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Kammergericht, Urteil vom 07.05.2015 – 12 U 100/13

§ 93 AktG, § 139 BGB

12 U 100/13                                          Verkündet am: 07.05.2015

In dem Rechtsstreit

Kläger und Berufungskläger

gegen

Beklagte und Berufungsbeklagte

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin auf die mündliche Verhandlung vom 07.05.2015 durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Dr. Hollweg-Stapenhorst, die Richterin am Kammergericht Zillmann und den Richter am Kammergericht Spiegel für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 30. Mai 2013 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 95 des Landgerichts Berlin – 95 0 95/12 – abgeändert:

Es wird festgestellt, dass der notarielle Anteilskauf- und Abtretungsvertrag vom 24. August 2012, geschlossen vor dem Notar ………………., Urkunden-Nr. 352/2012, nichtig ist.

Es wird festgestellt, dass der Kläger über den 24. August 2012 hinaus Aktionär der ……………, eingetragen beim Handelsregister des AG Charlottenburg unter Nr. HRB ………….., mit einem Anteil von 25.000 Aktien ist.

Es wird festgestellt, dass der Kläger über den 24. August 2012 hinaus Gesellschafter zu 1/2 der ………………………. eingetragen beim Handelsregister des AG Charlottenburg unter Nr. HRA ………………., ist.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.

Dieses Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10% abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die am 1. Juli 2013 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um zwei Wochen mit einem am 19. August 2013 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung des Klägers richtet sich gegen das am 30. Mai 2013 verkündete und am 5. Juni 2013 zugestellte Urteil der Kammer für Handelssachen 95 des Landgerichts, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird,

Zur Begründung seiner Berufung wiederholt und vertieft der Kläger seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 30. Mai 2013 verkündeten Urteils der Kammer für Handelssachen 95 des Landgerichts Berlin – 95 0 95/12 – festzustellen,

  1. dass der notarielle Anteilskauf- und Abtretungsvertrag vom 24. August 2012, geschlossen vor dem Notar ……………………., Urkunden-Nr. 352/2012, nichtig ist;
  2. dass der Kläger über den 24. August 2012 hinaus Aktionär der ……………., eingetragen beim Handelsregister des AG Charlottenburg unter Nr. HRB …………., mit einem Anteil von 25.000 Aktien ist;
  3. dass der Kläger über den 24. August 2012 hinaus Gesellschafter zu 1/2 der ……….. eingetragen beim Handelsregister des AG Charlottenburg unter Nr. HRA …………., ist.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen die angefochtene Entscheidung, die sie für zutreffend erachten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in beiden Rechtszügen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.

 

II.

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die vom Kläger begehrten Feststellungen waren auszusprechen, da der im Tenor bezeichnete Anteilskauf- und Abtretungsvertrag nichtig ist. Dies folgt aus der Unwirksamkeit der in diesem Vertrag in Absatz 1 des Gliederungspunkt ,,V. Freistellungen“ getroffenen Regelungen, die die Nichtigkeit des ganzen Vertrages zur Folge hat.

1. Die in Absatz 1 des Gliederungspunktes ,,V. Freistellungen“ getroffene Regelung verstößt gegen § 112 AktG. Diese Vertragsregelung hat folgenden Wortlaut:

,,Der Verkäufer hat mit Schreiben vom heutigen Tage sein Amt als Vorstand der Gesellschaft 1. niedergelegt. Dies vorangeschickt erklärt der Erschienene zu 3. als nunmehr alleiniger Vorstand für die Gesellschaft 1 und nunmehr alleiniger Aktionär, daß diese auf jegliche Forderungen gegenüber dem Erschienenen zu 1. verzichtet.“

