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OLG München, Beschluss vom 12.01.2018 – 34 AR 110/17

BGB § 823Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
BGB
BGB § 823
Abs. 2, 3 826; StGB § 263, § 264a; KapMuG § 1 Abs. 2; ZPO § 32b Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2

Tenor

Örtlich zuständig ist das Landgericht Hamburg.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt mit ihrer  zum Landgericht München I (Az. 32 O 2161/17) erhobenen Klage vom 8.2.2017 von der in M. ansässigen Beklagten Schadensersatz wegen einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage. Zur Begründung trägt sie vor, sie habe sich gemäß Beitrittserklärung vom 12.3.2012 mit einer Einlage von 20.000,00 € (zzgl. Agio) an dem im Jahr 2012 aufgelegten Immobilienfonds D.S. Nr. 2 GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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der mittlerweile insolventen S-Gruppe beteiligt. Der Fonds wurde von der U.I. GmbH mit Sitz in Hamburg angeboten. Die Beklagte habe 2011 falsche Bescheinigungen ausgestellt. So habe sie bewusst tatsachenwidrig u.a. bescheinigt, dass die S-Gruppe Immobilientransaktionen mit einem Verkehrswertvolumen von mehr als 200 Mio. EUR durchgeführt habe und die Gruppe über Immobilien mit einem Verkehrswert von mehr als 100 Mio. EUR verfüge. Diese Bescheinigungen seien neben dem Anlageprospekt als Marketinginstrument verwendet worden und hätten der Anlegerinformation gedient. Auch dies habe die Beklagte gewusst. Die Klägerin habe sich auf die Richtigkeit der Bescheinigungen verlassen. Die Beklagte hafte ihr daher wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, Pflichtverletzung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sowie Prospekthaftung im weiteren Sinne. Daneben kämen Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB in Betracht.

Mit der gemeinsam mit der Klage zugestellten Verfügung vom 1.3.2017 wies das Landgericht München I darauf hin, dass es Zweifel an seiner örtlichen Zuständigkeit hege. Es führte unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.7.2013 (X ARZ 320/13) aus, gemäß § 32b ZPO sei das Gericht am Sitz der Anbieterin ausschließlich zuständig, ohne dass es darauf ankomme, ob die Anbieterin mitverklagt sei. Da nach durchgeführter Internetrecherche anzunehmen sei, dass die Anbieterin ihren Sitz in H. habe, dürfte das Landgericht Hamburg ausschließlich zuständig sein. Die Stellung eines Verweisungsantrages wurde angeregt.

Hiergegen wandte sich die Beklagte mit Klageerwiderung vom 10.3.2017 und Schriftsatz vom 29.3.2017. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 1.12.2016 (X ARZ 180/16) führte sie aus, dass eine Zuständigkeit des Landgerichts Hamburg nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht in Betracht komme. Ausweislich der Klageschrift werde sie nicht als Prospektverantwortliche, Gründerin, Initiatorin, Gestalterin oder Hintermann, sondern nur wegen Prospekthaftung im weiteren Sinne in Anspruch genommen. Auch eine Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO scheide aus, weil die Klage nicht zumindest auch gegen den Emittenten, Anbieter oder die Zielgesellschaft gerichtet sei.

Die Klägerin stellte mit Schriftsatz vom 10.3.2017 ohne weitere Begründung den Antrag, das Verfahren an das Landgericht Hamburg zu verweisen.

Das Landgericht München I forderte mit Verfügung vom 17.3.2017 die Vorlage der Bescheinigungen sowie des vollständigen Verkaufsprospektes an und äußerte mit weiterer Verfügung vom 7.4.2017 die Ansicht, dass die Klägerin Ansprüche aus Prospekthaftung im engeren Sinne geltend mache, indem sie ihren Anspruch auf die Ausstellung der „unrichtigen Bescheinigungen“ durch die Beklagte und die Verwendung dieser Bescheinigungen im Vertrieb stütze. Nicht maßgeblich sei, ob die als fehlerhaft monierten Informationen in einem Prospekt im engeren Sinne enthalten seien.

