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BGH, Urteil vom 3. Mai 2016 – II ZR 311/14

BGB § 823Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
BGB
BGB § 823
Abs. 2 Be; StGB § 266a Abs. 1

Der Sozialversicherungsträger, der den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Haftung
wegen Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen aus § 823 Abs. 2 BGB, § 266a Abs. 1 StGB in Anspruch nimmt, trägt für den Vorsatz des Beklagten die Darlegungs- und Beweislast auch dann, wenn die objektive Pflichtwidrigkeit des beanstandeten Verhaltens feststeht.

BGB § 204 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 185 Nr. 1

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der Klageschrift, die unwirksam ist, weil ihre Voraussetzungen für das bewilligende Gericht erkennbar nicht vorgelegen haben, wird die Verjährung nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt (Anschluss an BGH, Urteil vom 19. Dezember 2001 VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311, 324).

Das Berufungsgericht ist noch zutreffend davon ausgegangen, dass eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB zumindest bedingten Vorsatz erfordert und dass die Klägerin als Geschädigte grundsätzlich die Beweislast für das Verschulden trägt. Die nachfolgende Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe sich umfassend zu exkulpieren und er habe den daraus folgenden Darlegungsanforderungen nicht entsprochen, ist jedoch von Rechts- und Verfahrensfehlern beeinflusst.

Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht aus der Feststellung der objektiven Pflichtwidrigkeit gefolgert, es sei Sache des Beklagten, darzulegen und ggf. zu beweisen, dass er nicht zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt habe. Damit hat das Berufungsgericht die für Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB maßgebende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast verkannt.

Der Sozialversicherungsträger, der den Geschäftsführer einer GmbH wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung in Anspruch nimmt und sich hierbei, wie die Klägerin im Streitfall, auf eine deliktische Haftung wegen Verletzung eines Schutzgesetzes stützt, hat grundsätzlich alle Umstände darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Verwirklichung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Schutzgesetzes ergibt; den in Anspruch genommenen Geschäftsführer trifft lediglich eine sekundäre Darlegungslast (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 14; Urteil vom 11. Dezember 2001 VI ZR 350/00, ZIP 2002, 524, 525 f. mwN). Die Darlegungs- und Beweislast des klagenden Sozialversicherungsträgers erstreckt sich auch auf den Vorsatz des Beklagten (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 14 mwN). Die vom Berufungsgericht angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 4. April 1967 VI ZR 98/65, VersR 1967, 685; Urteil vom 26. November 1968 VI ZR 212/66, BGHZ 51, 91, 103 f.; Urteil vom 13. Dezember 1984 III ZR 20/83, WM 1985, 590 f. = VersR 1985, 452 f.) stehen dem nicht entgegen. Diesen Entscheidungen kann zwar zu der Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB die Aussage entnommen werden, dass bei objektiv feststehender Verletzung eines Schutzgesetzes der das Schutzgesetz Übertretende in aller Regel Umstände darlegen und beweisen müsse, die geeignet seien, die daraus folgende Annahme seines Verschuldens auszuräumen. Dieser an die Beweislastverteilung nach § 282 BGB aF (jetzt § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) angelehnte Grundsatz gilt jedoch nicht, wenn der Schadensersatzanspruch wie im Streitfall Vorsatz voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 15; Urteil vom 1. Juli 2008 XI ZR 411/06, ZIP 2008, 1673 Rn. 23; Urteil vom 23. März 2010 VI ZR 57/09, ZIP 2010, 1122 Rn. 38). Die danach erforderliche positive Feststellung, dass der Beklagte vorsätzlich gehandelt habe, ist im Berufungsurteil unterblieben. Das Berufungsgericht hat stattdessen in Verkennung der Darlegungs- und Beweislast darauf ab-gestellt, dass der Beklagte nicht schlüssig dargetan habe, nicht zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt zu haben.

