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OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 18.12.2014 – 21 W 34/12

AktG §§ 304, 305

1. Der Standard IDW S1 2005 ist aufgrund des damit verbundenen, in Wissenschaft und Praxis anerkannten Erkenntnisfortschritts zur Gewährleistung materieller Gerechtigkeit auch für einen Bewertungsstichtag im August 2001 zur Anwendung zu bringen.

2. Zwar ist der Senat der Auffassung, dass gute Gründe dafür sprechen, den am Stichtag geltenden Bewertungsstandard auch für die zwingend später erfolgende gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der Abfindung heranzuziehen. Etwas anderes hat allerdings dann zu gelten, wenn der neue Bewertungsansatz einen in Wissenschaft und Praxis weitgehend anerkannten Erkenntnisfortschritt beinhaltet, die Frage der Anwendung der neuen Methode für das Ergebnis der Bewertung von spürbarer Bedeutung ist und das erkennende Gericht von der Überlegenheit des geänderten Ansatzes überzeugt ist.

3. Ein derartiger Erkenntnisfortschritt liegt mit Blick auf den Standard IDW S1 2005 und dabei insbesondere das Tax Capital Asset Pricing Model (im Folgenden Tax CAPM) verbunden mit der Abkehr von der Annahme der Vollausschüttung vor. Zu dieser Überzeugung ist der Senat aus den bereits in seiner Entscheidung vom 28. März 2014 (21 W 15/11, Juris Rn 49 ff.) ausgeführten Gründen gelangt.

4. Ist ein echter, in Wissenschaft und Praxis anerkannter Erkenntnisfortschritt zu verzeichnen und zeitigt dieser eine spürbare Bedeutung für das Bewertungsergebnis, ist aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit dieser Standard bei der gerichtlichen Prüfung der Angemessenheit der Kompensationszahlungen zu berücksichtigen. Soweit das Oberlandesgericht Düsseldorf hiergegen anführt, Gründe der Rechtssicherheit, des Stichtagsprinzips und des Vertrauensschutzes führten zwingend zu der Anwendung der als unzutreffend erkannten Bewertungsmethode (vgl. Beschluss vom 28. August 2014 – 26 W 9/12, Juris Rn 77 ff.), vermag diese Auffassung nicht zu überzeugen.

5. Insoweit teilt der Senat zwar im Grundsatz die Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf, wonach Aspekte der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes und der Prozessökonomie bei der Entscheidung, ob und in welcher Form ein geänderter Bewertungsstandard rückwirkend zur Anwendung zu bringen ist, Berücksichtigung zu finden haben (vgl. Senat, Beschluss vom 28. März 2014 – 21 W 15/11; Juris Rn 38). Hierbei handelt es sich jedoch nur um einen Aspekt der jeweils zu treffenden Abwägungsentscheidung (vgl. zu der zu treffenden Abwägungsentscheidung bereits OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
, Beschluss vom 26. August 2009 – 5 W 39/09, Juris Rn 22). Den vorgenannten Gesichtspunkten gegenüber steht nämlich das Gebot der materiellen Gerechtigkeit, das verfehlt wird, sofern bewusst ein zum Zeitpunkt des Bewertungsstichtags gültiger Bewertungsstandard bei der gerichtlichen Überprüfung angewandt wird, obwohl dieser handwerkliche Fehler enthält und somit zu unzutreffenden Ergebnissen führt. In diesem Fall wird das Ziel der Ermittlung des möglichst zutreffenden Unternehmenswertes höchstens zufällig erreicht und das Gebot der Bestimmung der angemessenen Abfindung regelmäßig verfehlt. Dies ist bei nur geringfügigen Ergebnisabweichungen nicht zuletzt mit Blick auf das ebenfalls verfassungsrechtlich verankerte Gebot der Gewährung effektiven und damit zeitnahen Rechtsschutzes hinzunehmen.

6. Ebenso ist im Fall fortbestehender Unsicherheit über die tatsächliche Überlegenheit der neuen Methode im Zweifel an dem damals gültigen Standard festzuhalten. Hierbei vermag der Senat auch schon aufgrund der Komplexität sowie der unterschiedlichen, häufig allein steuerrechtlich begründeten Motivation für die Einführung eines neuen Standards auch keine Vermutungswirkung für die Überlegenheit eines zeitlich nachfolgenden Standards gegenüber dem alten Standard zu erkennen (so aber OLG Stuttgart, AG 2013, 724; OLG KarlsruheBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Karlsruhe
, AG 2013, 765). Hat sich aber – häufig unter Heranziehung sachverständiger Hilfe – die Überlegenheit der neuen gegenüber der alten Bewertungsmethode herausgestellt, wird das erkennende Gericht dieses Ergebnis und die hieraus resultierenden Konsequenzen für die gebotene materielle Gerechtigkeit nicht außer Acht lassen können. Dem steht die grundsätzlich zutreffende Beobachtung, dass es einen wahren Unternehmenswert nicht gibt, vielmehr stets viele ungeklärte Fragen und zum Teil auch wissenschaftlich nicht eindeutig lösbare Probleme im Bereich der Unternehmensbewertung bestehen bleiben (vgl. hierzu etwa OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Düsseldorf
, Beschluss vom 28. August 2014 – 26 W 9/12, Juris Rn 101 ff.), nicht entgegen. Andernfalls zöge man sich auf eine völlige Beliebigkeit der gefundenen Ergebnisse zurück, die die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der gewährten Kompensation insgesamt in Frage stellen würde.

7. Zugleich bietet die verbleibende Unsicherheit aber auch einen Ansatz, um insbesondere den fortbestehenden Zielen der Rechtssicherheit und des Stichtagsprinzips bei der rückwirkenden Anwendung des neuen Standards Rechnung zu tragen. Soweit das Oberlandesgericht Düsseldorf dem entgegenhält, durch eine zurückhaltende Anwendung der neuen Bewertungsmethode werde die Rechtssicherheit gesenkt statt erhöht (vgl. OLG DüsseldorfBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Düsseldorf
, Beschluss vom 28. August 2014 – 26 W 9/12, Juris Rn 101 ff.), vermag das schon deshalb nicht zu überzeugen, weil für die Beteiligten das Ergebnis der Bewertung maßgeblich sein dürfte und weniger der Weg, wie dieses Ergebnis generiert wird. Im Übrigen vertritt der Senat in diesem Zusammenhang auch keine sachfremde Entscheidung sondern tritt lediglich für die Ausnutzung bestehender, thematisch mit der rückwirkenden Änderung im Zusammenhang stehender Bewertungsspielräume ein, wie dies bei der Höhe der für den Bewertungsstichtag anzunehmenden Marktrisikoprämie der Fall ist.

8. Demgegenüber kommt der Rückgriff auf die im Standard IDW S1 2008 formulierten Bewertungsgrundsätze nicht in Betracht, da diese mit Blick auf das zum Bewertungsstichtag nicht geltende Steuersystem der Abgeltungssteuer entwickelt wurden und folglich auch keinen Erkenntnisfortschritt für die Bewertung im aus damaliger Sicht des Bewertungsstichtages maßgeblichen Steuersystem des Halbeinkünfteverfahrens darstellen können.

Schlagworte: IDW-Standard S1, Unternehmensbewertung