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OLG München, Beschluss vom 14. September 2007 – 31 AR 211/07

§ 246 Abs 3 S 2 AktG, § 47 GmbHG, § 94 GVG, §§ 94ff GVG, § 2 SpruchG

1. § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG begründet für die aktienrechtliche Anfechtungsklage die ausschließliche funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift ist die Kammer für Handelssachen auch für Anfechtungsklagen betreffend Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH funktionell ausschließlich zuständig.

2. Ein bürgerlicher Rechtsstreit, für den die ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen begründet ist, kann von der Zivilkammer in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen an die Kammer für Handelssachen abgegeben werden.

Tenor

Zuständig ist die Kammer für Handelssachen.

Gründe

I.

Beide Parteien sind Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit Sitz in München. Die Klägerin ist Gesellschafterin der Beklagten. Sie hat am 3.1.2006 zum Landgericht Anfechtungs- und Feststellungsklage im Hinblick auf Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 21.10.2005 erhoben. Eine Verweisung an die Kammer für Handelssachen wurde von Seiten der Beklagten nicht beantragt. Vor der Zivilkammer fand am 27.4.2006 eine mündliche Verhandlung zur Sache statt, aufgrund derer am 1.8.2006 Beweisbeschluss erlassen wurde. Am 6.10.2006 erging ein weiterer Beweisbeschluss nach § 358a ZPO. Am 11.1.2007 fand eine Beweisaufnahme statt. Der zur Fortsetzung der Beweisaufnahme bestimmte Termin vom 10.5.2007 wurde nach Richterwechsel mit Verfügung vom 9.5.2007 abgesetzt. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass die Kammer für Handelssachen funktionell ausschließlich zuständig und eine Verweisung an diese beabsichtigt sei. Mit Beschluss vom 29.6.2007 erklärte sich die Zivilkammer für funktionell unzuständig und verwies den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen, die die Übernahme des Verfahrens ablehnte.

II.

Das Oberlandesgericht München ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen der Zivilkammer und der Handelskammer entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 26. Aufl. § 36 Rn. 29; Thomas/Putzo ZPO 28. Aufl. § 36 Rn. 21).

Zuständig ist die Kammer für Handelssachen. Das ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die Kammer für Handelssachen an den „Verweisungsbeschluss“ der Zivilkammer vom 29.6.2007 gebunden wäre. Denn bei der von der Zivilkammer ausgesprochenen „Verweisung“ handelt es sich der Sache nach, wie unten noch ausgeführt wird, um eine bloße Abgabe, der von vornherein keine Bindungswirkung zukommt.

1. Für die am 3.1.2006 eingegangene Klage ist die ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen entsprechend § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG gegeben.

a) Die Anfechtung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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ist gesetzlich nicht geregelt. Nach herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung erfolgt sie in entsprechender Anwendung von Vorschriften des Aktienrechts durch Anfechtungsklage, für die nach § 246 Abs. 3 Satz 1 AktG analog ausschließlich das Landgericht zuständig ist, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat (vgl. BGHZ 22, 101/105; Rowedder/Koppensteiner GmbHG 4. Aufl. § 47 Rn. 143; Baumbach/Hueck/Zöllner GmbHG 18. Aufl. Anh. § 47 Rn. 168; a.A. LG München I NJW-RR 1997, 291).

Durch den mit Wirkung vom 1.11.2005 eingefügten § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG wurde ferner festgelegt: „Ist bei dem Landgericht eine Kammer für Handelssachen gebildet, so entscheidet diese an Stelle der Zivilkammer.“ Damit wird die ausschließliche funktionelle Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen begründet mit der Folge, dass nur diese zur Entscheidung berufen ist. Andernfalls wäre die neu geschaffene Regelung des § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG überflüssig, denn die Verfahren nach § 246 Abs. 3 Satz 1 AktG waren bereits zuvor nach § 95 Abs. 2 GVG Handelssachen, die nach den Vorschriften der §§ 96 ff. GVG auf Antrag einer der Parteien vor die Kammer für Handelssachen gebracht werden konnten. Zudem nimmt die Begründung des Gesetzentwurfs ausdrücklich Bezug auf den wortgleichen § 132 Abs. 1 Satz 2 AktG, der eine ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen begründet (vgl. Hüffer AktG 7. Aufl. § 132 Rn. 6), ebenso wie § 142 Abs. 5 Satz 4 AktG und § 2 Abs. 2 SpruchG (vgl. Hüffer § 2 SpruchG Rn. 5; MünchKommAktG/Volhard § 2 SpruchG Rn. 4) und § 30 Abs. 1 Satz 2 FGG (Keidel/Meyer-Holz FGG 15. Aufl. § 30 Rn. 4).

b) Wie § 246 Abs. 3 Satz 1 AktG ist auch § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG entsprechend auf Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer GmbH anzuwenden: Beide Vorschriften verfolgen das Ziel der Konzentration von Anfechtungsklagen gegen Gesellschafterbeschlüsse, zum einen in örtlicher und sachlicher, zum anderen in funktioneller Hinsicht. Mit der verbindlichen Zuweisung dieser Verfahren an die Kammer für Handelssachen wird vor allem deren besondere Sachkunde nutzbar gemacht. Dieser Gesichtspunkt gilt in gleicher Weise für die Anfechtung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung einer Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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. Insoweit liegen im Gegensatz etwa zu der Befristung der Anfechtungsklage in § 246 Abs. 1 AktG keine Besonderheiten bei der GmbH vor, die einer entsprechenden Anwendung entgegenstünden. Es erscheint nur konsequent, die fast schon gewohnheitsrechtlich verfestigte Rechtsprechung zur entsprechenden Anwendung des § 246 Abs. 3 Satz 1 AktG auf die entsprechende Anwendung des § 246 Abs. 3 Satz 2 AktG auszudehnen.