Die Beklagte nahm hierzu – ablehnend – mit Schriftsatz vom 13.4.2017 Stellung.

Mit Beschluss vom 29.5.2017 (Az.: 32 O 2161/17) hat sich das Landgericht München I für (örtlich) unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin an das Landgericht Hamburg verwiesen, da dieses als Gericht am Sitz des Anbieters der sonstigen Vermögensanlage gemäß § 32 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuständig sei. Das Landgericht München I hat insoweit ausgeführt:

Zu unterscheiden sind allerdings die Tatbestände des § 32 [gemeint dürfte wohl sein § 32b] Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO. Nach der Auslegung, die der BGH der Neufassung des Gesetzes gegeben hat, ist für eine Klage, die zumindest gegen einen Beklagten auf eine der in § 32 b Abs. 1 Nr. 1 ZPO aufgeführten Handlungen gestützt wird, unabhängig davon begründet, ob zu den Beklagten auch der Emittent, der Anbieter oder die Zielgesellschaft gehören (BGH, Beschluss vom 30.07.2013, X ARZ 320/13). Im Anwendungsbereich des § 32 [gemeint § 32b] Abs. 1 Nr. 2 ZPO verbleibt es dabei, dass eine Voraussetzung für den besonderen Gerichtsstand der Umstand ist, dass – im Fall der sonstigen Vermögensanlage – der Anbieter mitverklagt ist. Unter § 32 [gemeint § 32b] Abs. 1 Nr. 2 ZPO fallen dabei neben Klagen gegen Berater und Vermittler unter Verwendung des Prospektes auch Klagen aufgrund von Prospekthaftung im weiteren Sinne, d. h. insbesondere gegen die unmittelbaren Vertragspartner des Anlegers, also beispielsweise gegen den Treuhandkommanditisten oder Mittelverwendungskontrolleur (BGH Beschluss vom 01.12.2016, X ARZ 180/16).

Die Klagepartei stützt die Klage in erster Linie auf deliktische Anspruchsgrundlagen aufgrund der kollusiv erstellten, die Geschäftstätigkeit der S-Gruppe absichtlich auf unzureichender Grundlage zu positiv darstellenden „Bescheinigungen“ durch die Beklagte und die Verwendung dieser Bescheinigungen im Vertrieb im Wissen durch die Beklagte.

Hierauf gestützte Ansprüche sind der Prospekthaftung im engeren Sinne – wobei hierunter verschiedene Anspruchsgrundlagen vertraglicher, spezialgesetzlicher oder deliktischer Art fallen können -, gemäß § 32 [gemeint § 32b] Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuzuordnen (vgl. auch Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 32b, Rz. 4, 6, Palandt/Grüneberg, 76. Aufl. 2017, § 311 Rn. 69). Eine vertragliche Haftung im Sinne einer Prospekthaftung im weiteren Sinne, die unter § 32 b Abs. 1 Nr. 2 fiele, lässt sich aus dem Klagevortrag gerade nicht ableiten.

Öffentliche Kapitalmarktinformationen sind gemäß § 1 Abs. 2 KapMuG Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten, die für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmt sind und … einen Anbieter von sonstigen Vermögensanlagen betreffen. Die Aufzählung von Regelbeispielen hierzu in § 1 Abs. 2 KapMuG ist nicht abschließend. Es kommt nicht darauf an, dass die Informationen, auf die die Haftung gestützt wird, in einem Prospekt im engeren Sinne enthalten sind. Ausreichend sind vielmehr auch körperlich von dem eigentlichen Emissionsprospekt getrennte Schriftstücke, die zusammen mit diesem vertrieben werden (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2011, III ZR 103/10).

Bei der Einordnung als Prospekthaftung im engeren oder im weiteren Sinne handelt sich um eine rein begriffliche Einordnung, die für die konkrete Fragestellung nur bedingt ergiebig ist. Die Abgrenzung erschließt sich jedoch unmittelbar aus dem Wortlaut der § 32 b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO: Haftungsgrund für § 32 b Abs. 1 Nr. 1 ist die Verantwortung für den Inhalt einer öffentlichen Kapitalmarktinformation, gleich auf welcher Anspruchsgrundlage. Dagegen ist Haftungsgrund für § 32 b Abs. 1 Nr. 2 ZPO die Verwendung einer von einem Dritten inhaltlich verantworteten öffentlichen Kapitalmarktinformation. Insofern ist die Zuordnung hier eindeutig. Die Haftung wird auf die Erstellung einer Kapitalmarktinformation gestützt, die durch die Initiatoren und den Vertrieb verwendet wurde.

