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BGH, Versäumnisurteil vom 10. Dezember 2013 – II ZR 53/12

GmbHG § 60

a) Unterbleibt die mit der Versicherung entsprechend § 8 Abs. 2 GmbHG und der Anmeldung etwaiger mit einer wirtschaftlichen Neugründung einhergehender Satzungsänderungen zu verbindende Offenlegung einer wirtschaftlichen Neugründung gegenüber dem Registergericht, haften die Gesellschafter nur, wenn und soweit in dem Zeitpunkt, zu dem die wirtschaftliche Neugründung entweder durch die Anmeldung der Satzungsänderungen oder durch die Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit erstmals nach außen in Erscheinung tritt, eine Unterbilanz besteht (BGH, Urteil vom 6. März 2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 Rn. 14 f.).

b) Die Grundsätze der wirtschaftlichen Neugründung finden auch in der Liquidation einer GmbH Anwendung (vgl. KG, ZIP 2012, 1864; Priester, EWiR 2012, 623, 624; Arnold in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., § 60 GmbHG Rn. 66; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl., § 60 Rn 91; K. Schmidt/Bitter in Scholz, GmbHG, 10. Aufl., § 60 Rn 86; MünchKomm-GmbHG/Berner, § 60 Rn. 237, 246; vgl. auch Goette, Die GmbH, 2. Aufl., § 10 Rn. 38). Die mit der wirtschaftlichen Neugründung verbundenen Probleme eines wirksamen Gläubigerschutzes bestehen sowohl bei der „Wiederbelebung“ eines durch das Einschlafenlassen des Geschäftsbetriebs zur leeren Hülse gewordenen Mantels durch Ausstattung mit einem (neuen) Unternehmen als auch im Zusammenhang mit der Verwendung des leeren Mantels einer Abwicklungsgesellschaft, deren Abwicklung nicht weiter betrieben wurde. In beiden Fällen besteht die Gefahr einer Umgehung der Gründungsvorschriften mit der Folge, dass die gesetzliche und gesellschaftsvertragliche Kapitalausstattung bei Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit nicht gewährleistet ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 7. Juli 2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 322; Beschluss vom 18. Januar 2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621 Rn. 6).

c) Für die Abgrenzung der wirtschaftlichen Neugründung durch eine Mantelverwendung von der (bloßen) Umorganisation oder Sanierung einer (noch) aktiven GmbH ist entscheidend, ob die Gesellschaft noch ein aktives Unternehmen betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpft, oder ob es sich tatsächlich um einen leer gewordenen Gesellschaftsmantel ohne Geschäftsbetrieb handelt, der seinen – neuen oder alten – Gesellschaftern nur dazu dient, unter Vermeidung der rechtlichen Neugründung einer die beschränkte HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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gewährleistenden Kapitalgesellschaft eine gänzlich neue Geschäftstätigkeit – ggf. wieder – aufzunehmen (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 324; Beschluss vom 18. Januar 2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621 Rn. 6).

d) Die Grundsätze über die wirtschaftliche Neugründung können danach auch anzuwenden sein, wenn der Gesellschafterbestand bei Aufnahme des Geschäftsbetriebs zunächst unverändert bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 Rn. 2, 12) und nach der (Wieder-) Aufnahme des Geschäftsbetriebs (teilweise) die gleiche Art von Geschäften betrieben wird wie zuvor.

e) Die dargestellten Abgrenzungsgrundsätze bedürfen allerdings für den Fall der wirtschaftlichen Neugründung in der Liquidation der Anpassung. Allein die mit der Fortführung beabsichtigte Zweckänderung von einer Abwicklungs- hin zu einer werbenden Gesellschaft ist als solche keine wirtschaftliche Neugründung, weil die aufgelöste Gesellschaft nicht per se ein unternehmensleerer Mantel ist (Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl., § 60 Rn. 91). Dass während der Liquidation Geschäfte allenfalls noch im Rahmen des Abwicklungszwecks betrieben werden (vgl. § 70 Satz 1 und 2 GmbHG) und nach Beendigung der laufenden Geschäfte mit der weiteren Abwicklung die nach außen gerichtete Geschäftstätigkeit zum Erliegen kommt, reicht zur Annahme einer leeren Hülse nicht aus.