2. Die Zivilkammer durfte sich von Amts wegen für unzuständig erklären und den Rechtsstreit an die Kammer für Handelssachen abgeben.

a) Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Kammer für Handelssachen und Zivilkammer ist keine Frage der sachlichen Zuständigkeit, sondern gesetzlich geregelte Geschäftsverteilung (Kissel/Mayer GVG 4. Aufl § 94 Rn. 2). In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (§ 13 GVG) sind die beiden Kammerarten gleichwertig. Deshalb findet die für die sachliche Zuständigkeit geltende Regelung des § 281 Abs. 1 ZPO, die eine Verweisung an das sachlich zuständige Gericht nur auf Antrag vorsieht mit der Folge, dass ohne Antragsstellung die Klage als unzulässig abzuweisen ist, im Verhältnis zwischen Zivilkammer und Kammer für Handelssachen keine Anwendung. §§ 97 ff. GVG enthalten spezielle Regelungen über die „Verweisung“ zwischen Kammer für Handelssachen und Zivilkammer, so dass die sonst übliche formlose Abgabe bei fehlender Zuständigkeit des Spruchkörpers nur vor Eintritt der Rechtshängigkeit zulässig ist, danach hingegen die bindende förmliche Verweisung nach §§ 97 ff GVG, diese aber auch von Amts wegen (vgl. Kissel/Mayer § 94 Rn. 8).

b) §§ 97 ff. GVG behandeln den Fall der ausschließlichen Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen jedoch nicht. Sie gehen vielmehr davon aus, dass auch für die in § 95 GVG genannten Handelssachen eine umfassende Zuständigkeit der Zivilkammer besteht, während die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen zusätzlich einen Antrag von Seiten des Klägers oder des Beklagten voraussetzt. Deshalb schließt § 98 Abs. 3 GVG die Verweisung von Amts wegen von Seiten der – allzuständigen – Zivilkammer aus, während die Kammer für Handelssachen eine Sache, für die sie nicht zuständig ist, nach § 97 Abs. 2 GVG auch von Amts wegen an die allzuständige Zivilkammer verweisen kann. Im Fall einer ausschließlichen Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen besteht die umfassende Zuständigkeit der Zivilkammer aber gerade nicht. Auch fehlt es an der von §§ 94 ff. GVG vorausgesetzten Gleichwertigkeit beider Kammerarten, soweit der Gesetzgeber durch die Festlegung einer ausschließlichen Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen die Entscheidungsbefugnis auch der Zivilkammer gerade ausgeschlossen hat (vgl. zur ausschließlichen Zuständigkeit für Handelssachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit: Kissel/Mayer § 94 Rn. 5). Eine entsprechende Anwendung der §§ 97 ff. GVG auf den dort nicht geregelten Fall der ausschließlichen Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen kommt deshalb nicht in Betracht.

c) Die funktionell unzuständige Zivilkammer kann den Rechtsstreit, für den eine ausschließliche Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen besteht, von Amts wegen formlos an diese abgeben (vgl. MünchKommAktG/Volhard § 2 SpruchG Rn. 4 für die gleichlautende Regelung in § 2 SpruchG). Da, wie dargelegt, die speziellen Vorschriften über die Verweisung eines Rechtsstreits zwischen Zivilkammer und Handelskammer den hier erörterten Fall einer ausschließlichen Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen nicht erfassen, verbleibt es insoweit bei dem allgemeinen Grundsatz, dass zwischen verschiedenen Spruchkörpern desselben Gerichts die formlose Abgabe das Gegebene ist, um die Sache an den nach der – hier gesetzlich geregelten – Geschäftsverteilung zuständigen Spruchkörper zu bringen. Der fortgeschrittene Verfahrensstand schließt die Abgabe – auch bei etwaiger anderer Regelung in der Geschäftsverteilung des Landgerichts – nicht aus; denn die vom Gesetzgeber vorgenommene Zuständigkeitsregelung ist zwingend und kann weder durch die Geschäftsverteilung des Gerichts abweichend geregelt noch aus Gründen der Prozessökonomie im Einzelfall außer Acht gelassen werden. Im Übrigen trifft es nicht zu, wenn die Klägerin geltend macht, sie würde „an den Beginn des Prozesses zurückversetzt“. Das Verfahren geht im jeweiligen Verfahrensstadium über; alle bisherigen Prozesshandlungen bleiben wirksam.

d) Welche Kammer für Handelssachen des Landgerichts München I zuständig ist, richtet sich nach dessen Geschäftsverteilung.

Schlagworte: allgemeiner Gerichtsstand am Sitz der GmbH, funktionale Zuständigkeit, Gerichtliche Zuständigkeit für Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen, grundsätzliche sachliche Zuständigkeit, örtliche Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, Zuständigkeit der Gerichte