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BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 – II ZR 360/13

bilanzielle Überschuldung

GmbHG §§ 30, 31, 43; HGB §§ 110, 161

a) Eine Zahlung aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaft an einen Gesellschafter der Komplementär-GmbH oder einen Kommanditisten ist eine nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlung, wenn dadurch das Vermögen der GmbH unter die Stammkapitalziffer sinkt oder eine bilanzielle Überschuldung vertieft wird (BGH, Urteil vom 29. März 1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324, 328 f.; Urteil vom 27. September 1976 – II ZR 162/75, BGHZ 67, 171, 175; Urteil vom 29. September 1977 – II ZR 157/76, BGHZ 69, 274, 279; Urteil vom 24. März 1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326, 329; Urteil vom 8. Juli 1985 – II ZR 269/84, BGHZ 95, 188, 191; Urteil vom 25. November 1985 – II ZR 93/85, WM 1986, 447, 448; Urteil vom 6. Juli 1998 – II ZR 284/94, ZIP 1998, 1437, 1438; Urteil vom 10. Dezember 2007 – II ZR 180/06, BGHZ 174, 370 Rn. 10).

b) Das ist die Konsequenz daraus, dass die GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin der Kommanditgesellschaft für deren Verbindlichkeiten haftet und entsprechende Passivposten bilden muss.

c) Andererseits kann sie den gegen die Kommanditgesellschaft gerichteten Freistellungsanspruch aus § 161 Abs. 2, § 110 HGB in ihrer Bilanz aktivieren.

d) Führt eine Leistung der Kommanditgesellschaft an einen Gesellschafter zur Aushöhlung des Vermögens der Kommanditgesellschaft, so ist der Freistellungsanspruch der GmbH nicht mehr durchsetzbar und in der Bilanz nicht aktivierbar, so dass eine Unterbilanz oder Überschuldung entstehen oder vertieft werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 29. März 1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324, 329).

e) Eine Haftung für nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlungen scheidet nicht aus, wenn neben der GmbH eine natürliche Person als Komplementär unbeschränkt haftet. Wenn der Zahlungsempfänger (auch) Gesellschafter der Komplementär-GmbH ist, ist es für seine Haftung nach § 30 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich ohne Bedeutung, ob daneben eine natürliche Person unbeschränkt haftet.

f) Zwar hat der Bundesgerichtshof vorausgesetzt, dass keine natürliche Person unbeschränkt haftet (BGH, Urteil vom 19. Februar 1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 356; ebenso Urteil vom 22. Oktober 1990 – II ZR 238/89, ZIP 1990, 1593, 1595). Dabei bestand jedoch die Besonderheit, dass an einen Kommanditisten ausgezahlt wurde, der nicht auch noch Gesellschafter der GmbH war. Den Nur-Kommanditisten trifft die Haftung für eine Auszahlung durch die Kommanditgesellschaft grundsätzlich nur, wenn keine natürliche haftende Person unbeschränkt haftet.

g) Die Haftung nach § 30 Abs. 1 GmbHG für eine mittelbare Auszahlung aus dem gebundenen Vermögen der GmbH setzt voraus, dass der Zahlungsempfänger für die Ausstattung der Gesellschaft mit haftendem Kapital verantwortlich ist. Das ist bei demjenigen, der (auch) GmbH-Gesellschafter ist, immer der Fall. Es macht keinen Unterschied, ob er eine Leistung zu Lasten des Gesellschaftsvermögens von der GmbH direkt oder auf dem Umweg über die Kommanditgesellschaft erhält. Beim Nur-Kommanditisten kann eine solche Verantwortlichkeit für die Kapitalausstattung auch der GmbH und damit für die verbundene Gesellschaft aber im Regelfall nur angenommen werden, wenn nicht auch eine natürliche Person unbeschränkt haftet, die ansonsten für die Kapitalausstattung der Kommanditgesellschaft zumindest mitverantwortlich wäre.

h) Die Beteiligung einer natürlichen Person als Komplementär neben der GmbH kann aber aus anderen Gründen Einfluss auf die Haftung haben. Wenn die Kommanditgesellschaft einen weiteren Komplementär hat, ist bei der Prüfung, ob bei der GmbH eine Unterbilanz entsteht oder vertieft wird, ein Freistellungsanspruch aus § 426 Abs. 1 BGB gegen den (Mit-)Komplementär zu aktivieren.

i) Zwischen mehreren nach § 128 HGB im Außenverhältnis persönlich haftenden Gesellschaftern besteht ein Gesamtschuldverhältnis, auf das § 426 Abs. 1 BGB Anwendung findet (BGH, Urteil vom 24. September 2013 – II ZR 391/12, ZIP 2013, 2152 Rn. 9 m.w.N.). Ob sich daraus ein Freistellungsanspruch ergibt, hängt von den Haftungsquoten der persönlich haftenden Gesellschafter ab. Die Haftungsquote des einzelnen Gesellschafters folgt dabei den gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen bzw. dem Gewinn- und Verlustanteil (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2013 – II ZR 391/12, ZIP 2013, 2152 Rn. 10).