Vor dem Landgericht Hamburg hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 29.6.2017 vorgetragen, es gehe (auch) um eine Prospekthaftung im engeren Sinne, denn die Beklagte sei als Garantin für die Richtigkeit der von ihr abgegebenen Prospekterklärungen in Erscheinung getreten. Die Bescheinigungen seien als Bestandteil der Prospektierung anzusehen, da mit ihnen in einem Kurzprospekt zum Fonds geworben und in einer weiteren als Prospekt zu wertenden Anlagenbeschreibung jedenfalls die Bescheinigung vom 1.8.2011 vollständig auf Seite 29 abgedruckt worden sei. Die Beklagte sei daher insoweit Prospektverantwortliche.

Mit Verfügung vom 13.6.2017 hat das Landgericht Hamburg den Parteien unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 1.12.2016 (Az.: X ARZ 180/16) seine Auffassung mitgeteilt, dass eine ausschließliche Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO beim Landgericht Hamburg nicht bestehe und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Beschluss vom 10.7.2017 hat sich das Landgericht Hamburg für unzuständig erklärt und das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht München vorgelegt.

Mit Schriftsätzen vom 4.9., 10.10. und 6.11.2017 hat die Klägerin konkretisierend vorgetragen, die Prospektierung zum S-Fond, wozu auch der Kurzprospekt und der Referenzkatalog zu zählen seien, enthalte unrichtige Angaben über das Anlageobjekt. Bei diesem handle es sich um ein Investment in die Immobiliengeschäfte der S-Gruppe. Für die Anlageinteressenten sei daher der bisherige wirtschaftliche Erfolg der S-Gruppe im Immobiliensektor von wesentlicher Bedeutung gewesen. Bei den Bescheinigungen der Beklagten über die bisherige erfolgreiche Immobiliengeschäftstätigkeit der S-Gruppe handle es sich um eine wesentliche Prospektangabe, die jedoch nicht zutreffend gewesen sei.

Die Beklagte hat mit Schriftsätzen vom 24.10. und 15.12.2017 eingewandt, eine Anwendbarkeit des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO scheide aus, da Prospekthaftungsansprüche der Beklagten im engeren Sinn nicht schlüssig vorgetragen und im Übrigen schon nach dem Vortrag der Klägerin verjährt seien.

II.

Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung nach §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, 37 ZPO sind gegeben. Es liegen beiderseitige den Parteien bekanntgegebene Entscheidungen vor, nämlich einerseits der grundsätzlich bindende Verweisungsbeschluss (vgl. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) des Landgerichts München I vom 19.4.2017 und andererseits der die Entscheidungskompetenz verneinende, den Parteien mitgeteilte Beschluss des angegangenen Landgerichts Hamburg vom 10.7.2017 (vgl. BGH NJW-RR 2013, 764; OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Hamm
NJW 2016, 172; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 38. Aufl. § 36 Rn. 23 m. w. N.). Die damit verbundene jeweilige Leugnung der eigenen Kompetenz erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ in § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (siehe nur BGHZ 102, 338/340 m. w. N.).

