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BGH, Urteil vom 9. Januar 2001 – VI ZR 407/99

BGB § 823Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
BGB
BGB § 823
; StGB §§ 14, 17, 266a

a) Zu den Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH gehört es, sich in der finanziellen Krise des Unternehmens über die Einhaltung von erteilten Anweisungen zur pünktlichen Zahlung fälliger Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung durch geeignete Maßnahmen zu vergewissern.

Das Berufungsgericht hat ein „Vorenthalten“ der Arbeitnehmerbeiträge im Sinn des § 266 a Abs. 1 StGB für den Monat August 1995 bejaht, obwohl die Löhne und Gehälter für diesen Monat nicht ausbezahlt worden sind. Das steht im Einklang mit dem nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung ergangenen Senatsurteil vom 16. Mai 2000 (- VI ZR 90/99 – NJW 2000, 2993 = VersR 2000, 981, zum Abdruck in BGHZ bestimmt; ebenso neuestens Senatsurteil vom 14. November 2000 – VI ZR 149/99 – zur Veröffentlichung bestimmt, Umdruck S. 8, 9). Wie der erkennende Senat dort ausgeführt hat, entsteht die Beitragspflicht zur gesetzlichen Sozialversicherung durch die versicherungspflichtige Beschäftigung eines Arbeitnehmers gegen Entgelt (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Es kommt dafür nicht darauf an, ob das Entgelt für die Tätigkeit bereits geleistet oder empfangen ist. Gleiches gilt für die Fälligkeit der Beiträge. Der Senat hat in dieser Entscheidung ausführlich dargelegt, das für die Verwirklichung des Straftatbestands des § 266 a Abs. 1 StGB entscheidende „Vorenthalten“ der Beiträge gegenüber der zuständigen Stelle verlange lediglich die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge bei Fälligkeit; von einem „untreueähnlichen Verhalten“ des Arbeitgebers als die Strafbarkeit erst begründendem Element könne nach der heutigen Rechtslage nicht mehr ausgegangen werden. Rechtfertigung für die strafrechtliche Sanktion einer bedingt vorsätzlichen Nichtzahlung der Arbeitnehmerbeiträge sei die besondere Schutzbedürftigkeit der Aufbringung der Mittel zur Sozialversicherung.

Vergeblich beanstandet die Revision, der Beklagte habe nicht vorsätzlich gehandelt. Für den Vorsatz, wie ihn § 266 a Abs. 1 StGB voraussetzt, ist das Bewußtsein und der Wille erforderlich, die Abführung der Beiträge bei Fälligkeit zu unterlassen. Im Rahmen des hier ausreichenden bedingten Vorsatzes sind diese Voraussetzungen auch dann erfüllt, wenn der Arbeitgeber trotz Vorstellung von der Möglichkeit der Beitragsvorenthaltung diese gebilligt und nicht in dem erforderlichen Maße auf Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger auf Abführung der Arbeitnehmerbeiträge hingewirkt hat (vgl. BGHZ 134, 304, 314).

Hiervon geht das Berufungsgericht aus, wenn es im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2000 – VI ZR 149/99 – zur Veröffentlichung bestimmt, Umdruck S. 7, 8) eine Pflicht des Beklagten bejaht, in der seit Anfang des Jahres 1995 beginnenden Krisensituation des Unternehmens ausreichende Maßnahmen zu treffen, um die Bezahlung der Beiträge sicherzustellen.

b) Ein Irrtum des Geschäftsführers über den Umfang seiner Pflicht zur Überwachung einer an die Buchhaltung erteilten Anweisung zur Zahlung fälliger Arbeitnehmerbeiträge ist ein Verbotsirrtum, der in der Regel den Vorsatz hinsichtlich des Vorenthaltens dieser Beiträge nicht entfallen lässt.

Gegen diesen Ansatz wendet sich die Revision im Grundsatz nicht. Sie meint jedoch, der Beklagte habe nicht aufgrund tatsächlicher Umstände erkennen müssen, daß er seiner nach interner Zuständigkeitsregelung verbleibenden Überwachungspflicht nicht gerecht werde. Das Berufungsgericht gehe daher zu Unrecht von einem Verbotsirrtum aus; der Beklagte sei vielmehr in einem den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum befangen gewesen. Damit kann sie nicht durchdringen.

