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OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 05.03.2012 – 21 W 11/11

AktG § 327a

1. Nach § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG kann die Hauptversammlung einer Gesellschaft die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung beschließen. Dabei muss die vom Hauptaktionär festgelegte Barabfindung die Verhältnisse der Gesellschaft im Zeitpunkt der Beschlussfassung berücksichtigen (§ 327b Abs. 1 Satz 1 AktG). Als angemessen in dem vorgenannten Sinne ist eine Abfindung anzusehen, die dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung dafür verschafft, was seine Beteiligung an dem arbeitenden Unternehmen wert ist. Sie muss also dem vollen Wert seiner Beteiligung entsprechen (vgl. BVerfGE 14, 263/284; 100, 289/304 f.; BayObLG AG 1996, 127; Hüffer, AktG, 8. Aufl., § 327b Rn. 4). Hierfür ist der Grenzpreis zu ermitteln, zu dem der außenstehende Aktionär ohne Nachteil aus der Gesellschaft ausscheiden kann (vgl. BGHZ 138, 136, 140). Dabei stellt der Börsenkurs der Gesellschaft regelmäßig eine Untergrenze für die zu gewährende Abfindung dar (vgl. BVerfGE 100, 289).

2. Nach der von der Rechtsprechung allgemein anerkannten Ertragswertmethode ergibt sich der Unternehmenswert aus den zu schätzenden zukünftigen Erträgen der Gesellschaft jeweils abgezinst mit dem Kapitalisierungszinssatz; der Wert des nicht betriebsnotwendigen Vermögens und andere Sonderwerte sind anschließend hinzuzurechnen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. März 2010 – 20 W 9/08 -, Juris Rdn. 91).

3. Bei der Tatsachenfeststellung zur Unternehmensbewertung im Spruchverfahren sind die in die Zukunft gerichteten Planungen der Unternehmen und die darauf aufbauenden Prognosen ihrer Erträge nur eingeschränkt überprüfbar. Planungen und Prognosen sind in erster Linie ein Ergebnis der jeweiligen unternehmerischen Entscheidung der für die Geschäftsführung verantwortlichen Personen. Diese Entscheidungen haben auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen Annahmen aufzubauen; sie dürfen zudem nicht in sich widersprüchlich sein. Kann die Geschäftsführung auf dieser Grundlage vernünftigerweise annehmen, ihre Planung sei realistisch, darf diese Planung nicht durch andere Annahmen des Gerichts ersetzt werden (vgl. nur OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. März 2010 – 20 W 9/08 -, Juris Rdn. 106; OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Düsseldorf
, AG 2008, 498, 500; OLG MünchenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG München
, WM 2009, 1848, 1849).

4. Planungen sind das Ergebnis unternehmerischer Entscheidungen, die – einem allgemeinen Grundsatz, der auch im Spruchverfahren Beachtung zu finden hat, folgend – regelmäßig nur eingeschränkt der richterlichen Kontrolle unterliegen (vgl. OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, ZIP 2010, 729; Wittgens/Redeke, ZIP 2008, 542, 543 f.).

5. Die Ausschüttungsquote ist Teil der Unternehmenspolitik und ist insoweit grundsätzlich vom Minderheitsaktionär hinzunehmen (vgl. OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, ZIP 2010, 729).

6. Die den Anteilseignern zukünftig zufließenden Erträge sind mit dem Kapitalisierungszinssatz zu diskontieren, um ihren Barwert zum Bewertungsstichtag zu erhalten.

7. Dabei setzt sich der Kapitalisierungszins aus einem quasi risikolosen Basiszinssatz sowie einem Risikozuschlag zusammen; da der Unternehmensbewertung eine Nominalrechnung zugrunde liegt, ist – nach der Berücksichtigung von Kapitalertragsteuern – in der ewigen Rente zudem ein Wachstumsabschlag zu berücksichtigen (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. März 2010 – 20 W 9/08 -, Juris Rdn. 150).

8. Der Basiszinssatz entspricht dem landesüblichen Zinssatz für eine (quasi) risikofreie Anlage. Er wird aus dem durchschnittlichen Zinssatz für öffentliche Anleihen abgeleitet. Die Orientierung des Risikozuschlags am CAPM ist einhellige obergerichtliche Rechtsprechung.

