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LG München, Urteil vom 15.04.2004 – 5 HKO 10813/03

§ 100 AktG, § 101 AktG, § 105 AktG, § 120 AktG, § 243 AktG, § 245 AktG, § 250 AktG

1. Gesetzliche Regel ist die Einzelabstimmung bei der Aufsichtsratswahl. Eine Listenwahl ist nur möglich, wenn der Versammlungsleiter zuvor darauf hinweist, dass durch mehrheitliche Ablehnung der Beschlussvorlage eine Einzelabstimmung herbeigeführt werden kann und zusätzlich kein anwesender Aktionär Einwände gegen diese Verfahrensweise erhebt.

2. Gesetzliche Vertreter einer von der Gesellschaft abhängigen Gesellschaft i.S.d. § 102 Abs. 2 Nr. 2 AktG sind nur die Mitglieder des Vorstandes, nicht die Mitglieder des Aufsichtsrats einer abhängigen Gesellschaft.

3. § 250 Abs. 1 AktG ist entsprechend auf einen Verstoß gegen § 105 Abs. 1 AktG anzuwenden.

Die Nichtigkeit des Beschlusses über die wahl der Mitglieder des Aufsichtsrates der Beklagten zu 1) lässt sich auch nicht damit begründen, es liege eine Verletzung von § 105 Abs. 1 AktG vor. Zwar muss davon ausgegangen werden, dass § 250 Abs. 1 AktG auf diesen Fall analog anzuwenden ist, auch wenn ein Verstoß gegen § 105 Abs. 1 AktG vom Wortlaut nicht erfasst ist. § 250 Abs. 1 AktG nimmt als Nichtigkeitsgrund Fallkonstellationen, in denen eine bestimmte Person nicht Aufsichtsratsmitglied sein kann. In ähnlicher Weise enthält § 105 Abs. 1 AktG einen Tatbestand der Inkompatibilität und verbietet die gleichzeitige Tätigkeit als Vorstands- und Aufsichtsratsmitglied. Dies ist den Tatbeständen, die in § 250 Abs. 1 AktG, insbesondere in dessen Nr. 3 und 4 geregelt sind, vergleichbar. Daher ist insoweit die planwidrige Regelungslücke des Gesetzes durch eine Analogie zu schließen. Allerdings sind die Voraussetzungen des § 105 Abs. 1 AktG nicht erfüllt. Der klare Wortlaut des Gesetzes schließt eine zeitgleiche Tätigkeit im Aufsichtsrat und Vorstand aus. Dies ergibt sich aus der Formulierung im Gesetzestext „zugleich” (vgl. Semler in MünchKomm/AktG, 2. Aufl. 2004, § 100 Rz. 1, 24; auch Mertens in KölnKomm/AktG, 2. Aufl. 1996, § 100 Rz. 8). Der Beklagte zu 2) wurde indes unstreitig erst nach der Beendigung seiner Aufgabe als Vorstandsvorsitzender der Beklagten zu 1) in deren Aufsichtsrat gewählt, weshalb eine gleichzeitige Ausübung von Vorstands- und Aufsichtsratmandat nicht gegeben ist. Eine analoge Anwendung auf den Fall des Wechsels vom Amt des Vorstandsvorsitzenden in den Aufsichtsrat derselben Gesellschaft ist nicht möglich. Die im deutschen Aktienrecht festgeschriebene Funktionstrennung von Vorstand und Aufsichtsrat, die dazu führt, dass sich Geschäftsführung und Überwachung zeitlich nicht überschneiden dürfen, wird rechtlich nicht tangiert, wenn das Mandat im Aufsichtsrat zeitlich der Tätigkeit im Vorstand nachfolgt. Der Gesetzgeber musste auch nicht davon ausgehen, dass eine tatsächliche Kontrolle in der hier gegebenen Situation des Wechsels vom Vorstand in den Aufsichtsrat unmöglich sei. Angesichts dessen kann eine planwidrige Regelungslücke nicht angenommen werden. Eine analoge Anwendung von § 105 Abs. 1 AktG ist daher nicht gerechtfertigt. Von der Zulässigkeit dieser Vorgehensweise geht auch der Deutsche Corporate Governance Kodex vom 21.5.2003 unter Ziff. 5.4.2 aus, wenn es dort u.a. heißt, dem Aufsichtsrat sollten nicht mehr als zwei ehemalige Vorstandsmitglieder angehören. Soweit in der Literatur zum Teil eine abweichende Ansicht vertreten wird (vgl. Lange, NZG 2004, 265 [268]), vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Die Vorschrift des § 319 Abs. 2 Nr. 1 HGB regelt einen nicht vergleichbaren Sachverhalt. Hierbei ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Aufsichtsrat und der Vorstand gem. § 172 AktG den Jahresabschluss zu billigen haben. Dann aber ist die Situation gegeben, die der eines unzulässigen Insichgeschäfts auch vergleichbar ist, zumal die Billigung als korporationsrechtliches Rechtsgeschäft eigener Art eingestuft wird (vgl. BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111 [116]; Hüffer, 5. Aufl. 2002, § 172 AktG Rz. 172). Eine vergleichbare Situation zur Tätigkeit eines ehemaligen Vorstandsmitglieds im Aufsichtsrat lässt sich nicht annehmen.

Schlagworte: Hindernis in der Person des gewählten Aufsichtsratsmitglieds nach §§ 250 Abs. 1 Nr. 4 sowie 100 Abs. 1 und 2 und 105 AktG analog, Inkompatibilität nach § 105 AktG analog, Nichtigkeit von Aufsichtsratswahlen nach § 250 AktG analog