1. Der Senat hat das tatsächlich zuständige Gericht zu bestimmen. Maßgeblich für die Ermittlung sind dabei allerdings nicht nur die gesetzlichen Zuständigkeitsbestimmungen, sondern auch die Vorschriften, aus denen sich eine verfahrensrechtliche Bindung der am Verfahren beteiligten Gerichte ergibt (BGHZ 17, 168 (171) = NJW 1955, 948; OLG NaumburgBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Naumburg
NJOZ 2007, 3013; BeckRS 2008, 07268; BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf 26. Edition § 36 Rn. 43). Denn der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Um langwierige Zuständigkeitsstreitigkeiten unter Gerichten auszuschließen, wird es hingenommen, dass auch unrichtige oder verfahrensfehlerhaft ergangene Beschlüsse grundsätzlich binden und demnach selbst ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss regelmäßig der Nachprüfung entzogen ist (siehe Zöller/ Schultzky ZPO 32. Aufl. § 36 Rn. 38 m. w. N.). Nur ausnahmsweise tritt die Bindungswirkung dann nicht ein, wenn die Verweisung jeder Rechtsgrundlage entbehrt und daher willkürlich ist (Zöller/Greger § 281 Rn. 17), was der Fall sein kann, wenn das Gericht den Kerngehalt des Parteivortrags verkennt und ihm einen Sinngehalt gibt, den ihm die Parteien nicht geben (Senat Beschluss vom 21.1.2016, 34 AR 257/15 juris), das Klagebegehren evident falsch erfasst (OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Hamm
NJOZ 2014, 1174) bzw. zu einem völlig unvertretbaren Ergebnis gelangt (KG v. 14.5.2009, 2 AR 15/19 = BeckRS 2009, 13804) und sich mit der zitierten Rechtsprechung unzureichend auseinandersetzt (OLG FrankfurtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Frankfurt
a.M. NJW-RR 2013, 824).

2. Der Beschluss des Landgerichts München I nach § 281 ZPO entfaltet keine Bindungswirkung, weil er objektiv willkürlich ist.

Die ausgesprochene Verweisung entbehrt jeder Rechtsgrundlage und ist daher – objektiv – willkürlich. Bei der Beurteilung, ob ein die Willkür begründender schwerer Rechtsfehler vorliegt, ist nur derjenige Vortrag zu berücksichtigen, der zum Zeitpunkt des Erlasses des Verweisungsbeschlusses vorgetragen war (BGH NJW-RR 1995, 702; KG, OLG-Report KG 2008, 209; Zöller/Greger § 281 Rn. 17). Das Landgericht München I hat bei der Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO durch den Bundesgerichtshof – trotz Hinweises durch die Parteien auf die hierzu aktuell ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – allein darauf abgestellt, dass die „Bescheinigungen“ öffentliche Kapitalmarktinformationen seien, für deren Inhalt die Beklagte verantwortlich sei. Eine allgemeine Haftung wegen falscher Kapitalmarktinformation kennt das deutsche Recht jedoch nicht, so dass eine Zuständigkeit nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO den schlüssigen Vortrag von Tatsachen voraussetzt, die eine Verantwortlichkeit der Beklagten für die behauptete falsche Kapitalmarktinformation nach den jeweils maßgeblichen Voraussetzungen eines Anspruchstatbestands begründen können. Hier wäre zentral darauf abzustellen gewesen, ob der Tatsachenvortrag der Klägerin eine (beschränkte) Prospektverantwortlichkeit der Beklagten als Garantin deshalb begründen kann, weil die „Bescheinigungen“ als Teil des Anlageprospekts anzusehen seien. Dazu war bis zum Schriftsatz vom 29.6.2017 jedoch nichts vorgetragen.

3. Obgleich das Landgericht Hamburg durch den Beschluss des Landgerichts München I vom 29.5.2017 nicht gebunden ist, ist es gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuständig.

a) Der Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 10.7.2017 bewirkt nicht die Zuständigkeit des Landgerichts München I, da er nur die eigene örtliche Unzuständigkeit ausspricht. Eine (Rück-)Verweisung (Zöller/Greger § 281 Rn. 19), auf deren Grundlage eine Zuständigkeit des Landgerichts München I unabhängig von der sachlichen Richtigkeit der Entscheidung bewirkt werden könnte (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), enthält er hingegen nicht.

b) Das Landgericht Hamburg ist gem. § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuständig.