Dieser Rechtsirrtum des Berufungsgerichts erweist sich nicht deshalb ohne weiteres als unschädlich, weil den Geschäftsführer einer GmbH, der wegen des Nichtabführens von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, grundsätzlich eine sekundäre Darlegungslast trifft (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 14). Die Auferlegung einer sekundären Darlegungslast findet ihre Rechtfertigung darin, dass der primär darlegungsbelastete Geschädigte außerhalb des von ihm vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Umstände besitzt, während der Anspruchsgegner die wesentlichen Tatsachen kennt oder unschwer in Erfahrung bringen kann und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1998 II ZR 266/97, BGHZ 140, 156, 158; Urteil vom 22. März 2004 II ZR 75/02, juris Rn. 12; Urteil vom 8. Januar 2014 I ZR 169/12, BGHZ 200, 76 Rn. 17 BearShare; Urteil vom 10. Februar 2015 VI ZR 343/13, ZIP 2015, 790 Rn. 11; Urteil vom 1. März 2016 VI ZR 34/15, juris Rn. 47; Beschluss vom 3. März 2016 IX ZB 65/14, WM 2016, 753 Rn. 22). Eine sekundäre Darlegungslast besteht nicht, soweit für die primär darlegungsbelastete Partei eine weitere Sachverhaltsaufklärung möglich und zumutbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 8. Januar 2014 I ZR 169/12, BGHZ 200, 76 Rn. 17 BearShare; Urteil vom 10. Februar 2015 VI ZR 343/13, ZIP 2015, 790 Rn. 11; Urteil vom 1. März 2016 VI ZR 34/15, juris Rn. 47). Ob Parteivortrag der sekundären Darlegungslast genügt, hat der Tatrichter im Einzelfall zu beurteilen. Dabei ist zu beachten, dass sich der Umfang der sekundären Darlegungslast einerseits nach der Intensität des Sachvortrags der beweisbelasteten Partei richtet und er andererseits seine Grenze in der Zumutbarkeit der den Prozessgegner treffenden Offenbarungspflicht findet (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2012 XI ZR 254/10, WM 2012, 746 Rn. 4 mwN; Urteil vom 8. Januar 2015 VII ZR 6/14, WM 2015, 1073 Rn. 29). An die Erfüllung der sekundären Darlegungslast dürfen keine die Verteilung der Vortragslast umkehrenden Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2005 II ZR 61/03, ZIP 2005, 1026, 1028). Diesen Vorgaben gerecht werdende Feststellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

Ein vorsätzliches Handeln des Beklagten erschließt sich auch nicht daraus, dass die U. GmbH unstreitig in erheblichem Umfang Schwarzarbeiter beschäftigte und dies den für die Geschäftsführung Verantwortlichen nicht verborgen bleiben konnte. Das Berufungsgericht hat in diesem Zusammenhang, wie die Revision zu Recht rügt, Beweisangebote des Beklagten verfahrensfehlerhaft übergangen.

Das Berufungsgericht hat allerdings von der Revision unbeanstandet festgestellt, dass der Beklagte am 19. September 2002 unter seiner Beteiligung zum Geschäftsführer bestellt worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der auch das Berufungsgericht ausgeht, handelt der wegen Nichtabführung der Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch genommene Geschäftsführer mit bedingtem Vorsatz, wenn er eine für möglich gehaltene Beitragsvorenthaltung billigt und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hinwirkt (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 16 mwN). Dem Einwand des Beklagten, er habe von Geschäftsführungsangelegenheiten und der Beschäftigung von Schwarzarbeitern keine Kenntnis gehabt, weil er durchgängig nur als Fahrer und Lagerarbeiter eingesetzt worden sei, während N. D. die Geschäfte der GmbH de facto weitergeführt habe, hat das Berufungsgericht entgegengehalten, dass den Geschäftsführer, der die Erfüllung seiner Aufgaben anderen überlasse, eine Überwachungspflicht treffe, der der Beklagte im Streitfall nicht nachgekommen sei. Diese Erwägungen sind zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend, berücksichtigen das Vorbringen des Beklagten aber in einem entscheidenden Punkt nicht ausreichend.