j) Darüber hinaus kann ein rechtlich bestehender Freistellungsanspruch bei der GmbH nur aktiviert werden, wenn er auch realisierbar ist. Insoweit kommt es auf die Vermögenssituation des Komplementärs an.

k) Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH haftet gegenüber der Kommanditgesellschaft nach § 43 Abs. 3 GmbHG für nach § 30 Abs. 1 GmbHG verbotene Auszahlungen aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaft an einen Gesellschafter der Komplementär-GmbH (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 353 zum Liquidator).

l) Der Rückzahlungsanspruch nach § 30 Abs. 1 GmbH steht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Kommanditgesellschaft zu, wenn Zahlungen aus ihrem Vermögen geflossen sind. Wegen der gesellschaftsrechtlichen Bindung an die GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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könnte die GmbH aus dem Verstoß gegen das Verbot des § 30 GmbHG keinen Vorteil zu Lasten des Vermögens der Kommanditgesellschaft ziehen und deshalb nicht Leistung an sich, sondern nur Rückzahlung in das Vermögen der Kommanditgesellschaft zur Wiederherstellung ihres Stammkapitals verlangen (BGH, Urteil vom 29. März 1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324, 330).

m) Aus diesem Grund steht auch der dem Anspruch gegen die Gesellschafter nach §§ 30, 31 GmbHG entsprechende Anspruch gegen den Geschäftsführer nach § 43 Abs. 3 GmbHG der Kommanditgesellschaft zu. Auch insoweit erstreckt sich der Schutzbereich des zwischen der Komplementär-GmbH und ihrem Geschäftsführer bestehenden Organverhältnisses auf die Kommanditgesellschaft (vgl. zu § 43 Abs. 2 GmbHG BGH, Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 15).

n) Ein Einverständnis der Gesellschafter mit den Entnahmen entlastet den Geschäftsführer nicht. Der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH muss unabhängig von Weisungen der Gesellschafter von GmbH oder Kommanditgesellschaft dafür sorgen, dass das Stammkapital der GmbH nicht angegriffen wird.

o) Ein Handeln des Geschäftsführers einer GmbH im – auch stillschweigenden – Einverständnis mit sämtlichen Gesellschaftern stellt – solange kein Fall des § 43 Abs. 3 GmbHG oder der Existenzvernichtung vorliegt – grundsätzlich keine (haftungsbegründende) Pflichtverletzung i.S.v. § 43 Abs. 2 GmbHG dar (vgl. BGH, Urteil vom 7. April 2003 – II ZR 193/02, ZIP 2003, 945, 946; Urteil vom 28. April 2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 Rn. 39 – GAMMA).

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kann eine pflichtwidrige haftungsbegründende Handlung im Hinblick auf das für die Haftungserstreckung nach § 43 Abs. 2 GmbHG notwendige Schutzbedürfnis der Kommanditgesellschaft regelmäßig auch dann nicht angenommen werden, wenn sämtliche Gesellschafter der Kommanditgesellschaft als potentiell Geschädigte nach zutreffender Information über den Sachverhalt mit dem Handeln des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einverstanden waren (BGH, Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rn. 33). Ein förmlicher Gesellschafterbeschluss ist dazu nicht erforderlich.

q) Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die Haftung nach § 43 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG voraus, dass der Ausgleichsanspruch bzw. Freistellungsanspruch der GmbH nach § 161 Abs. 2, § 110 HGB gegen die Kommanditgesellschaft bei der GmbH nicht als werthaltig aktiviert werden kann. Das ist grundsätzlich der Fall, wenn die Kommanditgesellschaft überschuldet ist (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 358). Da es auf eine Bewertung des Freistellungsanspruchs ankommt, sind für die Überschuldung der Kommanditgesellschaft nicht die handelsrechtlichen Bewertungsansätze maßgebend, sondern die tatsächlichen Werte der Vermögensgegenstände (OLGR Celle, 2007, 403; Blaum, Handbuch Personengesellschaften, Stand April 2013, Rn. I 3278; wohl auch Michalski/Heidinger, GmbHG, 2. Aufl., § 30 Rn. 161; Ulmer/Habersack, GmbHG, 2. Aufl., § 30 Rn. 126). Auf die Insolvenzreife nach § 19 Abs. 1 und 2 InsO kommt es dagegen nicht an.

Schlagworte: Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals, Einverständnis aller Gesellschafter, Erhaltung des Stammkapitals, Freistellungsanspruch, GmbHG § 30, GmbHG § 43, Haftung nach § 43 Abs. 3 GmbHG, Haftung nach § 43 GmbHG, Haftung wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG, Herbeiführung bzw. Vertiefung einer Unterbilanz, Kapitalerhaltung nach § 30 und § 31 GmbHG, Leistungsverweigerungsrecht, Pflichtverletzung nach § 43 Abs. 3 GmbHG, Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsgebot, Schadensersatzanspruch gegen Geschäftsführer