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OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.11.2012 – 14 U 39/12

§ 781 BGB, § 42 Abs 1 GmbHG, § 46 Nr 8 GmbHG, § 246 Abs 1 HGB, § 252 Abs 1 Nr 4 HGB

1. Zur Darlegungs- und Beweislast sowie zur Beweisführung im Rahmen der Beschlussanfechtungs-/-nichtigkeitsklage im Recht der GmbH bei Streit darüber, wie in der Gesellschafterversammlung abgestimmt worden ist.

Der Kläger trägt die Beweislast, behauptet er im Rahmen einer Beschlussanfechtungsklage, das Abstimmungsergebnis sei unrichtig festgestellt, etwa die Stimmen seien falsch gezählt worden (s. z. B. Großkommentar zum GmbHG/Raiser, 1. Aufl., Anh. § 47 Rn. 246 m. w. N.; Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 243 Rn. 272).

2. Eine lediglich die Willensbildung betreffende Fehlvorstellung bei der Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung einer GmbH bleibt nach den hierauf anwendbaren bürgerlich-rechtlichen Vorschriften und Grundsätzen insbesondere über die Auslegung und die Anfechtbarkeit von Willenserklärungen wie auch nach der Geschäftsgrundlagenlehre im Regelfall rechtlich bedeutungslos, selbst wenn die Fehlvorstellung vor der Stimmabgabe den übrigen in der Gesellschaftversammlung anwesenden Gesellschaftern offenbar wurde, ohne dass diese sich dazu äußerten.

In dem Umstand, dass sich eine Erwartung im weiteren Fortgang nicht erfüllte, liegt allenfalls eine die Willensbildung betreffende Fehlvorstellung, die nach den auf die Stimmabgabe voll anwendbaren bürgerlich-rechtlichen Vorschriften und Grundsätzen insbesondere über die Auslegung und die Anfechtbarkeit von Willenserklärungen (s. nur Zöllner, in: Baumbach/Hueck, a.a.O., § 47 Rn. 8; vgl. auch Großkommentar zum GmbHG/Hüffer, 1. Aufl., § 47 Rn. 41) wie auch nach der Geschäftsgrundlagenlehre rechtlich bedeutungslos bleibt (s. zur Unbeachtlichkeit einer sich auf Umstände bei der Willensbildung beziehenden Fehlvorstellung nur etwa Staudinger/Singer, BGB, Neubearb. 2011, Vorbem zu §§ 116 ff Rn. 32, § 119 Rn. 1 ff.). Hieran änderte sich selbst für den Fall nichts, dass der Steuerberater seine Fehlvorstellung bereits bei der Abstimmung über TOP 1 und 4 den drei anwesenden Gesellschaftern in einer Weise zum Ausdruck gebracht haben sollte, dass diese die damit verbundene Erwartung erkannten, ohne sich dazu zu äußern. Das Risiko des Nichtzutreffens dieser Erwartung verblieb selbst bei einer solchen Sachlage bei dem Steuerberater R. und dem von ihm vertretenen Kläger (vgl. etwa Staudinger/Singer, BGB, Neubearb. 2011, § 119 Rn. 52 am Ende; Giesen, JR 1971, 403, 406), zumal der Steuerberater nach seinen eigenen Angaben (s. S. 5 oben des Sitzungsprotokolls vom 05.07.2012) im Bewusstsein dieses Risikos über TOP 1 und 4 abstimmte.

3. Der Verstoß gegen eine bestehende Verpflichtung, Forderungen in der Bilanz zu aktivieren, kann die Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit eines Beschlusses über die Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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einer GmbH zur Folge haben.