f) Bei der rechtlichen Gründung einer GmbH liegt nach der Rechtsprechung des Senats (Beschluss vom 18. Januar 2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621 Rn. 8 f.) für den Zeitraum, in dem die Gesellschaft nach ihrer Gründung und Eintragung lediglich konkrete Aktivitäten zur Planung und Vorbereitung der Aufnahme ihrer nach außen gerichteten Geschäftstätigkeit im Rahmen des statutarischen Unternehmensgegenstands entfaltet, die Aufnahme des (eigentlichen) Geschäftsbetriebs nach außen aber noch nicht stattgefunden hat, eine „leere Hülse“, auf deren Verwendung die Regeln der wirtschaftlichen Neugründung anzuwenden sind, nicht vor. Die Anwendung der aus Gründen des Gläubigerschutzes entwickelten Regeln der wirtschaftlichen Neugründung, mit denen der Gefahr einer Umgehung der Gründungsvorschriften begegnet werden soll, ist nicht geboten, wenn die Gesellschaft mit Vorbereitungshandlungen im Hinblick auf ihre zukünftig in Aussicht genommenen Geschäfte befasst ist (BGH, Beschluss vom 18. Januar 2010 – II ZR 61/09, ZIP 2010, 621 Rn. 6 ff.).

g) Für den Fall, dass die Gesellschaft sich in der Liquidation befindet, ihren Geschäftsbetrieb noch abzuwickeln hat und in diesem Zusammenhang Aktivitäten entfaltet, gilt nichts anderes (vgl. KG, ZIP 2012, 1863, 1864). Die eine „leere Hülse“ und damit die Anwendung der Regeln der wirtschaftlichen Neugründung ausschließende andauernde aktive unternehmerische Tätigkeit ist nicht stets mit dem dem Unternehmensgegenstand entsprechenden operativen Geschäft gleichzusetzen, sondern hat insbesondere in der Anlauf- und in der Abwicklungsphase einer Gesellschaft einen der besonderen Unternehmenstätigkeit in diesem Zeitraum entsprechenden anderen Inhalt. In der Abwicklungsphase ist darauf abzustellen, ob noch nennenswerte Liquidationsaufgaben im Sinne des § 70 GmbHG wahrgenommen werden, die auf den Schluss der Liquidation zusteuern, oder ob die Abwicklung über längere Zeit nicht mehr betrieben wurde und deshalb vom Vorliegen eines leeren Gesellschaftsmantels ohne Geschäftsbetrieb auszugehen ist.

h) Einer Haftung des Erwerbers eines Geschäftsanteils steht nicht entgegen, dass er den Geschäftsanteil  erst nach dem für die Haftung maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung der Fortsetzung der Gesellschaft zum Handelsregister erworben hat. Die Verpflichtung des Gesellschafters, eine zum Zeitpunkt einer wirtschaftlichen Neugründung bestehende Unterbilanz auszugleichen, ist eine auf den Geschäftsanteil rückständige Leistung, für die der Erwerber des Geschäftsanteils nach § 16 Abs. 3 GmbHG a. F. haftet (BGH, Urteil vom 6. März 2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 Rn. 29 ff.).

i) Der Kläger hat die Voraussetzungen der wirtschaftlichen Neugründung und damit das Vorliegen einer leeren Hülse darzulegen und zu beweisen.

j) Bei fehlender Offenlegung einer wirtschaftlichen Neugründung trägt der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass in dem Zeitpunkt, zu dem die wirtschaftliche Neugründung erstmals nach außen in Erscheinung getreten ist, keine Differenz zwischen dem (statutarischen) Stammkapital und dem Wert des Gesellschaftsvermögens bestanden hat (BGH, Urteil vom 6. März 2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 Rn. 41 f.).

k) Rückzahlungsansprüche aus Darlehen der Gesellschaft an ihre Gesellschafter sind in der Handels- wie in der Überschuldungsbilanz mit ihren wahren Werten zu aktivieren (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 Rn. 25).

Schlagworte: Darlegungs- und Beweislast, Erwerberhaftung, Haftung bei der wirtschaftlichen Neugründung, Haftung bei unterbliebener Offenlegung, Haftung der Gesellschafter bei Mantelverwendung, Handelndenhaftung bei Mantelverwendung, Liquidation, Mantelgesellschaft, Mantelverwendung und Vorratsgründung, Sanierung, Unterbilanzhaftung, Versicherung nach § 8 Abs. 2 GmbHG, wirtschaftliche Neugründung