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BGH, Urteil vom 6. Juni 2013 – IX ZR 204/12

BGB §§ 249, 254, 675; InsO § 15a

a) Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe des mit der allgemeinen steuerlichen Beratung der GmbH beauftragten Beraters, die Gesellschaft bei einer Unterdeckung in der Handelsbilanz darauf hinzuweisen, dass es die Pflicht des Geschäftsführers ist, eine Überprüfung vorzunehmen oder in Auftrag zu geben, ob Insolvenzreife eingetreten ist und gegebenenfalls gemäß § 15a InsO Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt werden muss. Hingegen besteht eine haftungsrechtliche Verantwortung, wenn dem steuerlichen Berater ein ausdrücklicher Auftrag zur Prüfung der Insolvenzreife eines Unternehmens erteilt wird (BGH, Urteil vom 7. März 2013 – IX ZR 64/12, DB 2013, 928 Rn. 15, 19).

b) Erklärt der vertraglich lediglich mit der Erstellung der Steuerbilanz betraute Steuerberater, dass eine insolvenzrechtliche Überschuldung nicht vorliege, haftet er der Gesellschaft wegen der Folgen der dadurch bedingten verspäteten Insolvenzantragstellung.

c) Weist ein Steuerberater unter Bezug auf Rangrücktrittsvereinbarungen und den Firmenwert auf eine „Überschuldung rein bilanzieller Natur“ hin, schließt er damit eine insolvenzrechtliche Überschuldung der Schuldnerin aus (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1954 – II ZR 322/53, BGHZ 16, 17, 24 ff). In dem Hinweis auf eine rein bilanzielle Überschuldung findet die Bewertung unmissverständlichen Ausdruck, dass eine insolvenzrechtliche Überschuldung gerade nicht vorliegt. Der Hinweis auf die Rangrücktrittsvereinbarungen und den Firmenwert offenbart, dass der Steuerberater eine über die steuerliche Bilanzierung hinausgehende Leistung erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2013 – IX ZR 64/12, DB 2013, 928 Rn. 18). Aufgrund der wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung der Angelegenheit handelte es sich insoweit nicht um eine bloße Gefälligkeit, sondern um eine zusätzliche Prüfung, auf deren Richtigkeit die Schuldnerin vertrauen durfte (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2008 – IX ZR 12/05, WM 2009, 369 Rn. 6 ff). Wurde von Steuerberater eine tatsächlich bestehende insolvenzrechtliche Überschuldung verkannt, hat er gemäß § 634 Nr. 4 BGB Schadensersatz zu leisten.

d) Eine Ersatzpflicht der Organe gegenüber der Gesellschaft ist gegeben, wenn sich die Verbindlichkeiten eines insolvenzreifen Unternehmens wegen verspäteter Insolvenzantragstellung vermehren. Da auch eine überschuldete Gesellschaft verpflichtet bleibt, ihre Gläubiger nach Möglichkeit zu befriedigen, hat sie von allen ihr zustehenden Rechten Gebrauch zu machen, um dieser Pflicht zu genügen. Wird ein überschuldetes Unternehmen pflichtwidrig fortgeführt, kann es von dem verantwortlichen Organ Schadensersatz in Höhe der Steigerung seiner Überschuldung beanspruchen (RGZ 161, 129, 142 f; BGH, Urteil vom 29. Juni 1972 – II ZR 123/71, BGHZ 59,148, 149 f; vom 10. Oktober 1985 – IX ZR 153/84, NJW 1986, 581, 582 f). Dieser Schaden wird vom Schutzzweck der Insolvenzverschleppungshaftung umfasst.

e) Wird aufgrund einer von einem Abschlussprüfer gefertigten fehlerhaften Überschuldungsbilanz ein Insolvenzantrag verspätet gestellt, erfasst der daraus sich ergebende Schadensersatzanspruch ebenfalls den gesamten Insolvenzverschleppungsschaden, der insbesondere durch die auf der Unternehmensfortführung beruhende Vergrößerung der Verbindlichkeiten erwächst (BGH, Urteil vom 18. Februar 1987 – IVa ZR 232/85, VersR 1988, 178 f; vgl. BGH, Urteil vom 7. März 2013 – IX ZR 64/12, DB 2013, 928 Rn. 19). Folglich bemisst sich der Schaden der Schuldnerin nach der Differenz zwischen ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt rechtzeitiger Antragstellung im Vergleich zu ihrer Vermögenslage im Zeitpunkt des tatsächlich gestellten Antrags (vgl. Büchler, InsVZ 2010, 68, 75).

