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OLG München, Urteil vom 14.03.2012 – 7 U 681/11

BGB § 626; AktG § 84

1. Als wichtige Gründe in Sinne des § 84 Abs. 3 S. 1, 2 AktG nennt das Gesetz „namentlich“ grobe PflichtverletzungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
grobe Pflichtverletzung
Pflichtverletzung
, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung oder Vertrauensentzug durch die Hauptversammlung. Diese Aufzählung ist aber nach allgemeiner Auffassung nicht abschließend (vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl., § 84 Rz. 27 m. Nachw.). Als Abberufungsgrund ist in Rechtsprechung und Literatur ein Verstoß des Vorstandsmitglieds gegen das Gebot der unbedingten Offenheit gegenüber dem Aufsichtsrat anerkannt (vgl. BGH, Urteil vom 26.3.1956 – II ZR 57/55 – BGHZ 20, 239 ff., zitiert nach juris, dort Rz. 23; Hüffer, a.a.O., § 84 Rz. 28; MünchKomm/Spindler, AktG, 3. Aufl., § 84 Rz. 120).

2. Der Grundsatz der unbedingten Offenheit des Vorstands folgt aus dem Gedanken, dass das Verhältnis zwischen Vorstand und Aufsichtsrat auf gegenseitigem Vertrauen beruhen muss (BGH, a.a.O., Rz. 23). Daraus folgt, dass ein Vorstandsmitglied abberufen werden kann, wenn das notwendige Vertrauen des Aufsichtsrats zerstört ist (BGH, a.a.O., Rz. 36).

3. Bei einem bereits angeschlagenem Vertrauensverhältnisses zwischen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat obliegt es dem Vorstand, durch die schleunige Beantwortung legitimer (§ 90 AktG) Auskunftsverlangen das Vertrauensverhältnis zum Aufsichtsrat wieder herzustellen bzw. zu festigen.

4. Ein nachhaltig gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen dem Vorstand und dem Aufsichtsrat macht es für die Gesellschaft unzumutbar, die Organstellung des Vorstands bis zu ihrem regulären Ende fortdauern zu lassen; diese Unzumutbarkeit ist Voraussetzung für einen Widerruf der Vorstandsbestellung (vgl. Hüffer, a.a.O., § 84 Rz. 26; MünchKomm/Spindler, a.a.O., § 84 Rz. 116). Es kann dahinstehen, ob für diese Zumutbarkeitswertung nur auf die Interessen der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Interessen der Gesellschaft
abzustellen ist (so z.B. MünchKomm/Spindler, a.a.O., § 84 Rz. 117) oder ob auch die berechtigten Interessen des Vorstandsmitglieds mit einzufließen haben (so z.B. Hüffer, a.a.O., § 84 Rz. 26).

5. Im ursprünglichen Widerrufsbeschluss nicht genannte Gründe können „nachgeschoben“ werden, wenn für diese Gründe nachträglich ein wirksamer Aufsichtsratsbeschluss gefasst wird (vgl. MünchKomm/Spindler, a.a.O., § 84 Rz. 118).

6. Es ist allgemein anerkannt, dass ein wichtiger Grund für den Widerruf der Organbestellung zwar häufig, aber nicht zwingend auch die fristlose Kündigung des Vorstandsdienstvertrages rechtfertigen wird. § 626 Abs. 1 BGB ist vielmehr selbständig aus sich selbst heraus auszulegen, wobei zu prüfen ist, ob ein für den Widerruf der Bestellung ausreichender wichtiger Grund es rechtfertigt, dem Abberufenen auch die sozialen Folgen der Beendigung der Vorstandsstellung aufzuerlegen, ihm insbesondere seine Vergütungsansprüche aus dem Dienstvertrag zu nehmen (vgl. MünchKomm/Spindler, a.a.O., § 84 Rz. 166; Hüffer, a.a.O., § 84 Rz. 39, 40).

7. Grundsätzlich, aber nicht ausnahmslos, ist die Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ein wichtiger Grund zur sofortigen Lösung des Vorstandsdienstvertrags (BGH vom 26.3.1956, a.a.O., Rz. 44). Eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses kann die fristlose Kündigung des Vorstandsdienstvertrags jedenfalls dann nicht rechtfertigen, wenn sie zumindest auch auf das Verhalten des Aufsichtsrats bzw. seiner Mitglieder zurückzuführen ist.

8. Die zweiwöchige Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte Kenntnis vom Kündigungsgrund erlangt (§ 626 Abs. 2 S. 2 BGB). Kündigungsberechtigter ist der Aufsichtsrat der Gesellschaft (§ 112 AktG). Erforderlich für den Fristbeginn ist dabei die Kenntniserlangung durch den Aufsichtsrat als Gremium in dieser Eigenschaft, die Kenntniserlangung durch den Vorsitzenden oder einzelne Mitglieder außerhalb von Aufsichtsratssitzungen genügt nicht für die Auslösung der Frist (vgl. BGH, Urteil vom 10.9.2001 – II ZR 14/00 – WM 2001, 2118 ff., zitiert nach juris, dort Rz. 11; MünchKomm/Spindler, a.a.O., § 84 Rz. 160).

9. Der Vorsitzende ist dann aber gehalten, binnen eines angemessen kurzen Zeitraums eine Aufsichtsratssitzung einzuberufen. Tut er dies nicht, beginnt die Zweiwochenfrist mit Ablauf des angemessen kurzen Zeitraums (vgl. MünchKomm/Spindler, a.a.O.; in diese Richtung auch BGH, Urteil vom 5.4.1990 – IX ZR 16/89 – WM 1990, 1028 ff., zitiert nach juris, dort Rz. 18).

10. Wird dem Vorstandsmitglied durch die unberechtigte Kündigung die Möglichkeit genommen, seine Dienstleistung zu erbringen, bleibt sein Vergütungsanspruch erhalten (vgl. § 615 BGB; Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl., § 615 Rz. 13 m. Nachw.).

11. Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten (§ 76 Abs. 1 AktG). Dabei muss ihm ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken auch die Gefahr von Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen, der jeder Unternehmensleiter, mag er auch noch so verantwortungsbewusst sein, ausgesetzt ist (vgl. BGH, Urteil vom 21.4.1992 – II ZR 175/95 – BGHZ 135, 244 ff., zitiert nach juris, dort Rz. 22).

Schlagworte: Abberufung, Aufsichtsrat, Bestellung zum Geschäftsführer, Ermessensspielraum, Interessenabwägung, Kündigung, nachhaltige Weigerung der Einsicht in Geschäftsunterlagen oder Auskunft, Nachschieben von Gründen, überprüfbares Ermessen, Vergütung, Vertrauensentzug, Vorstand, Wichtiger Grund, Widerruf