Überlässt es der Geschäftsführer anderen für das Unternehmen tätigen Personen, für die Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu sorgen, muss er (jedenfalls) im Rahmen der ihm verbliebenen Überwachungspflicht tätig werden, sobald Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der Aufgaben durch die intern damit betrauten Personen nicht mehr gewährleistet ist. Er muss dann durch geeignete Maßnahmen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge sicherstellen. Anlass für konkrete Überwachungsmaßnahmen bieten insbesondere eine finanzielle Krisensituation oder ungeordnete Verhältnisse im Geschäftsablauf innerhalb der Gesellschaft (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juni 2008 II ZR 27/07, ZIP 2008, 1275 Rn. 11; Urteil vom 18. Dezember 2012 II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 Rn. 17; Urteil vom 9. Januar 2001 VI ZR 407/99, ZIP 2001, 422, 424). Eine vorsätzliche Verletzung derartiger Überwachungspflichten setzt in-des voraus, dass der Geschäftsführer von seiner Bestellung Kenntnis hatte. Weiß er nichts von seiner Bestellung, entfällt auch sein Wissen um die tatsächliche Grundlage der aus der Stellung als Geschäftsführer folgenden Pflichten. Der Beklagte hat die Kenntnis seiner Bestellung bestritten und unter der Benennung von Zeugen vorgetragen, dass N. D. ihm versichert habe, er werde lediglich zu einem geringen Teil Gesellschafter, nicht jedoch außerdem Geschäftsführer; die in Widerspruch hierzu (möglicherweise) erfolgte notarielle Beurkundung seiner Geschäftsführerbestellung habe er mangels aus reichender Deutschkenntnisse nicht wahrgenommen. Erst am 5. Februar 2003 habe er durch ein Schreiben erfahren, dass er (formell) zum Geschäftsführer bestellt worden sei. Das Berufungsgericht durfte nicht ohne Erhebung der von dem Beklagten angebotenen Beweise zu der Annahme gelangen, der Beklagte habe bereits durch die Beurkundungen vom 19. September 2002 von seiner Bestellung zum GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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erfahren. Zwar spricht der Umstand, dass der Notar in der von dem Beklagten vorgelegten Urkunde vom 28. Februar 2003 keine Feststellung nach § 16 Abs. 1 BeurkG getroffen und offenbar keine Übersetzung der Urkunde veranlasst hat, dafür, dass der Beklagte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, gut fünf Monate nach dem 19. September 2002, nach der Einschätzung des Notars der deutschen Sprache hinreichend kundig war. Auch der vorherige Aufenthalt des Beklagten in Österreich mag ausreichende Sprachkenntnisse nahelegen; nach den vorgelegten Meldebescheinigungen war der Beklagte vom 25. Januar bis zum 23. Juli 2002 in S. (Österreich) gemeldet. Derartige Indiztatsachen, die gegen die Darstellung des Beklagten sprechen können, rechtfertigen jedoch keine vorweggenommene Beweiswürdigung unter Übergehung der Beweisangebote des Beklagten. Es ist als mögliches Ergebnis der noch vorzunehmenden Beweisaufnahme jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen, dass dem Beklagten seine Bestellung zum GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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verheimlicht werden sollte und erfolgreich verheimlicht wurde.

Die Annahme des Berufungsgerichts, es entlaste den Beklagten nicht, wenn er erst am 5. Februar 2003 von seiner Bestellung zum GeschäftsführerBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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erfahren habe, weil dies jedenfalls seine weitere Untätigkeit bis zu seiner Abberufung Ende Februar 2003 nicht entschuldige, ist gleichfalls von Rechtsirrtum beeinflusst. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, es sei nichts dafür dargetan, dass der Beklagte davon habe ausgehen können, dass in der Zeit, in der er formal die Position des Geschäftsführers der GmbH bekleidet habe, keine Schwarzarbeiter für diese tätig gewesen seien. Damit ist das Berufungsgericht erneut von einer unzutreffenden Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ausgegangen, indem es dem Beklagten auferlegt hat, sich von dem Vorwurf vorsätzlichen Handelns umfassend zu entlasten. Im Übrigen hat das Berufungsgericht lediglich als unstreitig festgehalten, dass die U. GmbH von April bis September 2002 in erheblichem Umfang Schwarzarbeiter beschäftigt habe. Zum nachfolgenden Zeitraum hat das Berufungsgericht keine entsprechenden Feststellungen getroffen. Auf dieser Grundlage kann nicht ohne weiteres angenommen werden, der Beklagte habe aufgrund im Februar 2003 vorliegender Anhaltspunkte gewusst oder damit gerechnet, dass seit Mitte Oktober 2002 bzw. den in § 23 Abs. 1 SGB IV a.F. anderweitig genannten Terminen fällige Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt worden waren. Die weitere Erwägung des Berufungsgerichts, es sei nicht ersichtlich, dass dem Beklagten als (unstreitig) in dem Unternehmen Tätigen verborgen geblieben sei, dass in ganz erheblichem Umfange Schwarzarbeiter beschäftigt waren, erweist sich im Kern als bloße Vermutung. Der Beklagte hat eingeräumt, seit Anfang September 2002 als Fahrer und Lagerarbeiter tätig gewesen zu sein. Eine solche Tätigkeit vermittelt nicht notwendigerweise die Kenntnis, dass das Unternehmen in erheblichem Umfang Schwarzarbeiter beschäftigte.

 

Schlagworte: Darlegungs- und Beweislast, Haftung wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen gem. § 266a StGB, sekundäre Beweislast, sekundäre Darlegungslast