aa) Für die Frage der Zuständigkeit ist der jeweilige Streitgegenstand maßgebend, der allein von der Klägerseite bestimmt wird. Inhalt und Rechtsnatur der von der Beklagtenseite erhobenen Einwendungen sind dagegen grundsätzlich für die Frage der Zuständigkeit belanglos, selbst dann, wenn zuständigkeits- und anspruchsbegründende Tatsachen zusammenfallen. Bei derartigen sog. doppelrelevanten Tatsachen bestimmt sich die Zuständigkeit regelmäßig allein auf Grundlage des schlüssigen Klägervortrags. Dabei reicht die schlüssige Behauptung von Tatsachen aus, auf deren Grundlage sich ein Anspruch, der der zuständigkeitsbegründenden Norm unterfällt, ergeben kann. Ob sich die Tatsachenbehauptung nach einer Würdigung aller Umstände als richtig erweist, ist eine Frage der Begründetheit (BGH NJW-RR 2010, 1554; BGH NJW 2010, 616; Roth in Stein/Jonas, ZPO 23. Aufl. § 1 Rn. 24; BeckOK Vorwerk/Wolf § 32b Rn. 20). Natürlich bedeutet dies nicht, dass das Gericht den dazu gebrachten Sachvortrag der Beklagten nicht zur Kenntnis zu nehmen hätte (BGH NJW 2013, 616; Senat vom 4.2.2016, 34 AR 8/16 nicht veröffentlicht). Zuständigkeitsrelevanter Tatsachenvortrag muss parteiunabhängig vom Gericht berücksichtigt werden, wenn das Vorbringen des Beklagten an der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts etwas ändert und sich nicht lediglich gegen die Begründetheit des Klageanspruchs richtet.

bb) Ausgehend hiervon genügt der mittlerweile ergänzte klägerische Vortrag den Schlüssigkeitsanforderungen.

(1) Der Gerichtsstand nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist gegeben, wenn zumindest einer der Beklagten und bei nur einem einzigen Beklagten eben dieser wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen als Prospektverantwortlicher aufgrund typisierten Vertrauens in Anspruch genommen wird (BGH vom 30.7.2013, X ARZ 320/13, NJW-RR 2013, 1302 Rn. 8 und 28; vom 1.12.2016, X ARZ 180/16, NJW-RR 2017, 693 Leitsatz sowie Rn. 11). Dies hat die Klägerseite schlüssig vorgetragen.

Die Haftung der Beklagten ergibt sich nach dem inzwischen ergänzten und im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung maßgeblichen Klagevorbringen (auch) aus deren eigener Verantwortung zwar nicht für den gesamten Prospekt, aber für die von ihr als „Garantin“ zu verantwortenden und als fehlerhaft beanstandeten Teile des Prospekts, denn die von ihr erstellten und im Vertrieb verwendeten Bescheinigungen sind mit nun ergänztem und jedenfalls – was ausreicht – schlüssigem Klagevorbringen als Prospektbestandteile dargestellt. Ob die rechtliche Würdigung, die nach den Grundsätzen der Entscheidung vom 17.11.2011 (BGHZ 191, 310 – „Rupert Scholz“) eine Gesamtbetrachtung aller Umstände voraussetzt, diese Wertung tragen wird, ist eine Frage der Begründetheit und nicht bereits im Rahmen der Gerichtsstandsbestimmung zu entscheiden.

