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OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.02.2012 – I-16 U 177/10, 16 U 177/10

AktG §§ 84, 112; BGB §§ 174, 313, 626

1. Die Zuständigkeit für Abberufung und Kündigung des Dienstvertrages eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft liegt nach §§ 112, 84 Abs. 3 S. 5 AktG beim Aufsichtsrat. Die Entscheidung über Abberufung oder Kündigung kann nicht auf ein anderes Gremium oder eine andere Person übertragen werden.

2. Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Zulässigkeit einer Vertretung in der Erklärung. Kündigung und Abberufung werden als empfangsbedürftige Willenserklärungen nicht allein durch Beschluss, sondern erst mit Zugang beim Organmitglied wirksam. Dabei ist eine Vertretung des gesellschaftsrechtlich zuständigen Organs, des Aufsichtsrates, möglich und in der Praxis die Regel. Rechtsdogmatisch bestehen zwei Möglichkeiten, sich eines Mittlers zu bedienen, der dem Organmitglied den Beschluss des Aufsichtsrates zur Kenntnis bringt. Zum einen besteht die Möglichkeit, dass die Gesellschaft einen Beschluss zur Kündigung und/oder Abberufung fasst und ein Mitglied zum Ausspruch der Kündigung/Abberufung bevollmächtigt („Mit der Erklärung der Abberufung und fristlosen Kündigung gegenüber .. wird … beauftragt“). Der Ausspruch der Kündigung/Abberufung erfolgt dann durch eine eigene Willenserklärung des Stellvertreters im Namen der Gesellschaft. Zum anderen kann der Aufsichtsrat auch selbst die Kündigung oder Abberufung erklären und durch einen Boten übermitteln lassen („Der… wird beauftragt, die Erklärung des Aufsichtsrates zu übermitteln“).

3. Der einseitigen Willenserklärung des Aufsichtsratsvorsitzenden ist dann keine Vollmacht gemäß § 174 BGB beizufügen, wenn er satzungsgemäß zur Abgabe von einseitigen Willenserklärungen (hier Kündigungserklärung) im Namen des Aufsichtsrates ausdrücklich bevollmächtigt war; hierdurch ist dem Schutzgedanken des § 174 BGB, dem Kündigungsempfänger Gewissheit darüber zu verschaffen, ob der Erklärende wirklich zur Abgabe der Kündigungserklärung bevollmächtigt ist und der Vertretene die Erklärung gegen sich geltend lassen muss, Genüge getan (vgl. OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Urt. v. 17.11.2003, 15 U 225/02, ZIP 2004, 1850 m. w. N).

4. Für die Wirksamkeit der Kündigungserklärung ist es nicht erforderlich, dass das Vorstandsmitglied zuvor oder zumindest gleichzeitig als Vorstand abberufen und ihm dies auch mitgeteilt wurde. Daher steht es der Wirksamkeit der Kündigungserklärung nicht entgegen, wenn dem Vorstandsmitglied der Widerruf seiner Bestellung zum Vorstand erst zu einem späteren Zeitpunkt (hier vier Tage später) zugeht. Organstellung und Anstellungsverhältnis des Vorstandsmitglieds einer AG sind rechtlich streng voneinander zu trennen. Die Beendigung des einen Verhältnisses hat grundsätzlich keinen Einfluss auf den Fortbestand des anderen. Es gilt das sogenannte Trennungsprinzip, § 84 Abs. 3 S. 5 AktG (vgl. Schmidt/Lutter, AktG, 2008, Band I, § 84 Rdn. 60) mit der Folge, dass das dienstvertragliche Anstellungsverhältnis unabhängig vom Bestehen des körperschaftlichen Organverhältnisses zu betrachten ist. Die Wirksamkeit der Kündigungserklärung hängt daher nicht von einer gleichzeitigen oder früheren Mitteilung seiner Abberufung ab. Allerdings darf die Kündigung nicht vorgenommen werden, solange der Widerruf durch den Aufsichtsrat nicht beschlossen ist (vgl. Münchner Kommentar zum AktG/Spindler, 3. Auflage 2008 § 84 Rdn. 152).

5. Die Kündigung des mit einem Vorstandsmitglied geschlossenen Anstellungsvertrages setzt einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 BGB voraus. Ein solcher wichtiger Grund liegt dann vor, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der relevanten Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses, insbesondere also auch der Anspruch des Vorstandsmitglieds auf Leistung der Vergütung, bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder der Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zumutbar ist, § 313 Abs. 1 Satz 2 BGB. Dabei ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB unabhängig von der Frage der Zulässigkeit eines Bestellungswiderrufs nach § 84 Abs. 3 AktG zu beurteilen. Die Auslegung des § 626 Abs. 1 BGB hat die Besonderheiten einer Vorstandstätigkeit, also etwa die gesteigerten Treuebindungen und die erheblichen Vermögensbeeinträchtigungsmöglichkeiten, die das Vorstandsmitglied im Verhältnis zum Unternehmen hat, zu berücksichtigen, ist jedoch autonom auszulegen (vgl. BGH Urt. v. 23.10.1995, II ZR 130/94, WM 1995, 2064, 2065, Seibt in: Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 84 Rn. 66 m. w. N.). Grundlage einer fristlosen Kündigung können insbesondere grobe Pflichtverletzungen i. S. v. § 84 Abs. 3 Satz 2, erster Fall BGB sein. Diese bilden in der Regel auch einen wichtigen Grund für die fristlose Kündigung nach § 626 BGB.

6. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bedarf es für die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines Anstellungsvertrages gem. § 626 BGB nicht der sofortigen Angabe eines wichtigen Grundes (BGH Urt. v. 5.5.1958, II ZR 245/56, BGHZ 27, 220, 225; BGH Urt. v. 1.12.2003, II ZR 161/02, 157, 151, 157f, Urt. v. 20.6.2005, II ZR 18/03, BGH WM 2005, 1411.). Dieser oder auch weitere wichtige Gründe können grundsätzlich auch noch im Rechtsstreit nachgeschoben werden, soweit sie bei Ausspruch der Kündigung objektiv vorlagen und dem kündigenden Gesellschaftsorgan nicht länger als zwei Wochen zuvor bekannt geworden waren (BGH Urt. v. 1.12.2003, II ZR 161/02, BGHZ 157, 151, 157 m. w. N.).

7. (Nachgeschobene) Kündigungsgründe können auch ohne vorherigen, gesonderten Beschluss des Aufsichtsrates in den Prozess eingeführt werden. Der Senat folgt insoweit der Auffassung des BGH (Az. II ZR 131/97, zitiert nach juris Rdn. 12), wonach es einer besonderen Beschlussfassung über die Geltendmachung der nachgeschobenen Gründe schon deshalb nicht bedurfte, da der dafür zuständige Aufsichtsrat die Gesellschaft im Prozess, wie auch im vorliegenden Fall, gem. § 112 AktG allein vertritt. Zudem ist es nicht überzeugend, dass dann, wenn der zum Zeitpunkt der Kündigung bereits bekannte Sachverhalt den Mitgliedern des zuständigen Organs für eine fristlose Kündigung ausgereicht hat, im Falle des Hinzutretens weiterer Kündigungsgründe diese erst nach einem erneuten Beschluss in den Prozess eingeführt werden können (vgl. Bauer/Krieger ZIP 2004, 1247, 1251).

8. Wenn das Gesetz die Entscheidung über eine außerordentliche Kündigung einem bestimmten Organ vorbehält, erstreckt sich dessen Entscheidungsgewalt nicht nur auf die Frage, ob überhaupt gekündigt werden soll, sondern auch darauf, welche Gründe hierfür heranzuziehen sind (vgl. BGH, Urt. v. 29.03.1973 – II ZR 20/70, zitiert nach juris Rdn. 19). Im Einzelfall können beachtliche Interessen dafür sprechen, einen an sich als Kündigungsgrund verwertbaren Tatbestand nicht zur Erörterung zu stellen. Für den Fall einer Genossenschaft hat der Bundesgerichtshof daher ausgeführt, dass das Vertretungsorgan einer Genossenschaft jedenfalls dann nicht von sich aus nachträglich die Gründe für die Kündigung eines Vorstandsmitgliedes erweitern kann, wenn die für die Entscheidung über eine außerordentliche Kündigung allein zuständige Generalversammlung die Kündigung nur aus bestimmten Gründen ausgesprochen hat (BGH, Urt. v. 14.10.1991,- II ZR 239/90, zitiert nach juris Rdn. 14).

9. Auch im Rahmen der Abberufung aus wichtigem GrundBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Abberufung aus wichtigem Grund
dürfen Widerrufsgründe ohne erneute Beschlussfassung des Aufsichtsrats nachgeschoben werden (vgl. Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, 2006, § 5 Rdn. 16; a. A. Hüffer, aa O Rdn. 34, Hefermehl/Spindler in Münchn Komm, aaO § 84 Rdn. 134). Insoweit ist es nicht nachvollziehbar, warum für das Nachschieben von Gründen für die Kündigung ein anderer Maßstab anzulegen sein sollte als für den Widerruf der Bestellung als Vorstand, zumal der Beschlussfassung hinsichtlich der Kündigung sowie des Widerrufes eine einheitliche Willensbildung dahingehend zugrunde liegt, den Vorstand aus seinem Amt zu entfernen und da der Vorstand mit dem Widerruf seiner Bestellung für die AG nicht mehr tätig werden muss, auch seinen Anstellungsvertrag zu beenden. Zudem hat auch der BGH (Az. II ZR 131/97, zitiert nach juris Rdn. 12 u 16) für das von ihm für zulässig erachtete Nachschieben von Gründen ohne erneuten Aufsichtsratsbeschluss nicht zwischen der Kündigung und dem Widerruf differenziert, was sich angeboten hätte, wollte er insoweit einen abweichenden Standpunkt einnehmen.

Schlagworte: Abberufung, Aufsichtsrat, Gesamtwürdigung, gesetzliche Vertretung, Kündigung, Nachschieben von Gründen, Vertretungsbefugnis, Vorstand, Wichtiger Grund