Der Beklagte zu 1) (der Erschienene zu 3.) hat diese Erklärung nach ihrem eindeutigen Wortlaut (,,erklärt der Erschienene zu 3. als nunmehr alleiniger Vorstand für die Gesellschaft 1 und nunmehr alleiniger Aktionär“) nicht im eigenen Namen sondern als deren Vorstand im Namen der im Tenor zu 2 genannten Aktiengesellschaft (,,Gesellschaft 1″) (,,daß diese … verzichtet“) abgegeben. Er hielt sich – wie der Wortlaut zeigt – insoweit für berechtigt, weil der Kläger (,,der Verkäufer“) zuvor sein Amt als (weiterer) Vorstand niedergelegt hatte. Diese Ansicht war allerdings unzutreffend, da eine Aktiengesellschaft gegenüber einem Vorstand gemäß § 112 AktG nur vom Aufsichtsrat vertreten werden kann.

Diese Regelung erfasst auch die Vertretung gegenüber ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern (vgl. BGH, Urteil vom 01. Dezember 2003 – II ZR 161/02 -, hier und nachfolgend zitiert nach juris). Es kann dahinstehen, ob Willenserklärungen Dritter, die – wie vorliegend – gegen § 112 AktG verstoßen, nichtig (OLG Stuttgart, Urteil vom 20.03.1992 – 2 U 115/90; OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, Urteil vom 20.03.2008, – 12 U 40/07 -) oder lediglich schwebend unwirksam sind (OLG CelleBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Celle
AG 2003, 433; OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
AG 2008, 423). Die Beklagten haben nicht vorgetragen, dass der aus mindestens drei Personen (§ 95 Absatz 1 AktG) bestehende Aufsichtsrat die oben wiedergegebene Verzichtserklärung genehmigt hat. Eine eventuelle Genehmigung durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten in seiner Eigenschaft als Aufsichtsrat reicht hierzu nicht aus.

2. Die in Absatz 1 des Gliederungspunktes ,,V. Freistellungen“ getroffene Regelung verstößt auch gegen § 93 Absatz 4 Satz 3 AktG und ist auch aus diesem Grund nichtig. Nach dieser Vorschrift kann eine Aktiengesellschaft erst drei Jahre nach Entstehen des Anspruchs gegenüber einem Vorstandsmitglied auf einen Ersatzanspruch verzichten. Dass diese Frist vorliegend abgelaufen war, haben die Beklagten nicht dargelegt.

3. Die Nichtigkeit dieser Regelung hat die Nichtigkeit des gesamten Vertrages zur Folge.

Gemäß § 139 BGB führt die Nichtigkeit eines Teils eines Rechtsgeschäfts zur Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäftes, wenn nicht anzunehmen ist, dass es auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen worden wäre. Die in dem notariellen Vertrag der Parteien enthaltene salvatorische Klausel entbindet nicht von der nach § 139 BGB vorzunehmenden Prüfung, ob die Parteien das teilnichtige Geschäft als Ganzes verworfen hätten oder aber den Rest hätten gelten lassen. Bedeutsam ist sie lediglich für die von § 139 BGB abweichende Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast; diese trifft denjenigen, der entgegen der Erhaltensklausel den Vertrag als Ganzen für unwirksam hält (BGH, Urteil vom 24.09.2002 – KZR 10/01 -).

Entgegen der Ansicht des Landgerichts sollte dieser Verzicht nach seinem eindeutigen Wortlaut (,,daß diese auf jegliche Forderungen gegenüber dem Erschienenen zu 1. verzichtet“) sämtliche Ansprüche der Aktiengesellschaft gegen den Kläger umfassen. Dem steht der weitere Wortlaut der Vertragsregelung („Der Verkäufer hat mit Schreiben vom heutigen Tage sein Amt als Vorstand der Gesellschaft 1. niedergelegt. Dies vorangeschickt erklärt der Erschienene zu 3. als nunmehr alleiniger Vorstand für die Gesellschaft 1 und nunmehr alleiniger Aktionär“) nicht entgegen. Dieser Vorspann dient nur der Erläuterung, dass der Kläger nicht mehr Vorstand ist, ein Verzicht der Aktiengesellschaft mithin nicht an § 181 BGB scheitern kann.