Dass die Beklagte weder den Anlageprospekt herausgegeben hat noch zu den Gründern, Initiatoren oder Gestaltern der Gesellschaft noch zu den sogenannten „Hintermännern“ gehört, die auf das Geschäftsgebaren oder die Gestaltung des konkreten Anlagemodells besonderen Einfluss ausüben (zu deren Prospektverantwortlichkeit vgl. etwa BGH NJW-RR 2007, 1479 Rn. 11; NJW-RR 2010, 1187 Rn. 21), hindert die Anwendung von § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht zwingend. Zwar bezeichnet es der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 1.12.2016 (X ARZ 180/16, NJW-RR 2017, 693) betreffend die Gerichtsstandsbestimmung für eine Klage gegen eine Treuhandkommanditistin als Voraussetzung für § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO, dass der Beklagte zu diesem Personenkreis zählt (Rn. 12). Nicht hingegen erwähnt er in diesem Zusammenhang auch die sogenannten Garanten, denen auf Grund ihrer beruflichen und wirtschaftlichen Stellung oder auf Grund ihrer Fachkunde typisiertes Vertrauen entgegen gebracht wird und die deshalb für von ihnen verantwortete fehlerhafte Prospektteile nach – nicht mehr unumstrittener – Rechtsprechung wegen Prospekthaftung im engeren Sinne in Anspruch genommen werden können, sofern sie durch ihr nach außen in Erscheinung tretendes Mitwirken am Emissionsprospekt einen besonderen, zusätzlichen Vertrauenstatbestand geschaffen und Erklärungen abgeben haben (so BGHZ 111, 314/319; BGH NJW 2004, 3420; NJW-RR 2006, 611; NJW-RR 2007, 1479 Rn. 15; NJW-RR 2008, 1365 Rn. 18; NJW 2012, 758 Rn. 19 – „Rupert Scholz“; zuletzt offengelassen in der Entscheidung vom 21.2.2013, III ZR 139/12, NJW 2013, 1877 Rn. 12 f. mit weiteren Nachweisen zum Meinungsstreit; kritisch auch Schmitt DStR 2013, 1688 ff). Eine Abkehr von dieser Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof mit der Entscheidung vom 1.12.2016 allerdings weder ausdrücklich noch sonst erkennbar vollzogen; das diesbezügliche Schweigen kann nicht als ein Aufgeben der „Garantenhaftung“ interpretiert werden, denn der dort entschiedene Sachverhalt gab keine Veranlassung, sich im Rahmen der Gerichtsstandsbestimmung zu diesen Fragen zu positionieren. Während eine ausdrückliche Wiederholung der diesbezüglichen Grundsätze als ein Festhalten an der Rechtsprechung zur Haftung der berufsmäßigen Sachkenner für die von ihnen zu verantwortenden Prospektteile aufgrund enger Prospekthaftung hätten interpretiert werden können, lassen sich Schlüsse aus dem diesbezüglichen Schweigen nicht ziehen. Insbesondere ordnet der Bundesgerichtshof diesen Kreis der (beschränkt) Prospektverantwortlichen nicht per se und ausschließlich unter die Bestimmung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO ein. Soweit er in der Entscheidung vom 1.12.2016 die Sachwalter ausdrücklich anspricht (Rn. 13), ergibt sich aus dem Verweis auf die Entscheidung vom 22.10.2015, III ZR 164/14 Rn. 15 (NJW-RR 2016, 169), dass (nur) die neben und unabhängig von einer etwaigen Haftung wegen (beschränkter) Prospektverantwortlichkeit in Betracht kommende Prospekthaftung im weiteren Sinne wegen Verletzung von Aufklärungspflichten bei Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens thematisiert ist. Ausnahmsweise kann nämlich aus Prospekthaftung im weiteren Sinne neben dem Vertragspartner des Anlegers der für den Vertragspartner auftretende Vertreter, Vermittler oder Sachwalter haften, wenn er in besonderem Maße persönliches Vertrauen für sich in Anspruch genommen, das heißt eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität und ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags übernommen hat oder wenn er ein eigenes wirtschaftliches Interesse am Abschluss des Geschäfts hat (NJW-RR 2016, 169). Anknüpfungspunkt der Prospekthaftung im weiteren Sinne ist dementsprechend nicht die Verantwortlichkeit für einen fehlerhaften Prospekt, sondern eine selbstständige Aufklärungspflicht als Vertragspartner oder Sachwalter einer Vertragspartei auf Grund persönlich in Anspruch genommenen – nicht nur typisierten – besonderen Vertrauens, zu deren Erfüllung der Prospekt verwendet wird (BGH NJW-RR 2012, 937 Rn. 23; s. auch Beschluss vom 19.9.2013, III ZR 46/13, BeckRS 2013, 17399; NZG 2013, 899 Rn. 34).