9. Der Betafaktor drückt die Höhe des unternehmensindividuellen Risikos aus. Dabei misst der Betafaktor das systematische Risiko einer Aktie; er beschreibt, welche Änderung der Rendite der zu bewertenden Aktie bei einer Änderung der Rendite des Marktportfolios zu erwarten ist. Entsprechend handelt es sich um einen durch Schätzung zu ermittelnden Zukunftswert. Grundlage für die Schätzung des Betafaktors können der historische Verlauf der Börsenkurse der zu bewertenden Aktie selbst bzw. – sofern diese nicht aussagekräftig sind – derjenige einer Gruppe von Vergleichsunternehmen (Peer Group) sein (OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. März 2010 – 20 W 9/08 -, Juris Rdn. 163). Im Falle mangelnder Aussagekraft der Kurse der zu bewertenden Gesellschaft ist ein Zurückgreifen auf eine Peer Group gerechtfertigt (vgl. OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, Beschluss vom 20. Dezember 2010 – 5 W 51/09 -, Juris Rdn. 59; OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. März 2010 – 20 W 9/08 -, Juris Rdn. 163 ff.). Dabei ist auch eine Heranziehung ausländischen Unternehmen bedenkenfrei möglich, sofern das zu bewertende Unternehmen in nennenswertem Umfang auf internationalen Märkten agiert und etwaigen Wechselkursverzerrungen durch die Heranziehung eines ausländischen Marktindexes begegnet wird (vgl. auch OLG CelleBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Celle
, AG 2007, 865, 867).

10. Der Wachstumsabschlag hat die Funktion, in der Phase der ewigen Rente die zu erwartenden Veränderungen der Überschüsse abzubilden, die bei der nominalen Betrachtung aus dem letzten Jahr der Detailplanungsphase abgeleitet worden sind (vgl. WP-Handbuch 2008, S. 74). Er umfasst vornehmlich eine inflationsbedingte sowie daneben gegebenenfalls eine weitere Komponente, die sich aus Mengen- und Strukturänderungen ergibt (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. Februar 2008 – 20 W 9/06 -, Juris Rdn. 84). Aufgrund des preisbedingten Bestandteils ist daher zu seiner Ermittlung die (erwartete) Preissteigerung ein erster Anhalt (vgl. Großfeld, Recht der Unternehmensbewertung, 6. Aufl., 2011, Rdn. 967). Gleichwohl kann die Preissteigerung nicht mit der Wachstumsrate gleichgesetzt werden. Denn der Abschlag vom Kapitalisierungszins hängt maßgeblich davon ab, in welchem Umfang das konkrete Unternehmen die Fähigkeit besitzt, die laufende Geldentwertung aufzufangen, indem es die durch die Inflation gestiegenen Kosten mittels Preiserhöhungen auf seine Abnehmer überwälzen kann (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. März 2010 – 20 W 9/08 -, Juris Rdn. 189). Entsprechend handelt es sich beim Wachstumsabschlag stets um eine unternehmensspezifische, in die Zukunft reichende und mithin zu prognostizierende Größe. Demgemäß basiert auch die Bemessung des Wachstumsabschlages letztlich auf einer Planung und Prognose der Ertragsentwicklung während der Zeit der ewigen Rente. Dies zeigt sich bereits daran, dass es mathematisch keinen Unterschied macht, ob die ausgewiesenen Ertragszahlen im Zähler um einen entsprechenden Faktor wachsen oder ob man – wie üblich – der Vorstellung nominell wachsender Erträge durch einen Abschlag vom Kapitalisierungszins und demgemäß im Nenner Rechnung trägt (vgl. WP Handbuch 2008, S. 75 f.). Folglich besteht wie bei den Erträgen ein entsprechend verminderter Kontrollmaßstab. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der vom Unternehmen angenommene Wachstumsabschlag auf realistischen Annahmen beruht und zudem nicht in sich widersprüchlich ist.

Schlagworte: Aktienrecht, Barabfindung, Ermessensspielraum, Ertragswertverfahren, Minderheitsgesellschafter, Spruchverfahren, Squeeze-out, Unternehmensbewertung