Die Annahme eines umfassenden Verzichts der Aktiengesellschaft auf sämtliche ihr gegen den Kläger zustehenden Ansprüche ist auch interessengerecht. Die beiden Hauptbeteiligten wollten mit diesem Anteilskauf- und Abtretungsvertrag ihre Geschäftsbeziehungen als Aktionäre, Gesellschafter, Vorstände und Geschäftsführer endgültig beenden.

Dies ergibt sich bereits aus der Einführung zu diesem Vertrag. Sie wollten aber auch weiteren Streit untereinander sowie weiteren Streit zwischen dem Kläger und den beiden Gesellschaften ausschließen und auch insoweit einen „Schlussstrich“ ziehen. Weiteren Streit untereinander haben die Parteien mit dem Gliederungspunkt „IV. Ausgleichsklausel“ ausgeschlossen, weiteren Streit zwischen dem Kläger und den beiden Gesellschaften wollten die Parteien mit dem Gliederungspunkt „V. Freistellungen“ ausschließen. Dieses Ziel konnten die Parteien aber nur erreichen, wenn der Verzicht der Aktiengesellschaft deren sämtliche Ansprüche gegen den Kläger umfassen sollte.

Vorliegend ergibt sich bereits aus dem unstreitigen Sachverhalt, dass der Kläger den Anteilskauf- und Abtretungsvertrag ohne den (umfassenden) Verzicht der Aktiengesellschaft nicht geschlossen hätte. Bei dem gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Verzicht der Aktiengesellschaft handelt es sich um eine ganz wesentliche „Gegenleistung“ für die Übertragung der Anteile des Klägers an den beiden Gesellschaften auf die Beklagten.

Dass der Kläger bereit gewesen wäre, seine Gesellschaftsanteile auf die Beklagten zu übertragen, obwohl er damit rechnen musste, dass die Aktiengesellschaft weiter Schadensersatz von ihm fordert, hält der Senat für ausgeschlossen. Immerhin ging es in den Gesprächen, die dem Vertragsschluss vorausgingen, um Schadensersatzansprüche von über 1,5 Mio. €.

Aufgrund der obigen Ausführungen kommt es auf die Frage, ob der Kläger den Anteilskauf- und Abtretungsvertrag wegen einer widerrechtlichen Drohung wirksam angefochten hat, nicht an. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass das Landgericht den Kläger insoweit aus unzutreffenden Gründen nicht angehört hat. Da der Zeuge ………… schon aufgrund seiner Stellung als Prozessbevollmächtigter der Beklagten in deren Lager steht, stellen sich die Vorkommnisse vom 24. August 2012 aus Sicht des Klägers als ,,Vier-Augen-Gespräch“ dar (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2013 – VI ZR 325/11 -). Der Grundsatz der Waffengleichheit, der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf Gewährleistung eines fairen Prozesses und eines wirkungsvollen Rechtsschutzes erfordern, dass einer Partei, die für ein Vier-Augen-Gespräch keinen Zeugen hat, Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung des Gesprächs in den prozess persönlich einzubringen. Zu diesem Zweck ist die Partei gemäß § 448 ZPO zu vernehmen oder gemäß § 141 ZPO anzuhören.

Die Notwendigkeit, der Partei Gelegenheit zur Äußerung in einer dieser beiden Formen zu geben, setzt keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für ihr Vorbringen voraus (vgl. BGH, Urteil vom 14.05 .2013 – IV ZR 325/11; BGH, Urteil vom 14.03.2013 – VII ZR 39/12; BGH, Urteil vom 27.09.2A05 – XI ZR 216/04-).

Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Absatz 1 Nr. 1, Absatz 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

Schlagworte: Aktiengesellschaft vertreten durch den Aufsichtsrat, Entscheidungskompetenz des Aufsichtsrates/Beirates, Forderungsverzicht, Haftung nach § 93 Abs. 2 AktG, Haftung nach § 93 AktG, Schadensersatzverzicht gegenüber Vorstand, Vertretung durch den Aufsichtsrat, Verzicht