Die Anwendungsbereiche der in § 32b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO normierten Varianten der Gerichtsstandskonzentration am Sitz des Emittenten oder Anbieters bzw. am Sitz der Zielgesellschaft grenzt der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 1.12.2016 dahingehend ab, dass § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Haftung aus eigener Verantwortung für einen fehlerhaften Prospekt aufgrund typisierten Vertrauens betrifft, § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO hingegen die Einstandspflicht für die Verletzung einer selbständigen Aufklärungsverpflichtung aufgrund persönlich in Anspruch genommenen Vertrauens, zu deren Erfüllung sich des Prospekts bedient wurde (Rn. 13). Dass für sogenannte Garanten oder Sachwalter in Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung nur noch eine Haftung nach den Grundsätzen der weiten Prospekthaftung, die dem Anwendungsbereich des § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO unterfällt, in Betracht kommt, ist damit weder ausdrücklich noch sonst erkennbar zum Ausdruck gebracht.

Ansprüche, die auf eine (beschränkte) Prospektverantwortlichkeit aufgrund Garantenstellung des (einzigen) Beklagten gestützt werden, sind danach nicht solche wegen Verwendung eines fehlerhaften Prospekts und fallen deshalb nicht unter § 32b Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Dass die Klägerin den – nach Ergänzung ihres diesbezüglichen Klagevorbringens – schlüssig vorgetragenen Anspruch aus Prospekthaftung im engeren Sinne daneben (unter anderem) auch auf Prospekthaftung im weiteren Sinne wegen Verletzung eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (vgl. BGH NJW 2014, 2345) stützt, ist deshalb für die Bestimmung des zuständigen Gerichts nicht mehr ausschlaggebend. Der Meinungsstreit über die (begrenzte) Prospektverantwortlichkeit berufsmäßiger Sachkenner als Garanten nach den Grundsätzen der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung im engeren Sinne ist nicht im Rahmen der Gerichtsstandsbestimmung zu entscheiden. Aufgabe des für die Sachentscheidung zuständigen Gerichts ist es vielmehr, von Amts wegen sämtliche Anspruchsgrundlagen zu prüfen.

(2) Darüber hinaus hat die Klägerin nunmehr schlüssig einen deliktischen Schadensersatzanspruch wegen einer falschen, irreführenden oder unterlassenen Kapitalmarktinformation (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 264a StGB sowie § 826 BGB) vorgetragen. Auch dies begründet die ausschließliche Zuständigkeit am Sitz des Emittenten, Anbieters oder der Zielgesellschaft nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO (Zöller/Schultzky § 32b Rn. 4; Musielak/Voit ZPO 14. Aufl. § 32b Rn. 5a; Assmann/Schütze Handbuch des Kapitalanlagerechts, 4. Aufl. § 5 Rn. 207).

Ob die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, insbesondere ob die Beklagte als Garantin ihren guten Namen für die Empfehlung einer Vermögensanlage vorsätzlich und in sittenwidriger Weise hergegeben hat (BGH NJW 2004, 3420; MüKo/Wagner BGB 7. Aufl. § 826 Rn. 103) und ob sie in strafrechtlich relevanter Weise gegenüber einem größeren Kreis von Personen unrichtige vorteilhafte und für die Anlageentscheidung erhebliche Angaben in Prospekten etc. gemacht hat (vgl. BVerfG NJW 2008, 1726), ist eine Frage, die im Rahmen der Begründetheitsprüfung zu klären ist.

cc) Die Einwendungen der Beklagten sind für die Zuständigkeitsfrage nicht relevant. Ob eine Prospektverantwortung der Beklagten ausscheidet, weil die spezialgesetzlichen Vorschriften die bürgerlich-rechtliche Prospekthaftung verdrängen, ist, wie die Beklagte selbst ausführt, höchstrichterlich noch nicht geklärt und keinesfalls im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zu erörtern. Das gleiche gilt für die Einrede der Verjährung, die grundsätzlich erst im Rahmen der Begründetheitsprüfung zu beachten und im Hinblick auf die schlüssig vorgetragene Haftung nach §§ 823 Abs. 2, 826 BGB hier keinesfalls eindeutig zu bejahen ist.

Schlagworte: Garantenstellung, Haftung für Organisationsverschulden/ Garantenstellung, Prospekthaftung im engeren Sinn, Prospekthaftung im engeren und weiteren Sinn, Prospekthaftung im weiteren Sinn, Unrichtige Prospektdarstellung