Person muss es sich nicht um einen Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt handeln.

e) Der Geschäftsführer darf sich nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung begnügen, sondern muss auch auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfergebnisses hinwirken.

f) Haben fällige Verbindlichkeiten bestanden, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, ist regelmäßig von Zahlungseinstellung auszugehen (BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 – II ZR 119/10, ZIP 2012, 723 Rn. 13 m. w. N.). Lag eine Zahlungseinstellung vor, wird gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO gesetzlich vermutet, dass Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Keine Zahlungseinstellung liegt vor, wenn der Schuldner die Zahlungen verweigert hat, weil er die Forderungen für unbegründet hält (BGH, Urteil vom 17. Mai 2001 – IX ZR 188/98, ZIP 2001, 1155). Die Behauptung des Geschäftsführers, die Gesellschaft sei lediglich zahlungsunwillig, genügt aber nicht, um die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit entfallen zu lassen. Die Zahlungsunwilligkeit ist vielmehr von dem Geschäftsführer zu beweisen. Dieser muss dann auch beweisen, dass die Gesellschaft zahlungsfähig war (BGH, Urteil vom 15. März 2012 – IX ZR 239/09, ZIP 2012, 735 Rn. 18).

Schlagworte: Bilanzierungsfrist, Darlegungs- und Beweislast, Erkennbarkeit der Insolvenzreife, fachkundiger Rat, Geschäftsführer, GmbHG § 64 Satz 1, Haftung im Zusammenhang mit der Insolvenz, Haftung nach § 43 GmbHG, Innenhaftung, Insolvenzantrag, Insolvenzreife, Insolvenzverfahrensverschleppung, laufende Beobachtung, Liquidität, Liquiditätsbilanz, Liquiditätslücke, objektiver Eintritt der Insolvenzreife, Pflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, Prüfungspflicht, Sanierungsversuche, sorgfältige Plausibilitätsprüfung, tatsächliche Vermutung, Übergabe Unterlagen, Verschulden, Zahlungen nach Insolvenzreife, Zahlungseinstellung, Zahlungsunfähigkeit, Zahlungsverbot, Zeitliche Grenzen des Zahlungsverbots