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BGH, Urteil vom 15. Dezember 2011 – I ZR 129/10

EINKAUF AKTUELL

AktG §§ 16 f.; WpÜG § 29

a) Ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen wird in der Regel von öffentlichen Anteilseignern beherrscht, wenn die öffentliche Hand mehr als die Hälfte seiner Anteile hält. Für die Grundrechtsverpflichtung ist dabei grundsätzlich an die entsprechenden zivilrechtlichen Wertungen in den §§ 16, 17 AktG sowie in Art. 2 Abs. 1 Buchst. f der Transparenzrichtlinie 2004/109/EG anzuknüpfen (vgl. BVerfGE 128, 226 Rn. 53). Das Kriterium der Beherrschung mit seiner Anknüpfung an die eigentumsrechtlichen Mehrheitsverhältnisse stellt danach nicht auf konkrete Einwirkungsbefugnisse hinsichtlich der Geschäftsführung ab, sondern auf die Gesamtverantwortung für das jeweilige Unternehmen. Unerheblich ist daher, ob die öffentliche Beteiligung durch eine öffentliche Stelle oder durch mehrere öffentliche Stellen erfolgt und ob diese ihre Handlungen koordinieren (vgl. BVerfGE 128, 226 Rn. 54; abweichende Meinung aaO Rn. 113). Die Frage, ob ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, ist im Übrigen in erster Linie aus der Sicht des betroffenen Unternehmens zu beurteilen. Aus seiner Sicht ist es unerheblich, ob der – nach außen einheitliche – fremde Unternehmerwille, dem eine Gesellschaft unterworfen sein soll, von einem anderen Unternehmen oder von mehreren anderen Unternehmen gebildet wird (vgl. BGH, Urteil vom 4. März 1974 – II ZR 89/72, BGHZ 62, 193, 197).

b) Der Abhängigkeitstatbestand nach § 17 AktG oder Art. 2 Abs. 1 Buchst. f RL 2004/109/EG ist erfüllt, wenn ein rechtlich selbständiges Unternehmen aus seiner Sicht in eine Situation geraten ist, in der es der Möglichkeit einer Beherrschung durch ein anderes Unternehmen ausgesetzt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 114 m. w. N.). Dies wird nach § 17 Abs. 2 AktG vermutet, wenn ein Unternehmen im Mehrheitsbesitz eines anderen Unternehmens steht.

c) Eine unter 50% liegende Beteiligung kann in Verbindung mit weiteren verlässlichen Umständen rechtlicher oder tatsächlicher Art eine Abhängigkeit im Sinne von § 17 AktG oder Art. 2 Abs. 1 Buchst. f RL 2004/109/EG begründen, wenn die abstrakte Möglichkeit einer beständigen und umfassenden gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflussnahme besteht (vgl. BGHZ 62, 193, 201). Das kann auch dann der Fall sein, wenn die Hauptversammlungen einer Aktiengesellschaft aufgrund von Streubesitz erfahrungsgemäß so schlecht besucht sind, dass die unter 50% liegende Beteiligung eines Großaktionärs regelmäßig ausreicht, um für einen längeren Zeitraum Beschlüsse mit einfacher Mehrheit durchzusetzen. Die Abhängigkeit kann ferner durch die Möglichkeit einer tatsächlichen Einflussnahme auf den Vorstand und seine Geschäftspolitik verstärkt werden, die ein Großaktionär bei einer Gesellschaft, an der überwiegend Klein- und Kleinstaktionäre beteiligt sind, in hohem Maße ausüben kann. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Großaktionär ein Mandat oder sogar mehrere Mandate im Aufsichtsrat besetzen kann (vgl. BGHZ 135, 107, 114 f.).

d) Eine rechtlich nicht abgesicherte zufällige Mehrheit in der Hauptversammlung reicht für eine Beherrschung nicht aus (vgl. MünchKomm.AktG/Bayer, 3. Aufl., § 17 Rn. 50).

e) Der Umstand, dass ein Staatssekretär sich im Aufsichtsrat der Gesellschaft befindet, ist als solcher nicht geeignet, eine Beherrschung zu begründen (vgl. MünchKomm.AktG/Bayer aaO § 17 Rn. 41; Spindler/Stilz/Schall, AktG, 2. Aufl., § 17 Rn. 31; Großkomm.AktG/Windbichler, 4. Aufl., § 17 Rn. 46). Ebenso wenig führt die Möglichkeit, ein Mitglied des Aufsichtsrats zu bestellen, zur Beherrschung eines Unternehmens (vgl. MünchKomm.AktG/Bayer aaO § 17 Rn. 50; Vetter in K. Schmidt/Lutter aaO § 17 Rn. 12, 40).

f) Der in § 29 Abs. 2 WpÜG geregelte formale Beherrschungsbegriff, wonach Kontrolle das Halten von mindestens 30% der Stimmrechte an der Zielgesellschaft ist, kann nicht mit dem Begriff der Abhängigkeit im Sinne des § 17 AktG oder anderer Bestimmungen gleichgesetzt werden, die an die materielle Beherrschung anknüpfen. Die Vorschrift des § 29 Abs. 2 WpÜG enthält demgegenüber eine eigenständige, an den spezifischen Zwecken des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes ausgerichtete Begriffsbestimmung, die die in anderen Gesetzen verwendeten Kontrollbegriffe unberührt lässt und umgekehrt auch nicht mit dem Begriff der konzernrechtlichen Abhängigkeit nach § 17 AktG gleichgesetzt werden kann (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, BT-Drucks. 14/7034, S. 53; v. Bülow in Kölner Kommentar zum WpÜG, 2. Aufl., § 29 Rn. 80; Noack in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 4. Aufl., § 29 WpÜG Rn. 22; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., Vor § 311 Rn. 27; a. A. Spindler/Stilz/Schall aaO § 17 Rn. 29).

Schlagworte: Abhängiges Unternehmen, Aktienrecht, Aufsichtsrat, Konzernbildungskontrolle, Konzernrecht, Mehrheitsgesellschafter, tatsächliche Vermutung