f) Nachteile, die durch die gebotene Liquidation ohnedies eintreten würden, braucht der Schädiger hingegen nicht zu ersetzen. Gleiches gilt, wenn einige oder sämtliche geltend gemachten Schäden in Gestalt der behaupteten Erhöhung der unterstellten Überschuldung auch dann eingetreten wären, wenn das Insolvenzverfahren auf einen rechtzeitigen Antrag eröffnet worden wäre (BGH, Urteil vom 18. Februar 1987 – IVa ZR 232/85, VersR 1988, 178 f).

g) Wird der Insolvenzantrag einer GmbH infolge einer fehlerhaften Abschlussprüfung verspätet gestellt, trifft die Gesellschaft mit Rücksicht auf ihre Selbstprüfungspflicht in der Regel ein Mitverschulden an dem dadurch bedingten Insolvenzverschleppungs-Schaden. Allerdings ist im Hinblick darauf, dass es die vorrangige Aufgabe des Abschlussprüfers ist, Fehler in der Rechnungslegung des Unternehmens aufzudecken und den daraus drohenden Schaden von diesem abzuwenden, bei der Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB mehr Zurückhaltung als bei anderen Schädigern geboten. Daher lässt auch eine vorsätzliche Irreführung des Prüfers seine Ersatzpflicht nicht ohne weiteres gänzlich entfallen (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009, aaO Rn. 56). Andererseits ist der Mitverschuldenseinwand zu beachten, wenn dem Auftraggeber, der gemäß § 322 Abs. 2 Satz 2 HGB in eigener Verantwortung den zu prüfenden Jahresabschluss aufzustellen hat, und dem Prüfer nur Fahrlässigkeit anzulasten ist (vgl. MünchKomm-HGB/Ebke, 2. Aufl., § 323 Rn. 75; Winkeljohann/Feldmüller, Beck´scher Bilanzkommentar, 8. Aufl., § 323 Rn. 123). Da die Abschlussprüfung das gesellschaftsinterne Kontrollsystem nicht ersetzen soll, ist der GmbH ein auch nur fahrlässiges MitverschuldenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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anzulasten, wenn sie ihre Insolvenzreife nicht erkennt (Staub/Zimmer, HGB, 4. Aufl., § 323 Rn. 42; Winkeljohann/Feldmüller, Beck´scher Bilanzkommentar, 8. Aufl., § 323 Rn. 123; vgl. BGH, Urteil vom 27. Februar 1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52, 62). Aufgrund der Gesamtwürdigung kann der Tatrichter im Einzelfall in Anwendung von § 254 BGB zu einem vollständigen Haftungsausschluss des Abschlussprüfers gelangen (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 1997, aaO).

h) Bei der Bewertung des wechselseitigen Verschuldensgrades kann insbesondere die Schwere der dem Abschlussprüfer vorzuwerfenden Pflichtverletzung, also etwa das Ausmaß, in dem das Ergebnis der Prüfung von den tatsächlichen Verhältnissen abweicht, von Bedeutung sein. Hat der Abschlussprüfer der Gesellschaft anstelle der tatsächlich verwirklichten Überschuldung einen erheblichen Vermögensüberschuss attestiert, kann er der Geschäftsführung Anlass geben, die gebotene Selbstprüfung der wirtschaftlichen Lage zu vernachlässigen und risikoträchtige Geschäfte einzugehen, indem etwa bei der Preiskalkulation großzügig verfahren und nicht genau auf die Kostendeckung Bedacht genommen wird. Hier dürfte von einem überwiegenden Verschulden des Abschlussprüfers auszugehen sein, weil er bei der Gesellschaft das irrige Vertrauen weckt, sich nicht in einer wirtschaftlichen Schieflage zu befinden.

i) Anders verhält es sich dagegen, wenn dem Abschlussprüfer lediglich anzulasten ist, das Vermögen der Gesellschaft infolge einer Überbewertung der stillen Reserven gleich hoch wie ihre Verbindlichkeiten angesetzt und deswegen eine Überschuldung abgelehnt zu haben. Auf der Grundlage eines solchen Prüfungsergebnisses muss dem Geschäftsführer bewusst sein, den Geschäftsbetrieb nur bei Vermeidung weiterer Verluste unter strikter Wahrung der Kostendeckung fortsetzen zu dürfen. Dann trägt er die primäre Verantwortung dafür, dass keine weiteren Einbußen entstehen. Wird hierdurch die Überschuldung vertieft, kann in Betracht kommen, ein ganz überwiegendes Mitverschulden der Gesellschaft oder gar eine Haftungsfreistellung des Abschlussprüfers zugrundezulegen.

Schlagworte: Abschlussprüfer, fachkundiger Rat, Haftung, Insolvenz, Insolvenzantrag, Insolvenzver, Insolvenzverfahrensverschleppung, Insolvenzverschleppung, Mitverschulden, Rangrücktritt, Schadensersatzanspruch, Steuerberater, Überschuldung, Überschuldungsbilanz, Verletzung von Schutzgesetzen nach § 823 Abs. 2 BGB