Ein inhaltlicher Mangel des Beschlusses über die Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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, der zur Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit des Beschlusses führen kann, kann in einem Verstoß gegen bilanzrechtliche Vorschriften liegen, worunter u.a. das Weglassen von Passivposten zu rechnen sein kann (s. nur etwa K. Schmidt, in: Scholz, GmbHG, § 46 Rn. 37, 39; vgl. auch Wertenbruch, in: MüKo-GmbHG, 1. Aufl., § 47 Anh. Rn. 137). Ein Verstoß gegen die bilanzrechtliche Pflicht, Forderungen – sind sie hinreichend sicher und konkretisiert – zu aktivieren (§ 42 Abs. 1 GmbHG i. V. m. §§ 246 Abs. 1, 252 Abs. 1 HGB; vgl. etwa Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 246 Rn. 3; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., § 246 Rn. 11, § 252 Rn. 20), kann demgemäß die Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit auch eines Beschlusses über die Feststellung eines Jahresabschlusses zur Folge haben.

4. Die Qualifizierung der einvernehmlichen Feststellung des JahresabschlussesBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Feststellung des Jahresabschlusses
einer GmbH als abstraktes Schuldanerkenntnis oder als Feststellungsvertrag im Sinne eines deklaratorischen („kausalen“) Anerkenntnisses hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab. Kausale Feststellungswirkung kann einer solchen Feststellungswirkung aber allenfalls hinsichtlich solcher Ansprüche der Gesellschaft gegen ihre Gesellschafter-Geschäftsführer zukommen, die zum Zeitpunkt der FeststellungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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den Gesellschaftern bekannt waren oder die sie zumindest für möglich hielten.

Zwar bildeten die Feststellungen der Jahresabschlüsse die Grundlage für die Tantiemezahlungen an die Geschäftsführer, die in den Jahren 2007 bis 2009 erfolgt sind (vgl. etwa Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 29 Rn. 83; Haas, in: Baumbach/Hueck, a.a.O., § 42 a Rn. 14; Zöllner, in: Baumbach/Hueck, a.a.O., § 46 Rn. 9; Verse, in: Scholz, GmbHG, 11. Aufl., § 29 Rn. 138; Müller, in: Festschrift für Quack, 1991, S. 359, 360), ohne dass es darauf ankäme, ob sie abstrakte Schuldanerkenntnisse darstellten (für eine solche Einordnung etwa BGH, BB 1960, 188Tz. 15 ff.; Müller, Festschrift für Quack, 1991, S. 359, 360; kritisch Habersack, in: Müko-BGB, 5. Aufl., § 781 Rn. 22 ff.; offen jetzt BGH, NZG 2009, 659Tz. 15). Der Umstand, dass die vorgenommenen Tantiemezahlungen in den Anstellungsverträgen der Geschäftsführer keine vollständige Deckung fanden, begründete jedoch – was ggf. zumindest dessen Anfechtbarkeit begründen könnte (vgl. etwa Haas, in: Baumbach/Hueck, a.a.O., § 42 a Rn. 25 ff., 33; Wertenbruch, in: MüKo-GmbHG, 1. Aufl., § 47 Anh. Rn. 137 f.) – weder einen Verstoß der Feststellungsbeschlüsse gegen gesetzliche Bestimmungen noch gegen den hier maßgebenden Gesellschaftsvertrag, ebenso wenig gegen sonstige gesellschaftsrechtliche Vorgaben wie insbesondere die gesellschaftsrechtliche TreuepflichtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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. Auch liegt ein inhaltlicher Mangel nicht darin, dass die Jahresabschlüsse etwaige Rückforderungsansprüche der Gesellschaft wegen von den Anstellungsverträgen der Geschäftsführer nicht gedeckter Tantiemezahlungen nicht berücksichtigten, schon weil es – wie unten unter 3 a noch näher auszuführen ist – insoweit an einem nach § 46 Nr. 8 GmbHG erforderlichen Beschluss fehlte. Etwaige, nur die Anfechtbarkeit begründende Mängel wären im Übrigen schon deshalb unerheblich, weil eine Beschlussanfechtung insoweit nicht erfolgt ist.

