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EuGH (2. Kammer), Urteil vom 11.11.2010 − C-232/09

DANOSA

1. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne dieser Richtlinie nicht je nach nationalem Recht unterschiedlich ausgelegt werden; er ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der Betroffenen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (vgl. entsprechend im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit und dem Grundsatz des gleichen Entgelts für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Urteile vom 3. Juli 1986, Lawrie-Blum, 66/85, Slg. 1986, 2121, Randnrn. 16 und 17, und vom 13. Januar 2004, Allonby, C-256/01, Slg. 2004, I-873, Randnr. 67, sowie im Zusammenhang mit der Richtlinie 92/85 Urteil vom 20. September 2007, Kiiski, C-116/06, Slg. 2007, I-7643, Randnr. 25).

2. Für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts ist es ohne Bedeutung, dass das Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht ein Rechtsverhältnis sui generis ist (vgl. Urteil Kiiski, Randnr. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Sofern eine Person die vorstehend angeführten Voraussetzungen erfüllt, ist die Art der Rechtsbeziehung zwischen ihr und der anderen Partei des Arbeitsverhältnisses ohne Bedeutung für die Anwendung der Richtlinie 92/85 (vgl. entsprechend im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit Urteile vom 31. Mai 1989, Bettray, 344/87, Slg. 1989, 1621, Randnr. 16, und vom 26. Februar 1992, Raulin, C-357/89, Slg. 1992, I-1027, Randnr. 10). Auch die formale Einstufung als Selbständiger nach innerstaatlichem Recht schließt nicht aus, dass eine Person als Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie 92/85 einzustufen ist, wenn ihre Selbständigkeit nur fiktiv ist und damit ein Arbeitsverhältnis im Sinne dieser Richtlinie verschleiert (vgl. entsprechend Urteil Allonby, Randnr. 71).

3. Daraus folgt, dass die Einstufung des Verhältnisses, das zwischen einer Kapitalgesellschaft und den Mitgliedern ihrer Unternehmensleitung besteht, oder des Umstands, dass eine solche Gesellschaft und die Mitglieder der Unternehmensleitung keinen Arbeitsvertrag geschlossen haben, für die Einstufung dieses Verhältnisses für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 92/85 nicht ausschlaggebend sein kann. Die Eigenschaft als Mitglied der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft kann nicht als solche ausschließen, dass sich dieses Mitglied in einem Unterordnungsverhältnis gegenüber der betreffenden Gesellschaft befand. Zu prüfen sind nämlich die Bedingungen, unter denen das Mitglied der Unternehmensleitung bestellt wurde, die Art der ihm übertragenen Aufgaben, der Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, der Umfang der Befugnisse des Betroffenen und die Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, sowie die Umstände, unter denen es abberufen werden kann.

4. Hierbei ist zu berücksichtigen, ob ein Kontrollgremium (z. B. Aufsichtsrat) besteht, dem gegenüber das Mitglied der Unternehmensleitung Rechenschaft über seine Geschäftsführung ablegen und mit diesem zusammenarbeiten muss. Ebenso muss berücksichtigt werden, ob ein Organ der Gesellschaft existiert, welches von dem Mitglied der Unternehmensleitung nicht kontrolliert wird, jederzeit gegen dessen Willen entscheiden kann und dieses sogar abberufen kann.

5. Die Mitglieder eines Leitungsorgans einer Gesellschaft sind zwar nicht zwingend, aber dem ersten Anschein nach Arbeitnehmer im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs.

6. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass einer Frau kraft des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung und insbesondere der Bestimmungen der Richtlinie 76/207 Kündigungsschutz nicht nur während des Mutterschaftsurlaubs, sondern auch während der gesamten Schwangerschaft gewährt werden muss. Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass eine Entlassung während der entsprechenden Zeiten nur Frauen treffen kann und daher als unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts anzusehen ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. November 1990, Handels- og Kontorfunktionærernes Forbund, C-179/88, Slg. 1990, I-3979, Randnr. 13, vom 30. Juni 1998, Brown, C-394/96, Slg. 1998, I-4185, Randnrn. 24 bis 27, und vom 11. Oktober 2007, Paquay, C-460/06, Slg. 2007, I-8511, Randnr. 29).

7. Ergeht der Abberufungsbeschluss aus Gründen, die wesentlich mit der Schwangerschaft zusammenhängen, ist darauf hinzuweisen, dass ein solcher Beschluss, auch wenn er gemäß den nationalen Rechtsvorschriften, die die Abberufung eines Mitglieds der Unternehmensleitung ohne Einschränkung zulassen, getroffen wurde, mit dem Kündigungsverbot unvereinbar wäre. Dagegen verstößt ein Abberufungsbeschluss in der Zeit vom Beginn der Schwangerschaft bis zum Ende des Mutterschaftsurlaubs aus Gründen, die nichts mit der Schwangerschaft zu tun haben, nicht gegen Art. 10 der Richtlinie 92/85, vorausgesetzt allerdings, der Arbeitgeber führt schriftlich berechtigte Kündigungsgründe an und die Kündigung der Betroffenen ist nach den betreffenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zulässig.

Schlagworte: Abberufung, Aufsichtsrat, Geschäftsführer, Geschäftsführer als unionsrechtlicher Arbeitnehmer, Kündigung, Vorstand