Zwar verweist die Revision im Ausgangspunkt zu Recht darauf, daß die deliktische Verantwortlichkeit des Beklagten als des Geschäftsführers hier zunächst auf eine Überwachungspflicht beschränkt war. Der Beklagte war als Geschäftsführer kraft seiner Amtsstellung grundsätzlich für alle Angelegenheiten der Gesellschaft zuständig (vgl. BGHZ 133, 370, 376). Wenn mehrere Personen zu Geschäftsführern einer GmbH bestellt sind, trifft jede von ihnen die Pflicht zur Geschäftsführung. Der sich aus dieser „Allzuständigkeit“ ergebenden Verantwortung jedes Geschäftsführers für die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflichten der Gesellschaft, zu denen die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge gehört, können sich die Geschäftsführer weder durch interne Zuständigkeitsverteilung noch durch Delegation auf andere Personen entledigen (BGHZ aaO 377). Interne Zuständigkeitsregelungen lassen ebenso wie eine Delegation der Aufgaben die Eigenverantwortlichkeit nicht erlöschen. Es bleiben stets Überwachungspflichten, die Veranlassung zum Eingreifen geben, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Erfüllung von der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch den (intern) zuständigen Geschäftsführer oder den mit der Erledigung beauftragten Arbeitnehmer nicht mehr gewährleistet ist (BGHZ aaO 378 f.).

Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht die vom Beklagten getroffenen Vorkehrungen für nicht ausreichend gehalten. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Oberlandesgericht weist mit Recht darauf hin, der Beklagte habe sich nach Eintritt eines wirtschaftlich immer größer werdenden finanziellen Engpasses nicht mehr auf die telefonischen Informationen seines Mitarbeiters und des Mitgeschäftsführers verlassen dürfen. Zwar teilt der Senat nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte habe sich am Sitz der F.-GmbH selbst um die Angelegenheit kümmern müssen. In Anbetracht der Krisensituation, in der sich das Unternehmen befand und die dem Beklagten bekannt war, war er aber gehalten, konkrete und hinreichend deutliche Anweisungen für die pünktliche Beitragszahlung zum Fälligkeitszeitpunkt zu geben; zusätzlich mußte er sich durch geeignete Maßnahmen (wie etwa telefonische Rückfragen bei den in Frage kommenden Bankinstituten der F.-GmbH) vergewissern, daß die Zahlungen pünktlich erfolgten. Solche Maßnahmen des Beklagten sind nicht ersichtlich; Vortrag hierzu legt die Revision nicht dar.

Daß der Beklagte keine geeigneten und ausreichenden Überwachungsmaßnahmen getroffen, sondern auf die telefonischen Mitteilungen seiner Mitarbeiter vertraut hat, begründet entgegen der Ansicht der Revision nicht einen den Vorsatz ausschließenden Tatbestandsirrtum (§ 16 Abs. 1 SGB). Das Berufungsgericht hat das Verhalten des Beklagten vielmehr ohne Rechtsfehler dahin gewertet, daß er lediglich einem Irrtum über das Unrecht seines Verhaltens erlegen ist (§ 17 Satz 1 StGB). Vorsätzliches Vorenthalten gemäß § 266 a Abs. 1 StGB setzt nur das Bewußtsein und den Willen voraus, die geschuldeten Beiträge bei Fälligkeit nicht an die Einzugsstelle abzuführen. Der Arbeitgeber oder sein gesetzlicher Vertreter muß daher die Pflicht zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge sowie den Zeitpunkt der Fälligkeit kennen und wenigstens billigend in Kauf nehmen, daß diese Pflicht nicht erfüllt wird. Nicht erforderlich ist hingegen das Bewußtsein, selbst zum Handeln verpflichtet zu sein. Es genügt vielmehr, wie allgemein bei echten Unterlassungsdelikten, daß der Täter diejenigen Umstände kennt, die seine Handlungspflicht begründen. Glaubt er, nicht zum Eingreifen verpflichtet zu sein und für die Abführung der Beiträge nicht (weiter) sorgen zu müssen, so unterliegt er keinem Tatbestandsirrtum, sondern einem Verbots- bzw. Gebotsirrtum, der ihn nur bei Unvermeidbarkeit entschuldigt (vgl. BGHZ 133, 370, 381 m.w.N.). Im Streitfall entfällt daher der Vorsatz des Beklagten nicht, wenn er glaubte, ohne Kontrolle den ihm gemachten Mitteilungen. vertrauen zu können. Wenn der Beklagte aus den tatsächlichen Umständen im Hinblick auf seine Pflichten falsche Schlußfolgerungen ableitete, irrte er lediglich über das Handlungsgebot.

Schlagworte: Arbeitnehmeranteile, bedingter Vorsatz, Beitragsvorenthaltung, billigend Inkauf nehmen, Geschäftsführer, Haftung wegen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen gem. § 266a StGB, Mehrere Geschäftsführer, Pflichten, Schadensersatzanspruch, Tatbestandsirrtum, Überwachungsverschulden, Verbotsirrtum, Verschulden