5. Zu den Voraussetzungen verbindlicher Beschlussfeststellung bei der GmbH.

Die Feststellung eines Beschlussergebnisses erfordert ein förmliches Festhalten desselben, durch das die Unsicherheit darüber beseitigt werden soll, ob ein wirksamer Beschluss gefasst wurde; erfüllt ist diese Voraussetzung stets, wenn ein ordnungsgemäß berufener Versammlungsleiter diese Feststellung trifft (vgl. BGH, NJW-RR 2008, 706Tz. 24; Wertenbruch, in: MüKo-GmbHG, 1. Aufl., § 47 Anh. Rn. 159). So war es hier, haben doch, wie der als Zeuge vernommene Steuerberater R. angegeben hat, der Gesellschafter M. H. die Gesellschafterversammlung geleitet und der Gesellschafter L. die Beschlussergebnisse in der Gesellschafterversammlung jeweils ausdrücklich bekanntgegeben. Dafür, dass der Gesellschafter H. in der Funktion als Versammlungsleiter nicht im Einvernehmen aller anwesenden Gesellschafter sowie des Zeugen R. tätig geworden wäre, fehlt jeder Anhaltspunkt. Damit aber lag eine verbindliche Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter vor, der hier – wenn nicht schon von vornherein als solcher bestimmter, so doch – zumindest aufgrund eines ad hoc zustande gekommenen – auch schlüssig möglichen (vgl. Wertenbruch, in: MüKo-GmbHG, 1. Aufl., § 47 Anh. Rn. 165) – Einvernehmens aller Anwesenden als Versammlungsleiter tätig wurde (vgl. etwa Liebscher, in: MüKo-GmbHG, 1. Aufl., § 48 Rn. 107) und dem zudem die Beschlussfeststellungskompetenz jedenfalls gerade deshalb zustand, weil er im allseitigen Einvernehmen tätig wurde und unwidersprochen Beschlussfeststellungen vornahm (vgl. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, a.a.O., Anh § 47 Rn. 120). Dementsprechend oblag dem Gesellschafter M. H. auch die Aufgabe, das Protokoll zu führen (vgl. Liebscher, in: MüKo-GmbHG, 1. Aufl., § 48 Rn. 130), der er nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nachkam, wenn es auch der Gesellschafter L. war, der – allerdings offenbar nur zur Vorbereitung der Protokollerstellung – entsprechende Notizen während der Gesellschafterversammlung anfertigte (s. die Anlage zum Protokoll vom 05.07.2012, Bl. 58 d. A.) und den der Steuerberater R. in seiner Zeugeneinvernahme deshalb als Protokollführer bezeichnete. Dass es ebenfalls der Gesellschafter L. war, der die Beschlussergebnisse in der Gesellschafterversammlung jeweils ausdrücklich bekanntgab, dürfte gerade darauf beruhen, dass er die erwähnten vorläufigen Aufzeichnungen für das Protokoll fertigte; jedenfalls erfolgten die Bekanntgaben in Anwesenheit und mit Billigung des Versammlungsleiters, so dass aus rechtlicher Sicht dieser selbst die Beschlussfeststellung vornahm.

6. Eine bilanzielle Aktivierung von Rückzahlungsansprüchen einer GmbH gegen ihre Gesellschafter-Geschäftsführer wegen überzahlter und an die Gesellschaft zurückzuerstattender Tantiemen kommt nicht in Betracht, solange der nach § 46 Nr. 8 GmbHG erforderliche Beschluss nicht gefasst ist.

In Frage stehenden Rückzahlungsansprüche waren in der Bilanz schon deshalb nicht zu aktivieren, weil es zu ihrer Geltendmachung nach § 46 Nr. 8 GmbHG eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung bedurfte, der hier nicht gefasst wurde und noch immer nicht gefasst ist, und weil dieser Umstand der Aktivierung in der Bilanz entgegensteht.

Schlagworte: Aktivierungspflicht, Anerkenntnis, Beschlussfeststellungskompetenz, Darlegungs- und Beweislast, Festgestelltes Beschlussergebnis Anfechtungsklage, Feststellung des Beschlussergebnisses, Förmliche Beschlussfeststellung, Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG, Gewinnabhängige Tantieme, Jahresabschluss, Schuldanerkenntnis, Tantiemevereinbarungen, Versammlungsleiter, Vorläufig verbindliche Feststellungen der Beschlussergebnisse durch Versammlungsleitung