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OLG Braunschweig, Beschluss vom 14.06.2012 – Ws 44/12 und Ws 45/12

AktG §§ 108, 110, 113; StGB § 13, 266

1. Dem Aufsichtsrat obliegt gemäß § 111 Abs. 1 AktG die Aufgabe, den Vorstand bei dessen Geschäftsleitungsmaßnahmen (§ 76 Abs. 1 AktG) zu überwachen. Damit ist notwendig die Pflicht des Aufsichtsratsmitglieds verbunden, den Vorstand der Aktiengesellschaft nicht von sich aus zu einer Handlung zu veranlassen, die dieser nicht vornehmen darf (BGH, Urteil vom 06.12.2001, 1 StR 215/01, juris, Rn. 55 – Sponsoring = BGHSt 47, 187, 201). Weil § 266 StGB nicht zwingend eine unmittelbare Einwirkung auf den Vorstand voraussetzt (vgl. BGHSt 9, 203 ff, 218), kommt es für die Beurteilung einer Straftat des Aufsichtsratsmitglieds nicht darauf an, ob dieses direkt an den Vorstand herantritt oder ob es eine Angestellte des Unternehmens zu einer rechtswidrigen Zahlung veranlasst.

2. Vorstandsmitglieder verletzen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (3. Senat) keine Vermögensbetreuungspflicht, soweit es um Entscheidungen geht, die ihre eigenen Bezüge betreffen (BGH, Urteil vom 21.12.2005, 3 StR 470/04, juris, Rn. 80 – Mannesmann). Diese Rechtsprechung beruht darauf, dass die Aktiengesellschaft bei Abschluss der Bezügevereinbarung durch den Aufsichtsrat, dem die Bewertung der Angemessenheit der Vorstandsvergütung obliegt (§ 87 AktG), vertreten wird (§ 112 AktG). Sie trägt zudem der Tatsache Rechnung, dass die Vermögensinteressen von Gesellschaft und Vorstand beim Aushandeln der angemessenen Vergütung nicht gleichgerichtet sind (BGH, a.a.O.).

3. Der 5. Senat des Bundesgerichtshofs hat unter Hinweis auf das zitierte Urteil des 3. Senats auch bei einem Aufsichtsratsmitglied, das zugleich Arbeitnehmer war, angenommen, dass diesen ausnahmsweise keine Vermögensbetreuungspflicht treffe, wenn dessen eigene Vergütungsangelegenheiten betroffen seien (BGH, Urteil vom 17.09.2009, 5 StR 521/08, juris, Rn. 84 – Volkswagen). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist es, dass sich ein Aufsichtsrat in einem ähnlichen Interessenkonflikt wie ein Vorstand befindet, wenn er für die eigene Tätigkeit (im entschiedenen Fall ging es um jene als Arbeitnehmer in der Funktion als Betriebsrat) eine überhöhte Vergütung aushandelt (Waßmer in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 266, Rn. 49 „Aufsichtsrat“).

4. Ein Aufsichtsratsmitglied trifft aber dann in eigenen Vergütungsangelegenheiten eine Vermögensbetreuungspflicht, wenn sich der Vorwurf nicht auf das Aushandeln einer überhöhten Vergütung durch das Aufsichtsratsmitglied, sondern auf die Abrechnung und Auszahlung einer Vergütung unter bewusstem Verstoß gegen eine Satzung i. S. d. § 113 AktG richtet. Denn es geht nicht um die beschriebene Konfliktsituation bei dem Aushandeln einer rechtswidrigen Vergütungsvereinbarung, sondern um die rechtswidrige Umsetzung einer in der Satzung (§ 113 AktG) festgesetzten Vergütung. Wegen des zwingenden Charakters von § 113 AktG (vgl. hierzu: Habersack in Münchner Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 113 Rn. 3) hatten weder Vorstand noch Aufsichtsrat eine Kompetenz zum Aushandeln einer Vergütung. Beide Organe traf vielmehr allein die Verpflichtung, die vorgegebene Satzung anzuwenden und die rechtswidrigen Auszahlungen deshalb zu unterbinden.

