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OLG Naumburg, Urteil vom 06.05.2011 – 5 U 94/10 (Hs)

HGB §§ 105 ff., 161 ff.

1. Eine Publikumsgesellschaft ist eine Personengesellschaft, in der Regel und wie vorliegend eine GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
GmbH
GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
, die zur Kapitalsammlung eine unbestimmte Vielzahl rein kapitalistisch beteiligter Anlagegesellschafter, entweder unmittelbar als Kommanditisten oder mittelbar über einen Treuhandkommanditisten, der den Anteil für den Anleger hält, aufgrund eines fertig formulierten Gesellschaftsvertrages aufnehmen soll (Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl., Anh. § 177a HGB Rn. 52; Grunewald, in: Münchener Kommentar, HGB, 2. Aufl., § 161 HGB Rn103, 105). Dabei wird ein Kreis von etwa 50 Gesellschaftern bzw. Anlegern als ausreichend für die Annahme einer Publikumsgesellschaft angesehen (BGH, NJW 1975, 1318).

2. Gesellschaftsverträge von Publikumsgesellschaften sind objektiv auszulegen (BGH, NJW 1978, 755; ZIP 2006, 754; ZIP 2007, 812; Hopt, a. a. O., Anh. § 177a HGB Rn. 67). Damit ist gemeint, dass bei der Ermittlung des Vertragsinhalts nicht auf das individuelle Verständnis und die besonderen Vorstellungen der Gründer abgestellt werden soll, sondern nur Umstände zu berücksichtigen sind, die für jeden Dritten erkennbar sind. Demgemäß wird dem Wortlaut eine erhöhte Bedeutung beigemessen. Das schließt aber eine am System des Vertrages orientierte Interpretation ebenso wenig aus, wie eine am Ziel der Gesellschaft ausgerichtete Auslegung. Der Unterschied zu den allgemeinen Auslegungsregeln für Gesellschaftsverträge liegt also nur darin, dass das individuelle Verständnis der Gründer bei der Ermittlung dieser Auslegungskriterien nicht berücksichtigt wird (BGH, NJW 1978, 755; Grunewald, a. a. O., § 161 HGB Rn. 110; Ulmer, in: Staub, HGB, 4. Aufl., § 105 HGB Rn. 201). Daher ist die Vorgeschichte des Vertrages, die typischerweise nur den Gründern bekannt ist, ebenso wenig beachtlich, wie die Vorstellung von Personen, die lediglich an der Abfassung des Vertrages mitgewirkt haben, aber nicht Gesellschafter geworden sind (BGH, NJW-RR 1990, 99; Grunewald, a. a. O., § 161 HGB Rn. 110). Die objektive Auslegung gilt auch dann, wenn eine Berücksichtigung der individuellen Vorstellungen der Gründer für die Gesellschafter günstiger wäre (Grunewald, a. a. O., § 161 HGB Rn. 110).

3. Damit der geänderte Gesellschaftsvertrag einer Publikumsgesellschaft die Grundlage für den Beitritt weiterer Gesellschafter bilden kann, ist die Änderung in den schriftlich vorliegenden Gesellschaftsvertrag einzuarbeiten. Unterbleibt dies, wie im vorliegenden Fall, so liegt ein gewichtiges Indiz dafür vor, dass die Gesellschafter sich nicht für die Zukunft, sondern nur im konkreten Einzelfall binden wollten (BGH, WM 1990, 714). Erst die Anmeldung des neuen Wortlauts zum Handelregister wäre ein Indiz für eine Vertragsänderung gewesen (Grunewald, a. a. O., § 161 HGB Rn. 116).

4. Bei Publikumsgesellschaften kommt eine formlose Änderung des Gesellschaftsvertrags durch eine mehrjährige, vom Vertrag abweichende Übung nur in Ausnahmefällen in Betracht. Zwar besteht bei Personenhandelsgesellschaften, die dem gesetzlichen Leitbild entsprechen, eine tatsächliche Vermutung, dass die Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag abgeändert haben, wenn sie vorbehalt- und widerspruchslos eine in einem bestimmten Punkt vom Gesellschaftsvertrag abweichende Praxis lange Zeit hingenommen haben. Dieser Grundsatz lässt sich jedoch auf eine Publikumsgesellschaft nicht übertragen. Wird der schriftlich vorliegende Gesellschaftsvertrag nicht an die mehrjährige abweichende Übung angepasst, so besteht keine tatsächliche Vermutung dafür, dass der Gesellschaftsvertrag mit Wirkung für die Zukunft abgeändert werden sollte. Vielmehr liegt ein gewichtiges Indiz dafür vor, dass es sich um mehrfach erneuerte Entscheidungen im Einzelfall handelt (BGH, WM 1990, 714).

5. Allerdings folgt aus diesen Grundsätzen, dass eine Durchbrechung des Gesellschaftsvertrages durch Beschluss der Gesellschafter im Einzelfall auch bei Publikumsgesellschaften möglich ist, weil sie später beitretende Gesellschafter nicht bindet (BGH, WM 1990, 714).

