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BVerfG, Beschluss vom 09. Januar 2014 – 1 BvR 2344/11

Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 S 1 GG, Art 14 Abs 1 S 2 GG, § 98 AktG, § 76 Abs 1 BetrVG 1952 vom 14.12.1976, § 76 Abs 6 BetrVG 1952 vom 14.12.1976, § 76 Abs 6 BetrVG 1952 vom 02.08.1994, § 1 Abs 1 Nr 1 S 1 DrittelbG, § 1 Abs 1 Nr 1 S 2 DrittelbG

1. Art 14 Abs 1 GG schützt auch das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum in seiner mitgliedschaftsrechtlichen und vermögensrechtlichen Ausgestaltung (vgl BVerfG, 01.03.1979, 1 BvL 21/78, BVerfGE 50, 290 <341 ff>; BVerfG, 11.07.2012, 1 BvR 3142/07, BVerfGE 132, 99 <119>). Die Rechte des Anteilseigners werden durch das Sozialordnungsrecht sowie das Gesellschaftsrecht bestimmt und begrenzt.

2. § 1 Abs 1 Nr 1 S 2 DrittelbG tangiert die in der Aktienbeteiligung des Beschwerdeführers verkörperte mitgliedschaftsrechtliche Herrschaftskomponente, indem sie dessen Möglichkeit zur unmittelbaren Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats jedenfalls teilweise einschränkt.

3. § 1 Abs 1 Nr 1 S 2 DrittelbG genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums (zum Maßstab im Allgemeinen vgl BVerfG, 16.02.2000, 1 BvR 242/91, BVerfGE 102, 1 <16 f>; BVerfG, 14.01.2004, 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1 <28>).

3a. § 1 Abs 1 Nr 1 S 1 und S 2 DrittelbG dienen jeweils einem legitimen Zweck; zur Erfüllung dieses Zwecks ist § 1 Abs 1 Nr 1 DrittelbG geeignet und erforderlich.

So durfte der Gesetzgeber bei typisierender Betrachtungsweise davon ausgehen, dass für die Neugründung kleiner Aktiengesellschaften eine Veränderung der Regelungen für die drittelparitätische Mitbestimmung der bereits bestehenden Aktiengesellschaften weder erforderlich noch geboten war. Vielmehr war es zur Erreichung des Gesetzeszwecks ausreichend, nur die nach dem Stichtag eingetragenen „kleinen Aktiengesellschaften“ von der drittelparitätischen Mitbestimmung freizustellen.

3b. Die Regelung des § 1 Abs 1 Nr 1 S 2 DrittelbG (vormals § 76 Abs 6 BetrVG 1952) ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Sie greift nicht in die eigentumsrechtlichen Zuordnungsverhältnisse oder die Substanz des Eigentums ein; vielmehr führt sie den seit dem Jahr 1952 bestehenden Rechtszustand der Drittelmitbestimmung für „kleine Aktiengesellschaften“ fort. Die unternehmerischen Entscheidungsabläufe werden hierdurch weder rechtlich noch faktisch nachhaltig erschwert. (

3c. § 1 Abs 1 Nr 1 S 2 DrittelbG genügt auch den Anforderungen des Art 3 Abs 1 GG. Die Vorschrift behandelt zwar „kleine Aktiengesellschaften“ ungleich, indem sie nur die vor dem 10.08.1994 gegründeten Gesellschaften ausnahmslos der Drittelmitbestimmung unterwirft. Diese Ungleichbehandlung ist jedoch sachlich gerechtfertigt (zum Maßstab allgemein vgl BVerfG, 21.07.2010, 1 BvR 611/07, BVerfGE 126, 400 <416>).

aa. Für die teilweise Neuregelung der drittelparitätischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer unterlag der Gesetzgeber nicht den strengen Bindungen an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Denn bei den betroffenen Aktiengesellschaften tritt das personale Element des Anteilseigentums stark zurück. Der personale Gehalt eines solchen – in mitgliedschaftsrechtlicher Hinsicht durch Fremdorganschaft gekennzeichneten – Aktieneigentums ist typischerweise gering (vgl BVerfGE 50, 290 <342 f>). Zudem hatte der Gesetzgeber hier zum Teil gegenläufige Interessen auszugleichen.

bb. Die Erwägungen des Gesetzgebers, auf denen die Differenzierung beruht, sind tragfähig. Der Gesetzgeber durfte hierbei auf den sozialen Frieden, den Vertrauensschutz im Unternehmen und die Wahrung der Kontinuität abstellen, ohne dass durch die gewählte Lösung gleichzeitig schwerwiegender Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der unterschiedlichen Struktur des Aufsichtsrats zu besorgen waren.

cc. Die hiergegen erhobenen Bedenken in Teilen der Literatur greifen nicht durch (wird ausgeführt).

So verstößt die Stichtagsregelung insb nicht gegen das Gebot der folgerichtigen Umsetzung gesetzlicher Grundwertungen. Hier fehlt es bereits an einer Systemwidrigkeit, da es dem Gesetzgeber allein darum ging, bislang mitbestimmungsfreien Gesellschaften anderer Rechtsformen mit weniger als 500 Arbeitnehmern den ebenfalls mitbestimmungsfreien Weg in die Rechtsform der Aktiengesellschaft zu eröffnen und bei den bereits mitbestimmten Gesellschaften den status quo aufrechtzuerhalten.

dd. Die in § 1 Abs 1 Nr 1 S 2 DrittelbG enthaltene Inhalts- und Schrankenbestimmung ist überdies mit Blick auf § 1 Abs 1 Nr 3 S 1 DrittelbG gleichheitsgerecht. Die Ungleichbehandlung von „Alt-Aktiengesellschaften“ gegenüber der „kleinen GmbH“ stützt sich auf eine hinreichend sachbezogene und vertretbare Erwägung (wird ausgeführt).

Schlagworte: Drittelbeteiligung, Mitbestimmung, Verstoß gegen Mitbestimmungsgesetze