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BGH, Urteil vom 29. Januar 2013 – II ZR 91/11

BGB § 426; UStG § 2; AktG § 317

a) Im Rahmen der umsatzsteuerlichen Organschaft ist die Organträgerin nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG Steuerschuldnerin der auf die Umsätze der Organschaft entfallenden Umsatzsteuer (vgl. BFH, Urteil vom 23. September 2009 VII R 43/08, BFHE 226, 391, 395).

b) Neben dem Organträger als Steuerschuldner haftet bei einer umsatzsteuerlichen Organschaft die Organgesellschaft nach § 73 Satz 1 AO für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Die Vorschrift behandelt den Organkreis als einheitliches Ganzes und erfasst infolgedessen auch diejenigen Steuern, die im Unternehmen des Organträgers angefallen sind (BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992 IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50, 53 f.).

c) Nach § 73 Satz 2 AO erstreckt sich die Haftung der Organgesellschaft auf Ansprüche der Finanzbehörden auf Erstattung von Steuervergütungen, die dem Organträger zugeflossen sind. Der Organträger als Steuerschuldner und die nach § 219 Satz 1 AO nur nachrangig haftende Organgesellschaft werden – obwohl es an der Gleichstufigkeit der Schuld fehlt – im Hinblick auf § 44 Abs. 1 AO als Gesamtschuldner behandelt. Ein eventueller Innenausgleich wird nach bürgerlichem Recht entsprechend § 426 BGB vorgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992 IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50, 55 f.; Urteil vom 1. Dezember 2003 II ZR 202/01, ZIP 2004, 164, 165; Urteil vom 19. Januar 2012 IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 Rn. 19; BFH, Urteil vom 23. September 2009 VII R 43/08, BFHE 226, 391, 398).

d) Umfang und Grenzen eines Ausgleichsanspruchs im Anwendungsbereich des entsprechend heranzuziehenden § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB richten sich nach der zivilrechtlichen Ausgestaltung des Innenverhältnisses der am Organkreis Beteiligten (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2003 II ZR 202/01, ZIP 2004, 164, 165). Hierbei gilt im Grundsatz, dass derjenige Beteiligte am Organkreis, aus dessen Umsätzen die an das Finanzamt gezahlten Umsatzsteuerbeträge herrühren, im Innenverhältnis der Organschaft auch die Steuerlast zu tragen hat (BGH, Urteil vom 19. Januar 2012 IX ZR 2/11, BGHZ 192, 221 Rn. 28, 36; BFH, Urteil vom 23. September 2009 VII R 43/08, BFHE 226, 391, 398; vgl. zur gewerbesteuerlichen Organschaft: BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992 IX ZR 244/91, BGHZ 120, 50, 59).

e) Die durch § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG bewirkte Zurechnung der Umsätze des Organkreises an den Organträger als Steuerschuldner gegenüber dem Finanzamt dient im Wesentlichen der Vereinfachung der Steuererhebung und stellt keine andere Bestimmung im Sinne des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Die gesetzgeberischen Gründe für die Normierung der umsatzsteuerlichen Organschaft in der gegenwärtigen Form berühren die zivilrechtlichen Rechtsbezie-hungen zwischen den Parteien nicht. Das Umsatzsteuerrecht wird seit der Einführung des Mehrwertsteuersystems im Jahr 1968 (BGBl. I S. 545) auf der Ebene der selbstständigen Vorunternehmer vom Grundsatz der Belastungsneutralität beherrscht. Der jeweilige am Organkreis beteiligte Rechtsträger vereinnahmt die Umsatzsteuer für die von ihm ausgeführten Umsätze mit dem (Brutto-)Entgelt von seinem jeweiligen Abnehmer. Die Zurechnung dieser Umsätze an den Organträger ohne zivilrechtlichen Innenausgleich widerspräche dem Grundsatz der Belastungsneutralität, weil er zu erheblichen Vermögensverschiebungen zwischen den am Organkreis beteiligten Rechtsträgern führen würde.

f) Die auf § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG beruhende Zuweisung des Vorsteuerabzugs-rechts an den Organträger ist lediglich formeller, der Abwicklung des Steuerschuldverhältnisses dienender Natur. Der Organträger ist der Organgesellschaft im Innenverhältnis der Mitglieder des Organkreises zum Ausgleich der Vorsteuerabzugsbeträge verpflichtet, die auf Leistungsbezüge der Organgesellschaft entfallen und die lediglich infolge der umsatzsteuerlichen Organschaft dem Organträger zu Gute gekommen sind.

g) Eine dem Innenausgleich entgegenstehende Vereinbarung ist nachteilig im Sinne des § 311 Abs. 1 AktG (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 1999 II ZR 312/97, BGHZ 141, 79, 84; Kleindiek, DStR 2000, 559, 561 f.; Hüttemann, ZGR 171 [2007], 451, 465 f.; a. A. Feddersen, ZGR 2000, 523, 528). Unterlässt es das herrschende Unternehmen, den Nachteil bis zum Ende des Geschäftsjahrs tatsächlich auszugleichen oder der abhängigen Gesellschaft einen Rechtsanspruch auf einen zum Ausgleich bestimmten Vorteil zu gewähren, ist es der abhängigen Gesellschaft zum Ersatz des ihr daraus entstehenden Schadens (§ 317 Abs. 1 Satz 1 AktG) gemäß § 249 Abs. 1 BGB verpflichtet (Spindler/Stilz/Müller, AktG, 2. Aufl., § 317 Rn. 8; Bödeker in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, AktG § 317 Rn. 6; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 317 Rn. 9; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., § 317 Rn. 15). Läge eine auf den Erlass des Ausgleichsanspruchs gerichtete Vereinbarung zwischen den Parteien vor, wäre das herrschende Unternehmen gem. § 251 Abs. 1 BGB zum Wertersatz verpflichtet.

Schlagworte: faktischer Konzern, Gesamtschuldner, Innenhaftung, Konzernrecht, nachteiliges Rechtsgeschäft, Nachteilsausgleich, Organgesellschaft, Organschaft, Organträger, Schadensersatzanspruch, Steuerrecht, Wertersatz