6. Bei Satzungsdurchbrechungen mit Dauerwirkung ist die Einhaltung der gesellschaftsvertraglich vorgeschriebenen Form erforderlich (BGH, NJW 1993, 2246).

7. Der Ausschluss des Stimmrechts kraft Interessenkonflikts ist Ausdruck eines allgemeinen, rechtsformübergreifenden Prinzips, das auch für die Kommanditgesellschaft Anwendung findet. Das Stimmverbot gilt, wenn aufgrund typisierender Beurteilung die Gefahr besteht, der betreffende Gesellschafter werde außerstande sein, sich bei der Abstimmung allein von dem Gesellschaftsinteresse und nicht von Sonderinteressen leiten lassen (Goette, in: Ebenroth, Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 119 HGB Rn. 119; Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl., § 119 HGB Rn. 8). Das Prinzip des Verbots des Richtens in eigener Sache verbietet es jedenfalls, dass ein Beschluss, der sich für einen Gesellschafter als nachteilig darstellt, von dessen Zustimmung abhängt, soweit dies nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, etwa in § 34 Abs. 2 GmbHG für die Einziehung von GeschäftsanteilenBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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8. Soweit im Falle der Aktiengesellschaft gemäß § 242 Abs. 2 AktG und der Gesellschaft mit beschränkter HaftungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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entsprechend § 242 Abs. 2 AktG die Eintragung eines nichtigen Beschlusses in das Handelsregister nach Ablauf einer Dreijahresfrist ohne gerichtliche Anfechtung des Beschlusses die Wirkung hat, die Nichtigkeit zu heilen (BGHZ 80, 212), gilt dies für die Personengesellschaften nicht. Zwar sind entsprechend § 107 HGB und § 143 Abs. 2 HGB der Eintritt und der Austritt eines Komplementärs der Kommanditgesellschaft in das Handelsregister einzutragen. Dies hat allerdings nur deklaratorische Bedeutung (Grunewald, a. a. O., § 162 HGB, Rn. 13 und 15).

9. Die sich gemäß § 15 HGB aus dem Handelsregister ergebende Publizität schützt nur Dritte, nicht aber diejenigen, die an der – gegebenenfalls – fehlerhaften Beschlussfassung beteiligt waren.

10. Zwar hat gemäß § 125 Satz 2 BGB der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form im Zweifel Nichtigkeit zur Folge. Aber wegen des gemeinsamen Bestandsinteresses der Gesellschafter und wegen der Häufigkeit von Gesellschaftsvertragsänderungen ist die Form der Vertragsänderung in der Regel nicht Gültigkeitsvoraussetzung. Sie hat vielmehr nur Klarstellungs- und Beweisfunktion (BGHZ 49, 365 zu einer Schriftformklausel im Gesellschaftsvertrag einer oHG). Für die Kommanditgesellschaft, auch in Gestalt einer Publikumsgesellschaft, gilt nichts anderes.

11. Das Vertragswerk einer körperschaftlich strukturierten Publikumsgesellschaft unterliegt der Inhaltskontrolle nach § 242 BGB. Gemessen an den anzuwendenden Grundsätzen von Treu und Glauben darf die Abberufung eines Geschäftsführers, der selbst Gesellschafter ist, nicht durch qualifizierte Mehrheiten erschwert werden (BGH, ZIP 1988, 22; ZIP 1982, 692).

12. Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung liegt nicht vor bei Maßnahmen, welche das Unternehmen retten sollen, bzw. wenn die Mittel nicht für eigene oder gesellschaftsfremde Zwecke verwendet werden (BGH, ZIP 2008, 1329).

13. Zu versuchen, akut werdende Haftungsrisiken durch zulässige gesellschaftsrechtliche Veränderungen im Unternehmensverbund aufzufangen, ist im Geschäftsverkehr weithin üblich. Dass hierbei im Ergebnis insolvenzreife, „zu bestattende“ Gesellschaften zurückbleiben, entspricht einer verbreiteten Praxis. Dies ist weder allgemein noch im konkreten Falle anstößig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB.

14. Ein Gesellschafter haftet aus § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung unter dem Gesichtspunkt einer Existenzvernichtungshaftung der Gesellschaft für missbräuchliche, zur Insolvenz der GmbH führende oder diese vertiefende kompensationslose Eingriffe in das der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienende Gesellschaftsvermögen (BGHZ 173, 246; 176, 204; 179, 344). Eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Existenzvernichtung gemäß § 826 BGB berechtigt allerdings nicht den Gesellschaftsgläubiger, sondern nur die „vernichtete“ Gesellschaft, und zwar gegen ihre eigenen Gesellschafter (BGHZ 173, 246 [Trihotel]).

15. Gemäß § 30 GmbHG darf das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen der Gesellschaft an die Gesellschafter nicht ausgezahlt werden. Zwar ist unter Auszahlung im Sinne des § 30 GmbHG nicht allein eine Geldleistung zu verstehen, sondern u. a. auch die bloß tatsächliche Aufgabe oder unterlassene Durchsetzung einer Forderung (BGH, NJW 1993, 1922).

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