5. Der Untreuetatbestand ist weder durch das Merkmal einer gravierenden Pflichtverletzung noch aus anderen Gründen einzuschränken, wenn die gebotene Verfahrensweise durch eine Satzung vorgegeben ist, die keinen Handlungsspielraum zulässt (BGH, Urteil vom 21.12.2005, 3 StR 470/04, juris, Rn. 37 f. – Mannesmann = BGHSt 50, 331 ff., 346; Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 06.12.2001, 1 StR 215/01, juris, Rn. 33 – Sponsoring = BGHSt 47, 187 ff., 197; BGHSt 47, 148, 152).

6. Aufsichtsratsmitglieder haben eine Garantenstellung im Sinne des auf den Untreuetatbestand anwendbaren (BGH, NJW 2009, 89, S. 91 – Siemens) § 13 StGB (Weigend in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Auflage, § 13 Rn. 41; Tiedemann Untreue bei Interessenkonflikten in Festschrift Tröndle zum 70. Geburtstag, S. 321).

7. Erlangt der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Überwachungspflicht Kenntnis von rechtswidrigen Handlungen, dann besteht die Garantenpflicht, zumindest faktisch auf den Vorstand einzuwirken, um den Pflichtverstoß zu verhindern (BGH, Urteil vom 06.12.2001, 1 StR 215/01, juris, Rn. 55 – Sponsoring = BGHSt 47, 187, 201). Kommt das Aufsichtsratsmitglied dieser Pflicht nicht nach, ist der Aufsichtsrat selbst dann Täter, wenn er eine Straftat nur zulässt (BGHSt 9, 203 ff., 217).

8. Erlangt der Aufsichtratsvorsitzende Kenntnis von bevorstehenden, satzungswidrigen Zahlungen an andere Aufsichtsratsmitglieder, dann muss er in Erfüllung seiner Garantenpflicht den Aufsichtsrat gemäß § 110 Abs. 1 AktG einberufen, um einen Beschluss (§ 108 Abs. 1 AktG) zu erwirken, der den Vorstand zur Änderung der rechtswidrigen Vorgehensweise anhält.

9. Einfache Aufsichtsratsmitglieder sind in solchen Fällen gehalten, den Aufsichtsratsvorsitzenden zur Einberufung des Kontrollgremiums zu veranlassen oder – bei Weigerung des Vorsitzenden – den Aufsichtsrat selbst gemäß § 110 Abs. 2 AktG einzuberufen.

10. Notfalls wäre der Aufsichtsrat zudem – zur Vermeidung eines durch Unterlassen bewirkten Treubruchs i. S. d. § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB (vgl. hierzu: Brammsen, Aufsichtsratsuntreue, ZIP 2009, 1504 ff., 1510) – verpflichtet gewesen, die satzungswidrigen Zahlungen gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG durch ad hoc Vorbehalt von seiner Zustimmung abhängig zu machen und zu verhindern (vgl. Habersack in Münchner Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 111 Rn. 115; Hambloch-Gesinn/Gesinn in Hölters, AktG, § 111 Rn. 75).

11. Aufsichtsratsmitglieder können sich nicht darauf berufen, dass bei einer Aufsichtsratssitzung die erforderliche Stimmenmehrheit (zum Erfordernis einfacher Stimmenmehrheit: Habersack in Münchner Kommentar, AktG, 3. Aufl., § 108 Rn. 20) verfehlt worden wäre. Von der strafrechtlichen Mitverantwortung werden sie nur befreit, wenn sie alles Zumutbare tun, um die notwendige Kollegialentscheidung herbeizuführen (BGHSt 37, 106 ff, 131).

Schlagworte: Aufsichtsrat, Geschäftsführergehalt, Geschäftsleiterpflichten, Gesellschaftsstrafrecht, Haftung nach § 43 GmbHG, Innenhaftung, Pflichtverletzung, Pflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 GmbHG, Vergütung, Vermögensbetreuungspflicht, Vermögensdelikte, Vorstand, Wirtschaftsstrafrecht