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OLG Stuttgart, Urteil vom 25.11.2009 – 20 U 5/09

§ 71 Abs 2 S 2 AktG, § 71 Abs 4 AktG, § 71c AktG, § 93 Abs 2 AktG, § 93 Abs 3 AktG, § 93 Abs 6 AktG, § 272 Abs 4 HGB, § 200 BGB, § 203 BGB, § 204 Abs 1 Nr 2 BGB, § 242 BGB, § 254 BGB, § 255 BGB, § 531 Abs 2 S 1 Nr 1 ZPO, § 531 Abs 2 S 1 Nr 2 ZPO, § 531 Abs 2 S 1 Nr 3 ZPO

1. In einem gegen ein Vorstandsmitglied nach § 93 AktG geführten Schadensatzprozess hat die Gesellschaft nur ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Vorstandsmitglieds, den Eintritt und die Höhe des entstandenen Schadens sowie die Kausalität zwischen Vorstandshandeln und Schaden darzulegen und zu beweisen.

Steht ein Sondertatbestand nach § 93 Abs. 3 AktG in Rede, so wird bei einem der dort näher bezeichneten Pflichtverstöße vermutet, dass der Gesellschaft ein Schaden in Höhe der abgeflossenen Mittel entstanden ist. Das Vorstandsmitglied kann sich in diesem Falle nur durch den Nachweis entlasten, dass eine Schädigung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Schädigung der Gesellschaft
nicht mehr möglich ist, weil der abgeflossene Betrag dem Gesellschaftsvermögen endgültig wieder zugeführt ist.

In einem gegen ein Vorstandsmitglied nach § 93 AktG geführten Schadensatzprozess hat die Gesellschaft nur ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Vorstandsmitglieds, den Eintritt und die Höhe des entstandenen Schadens sowie die Kausalität zwischen Vorstandshandeln und Schaden darzulegen und zu beweisen (vgl. nur BGHZ 152, 280, 284; Fleischer in Spindler/Stilz, AktG § 93Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
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AktG § 93
Rn. 208; Krieger/Sailer in Schmidt/Lutter, AktG § 93Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Rn. 31, MünchKommAktG/Spindler 3. Aufl. § 93 Rn. 167, jeweils m.w.Nachw.). Insbesondere ist es hinreichend, wenn die Gesellschaft einen Sachverhalt vorträgt, aus dem sich mindestens die Möglichkeit eines pflichtwidrigen Organhandelns ergibt (vgl. BGH ZIP 2007, 322, 325; Goette, ZGR 1995, 648, 673 f.; Fleck, GmbHR 1997, 237, 239; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber,.AktG § 93Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
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AktG § 93
Rn. 26). Steht ein Sondertatbestand nach § 93 Abs. 3 AktG in Rede, so wird bei einem der dort näher bezeichneten Pflichtverstöße darüber hinaus vermutet, dass der Gesellschaft ein Schaden in Höhe der abgeflossenen Mittel entstanden ist (Fleischer in Spindler/Stilz aaO § 93 Rn. 214; MünchKommAktG/Spindler aaO § 93 Rn. 167, 193). Dies stellt eine Modifizierung der sonst im Schadensersatzrecht geltenden Gesamtvermögensbetrachtung dar (vgl. Großkomm.z.AktG/Hopt 4. Aufl. § 93 Rn. 235). Das Vorstandsmitglied kann sich nur durch den Nachweis entlasten, dass eine Schädigung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Gesellschaft
Schädigung der Gesellschaft
nicht mehr möglich ist, weil der abgeflossene Betrag dem Gesellschaftsvermögen endgültig wieder zugeführt ist (MünchKommAktG/Spindler aaO § 93 Rn. 193; Großkomm.z.AktG/Hopt aaO).

3. Das in Anspruch genommene Vorstandsmitglied hat darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass es seiner Sorgfaltspflicht genügt hat oder dass es kein Verschulden trifft.

Demgegenüber hat das in Anspruch genommene Vorstandsmitglied darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass es seiner Sorgfaltspflicht genügt hat oder dass es kein Verschulden trifft (vgl. Fleischer in Spindler/Stilz aaO § 93 Rn. 209). Insoweit unterscheidet der Wortlaut des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG nicht zwischen objektiver Pflichtwidrigkeit (Rechtswidrigkeit) und subjektiver Pflichtwidrigkeit (Schuld) (vgl. MünchKommAktG/Spindler aaO; Fleischer in Spindler/Stilz aaO). Diese Darlegungs- und Beweislastregeln gelten ebenso, wenn dem Vorstandsmitglied das pflichtwidrige Unterlassen einer bestimmten Maßnahme vorgeworfen wird (vgl. BGHZ 152, 280, 284 f.; Fleischer in Spindler/Stilz aaO). Sie greifen insbesondere auch für ausgeschiedene Vorstandsmitglieder ein (vgl. BGHZ 152, 280, 285; Fleischer in Spindler/Stilz aaO § 93 Rn. 211; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG § 93Bitte wählen Sie ein Schlagwort:
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AktG § 93
Rn. 29). Soweit das ehemalige Organmitglied keinen Zugang zu den Gesellschaftsunterlagen mehr hat, muss ihm die Gesellschaft Einsicht in die maßgeblichen Unterlagen gewähren (vgl. BGHZ 152, 280, 285; Fleischer in Spindler/Stilz aaO § 93 Rn. 211).

4. Es stellt eine originäre Pflicht des Vorstandsmitglieds dar, im Einzelfall fehlende eigene Sachkunde durch Einholung des Rates eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers zu kompensieren und diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß zu informieren. Hinsichtlich der spezifischen Sachkunde des Berufsträgers hat sich das Vorstandsmitglied bei der Auswahlentscheidung selbst zu vergewissern.

Bei fehlender eigener Sachkunde verletzt ein Gesellschaftsorgan Pflichten nur dann nicht schuldhaft, wenn es zur Klärung der anstehenden Fragen den Rat eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers einholt, diesen über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß informiert und nach eigener Plausibilitätskontrolle der ihm daraufhin erteilten Antwort dem Rat folgt (vgl. BGH ZIP 2007, 1265, 1266 f.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Denn zum einen hat der Beklagte nicht dargelegt, er habe dem Streithelfer anlässlich des Telefongesprächs vom 14. November 2001 sämtliche für eine fiktive Rücklagenbildung zum maßgeblichen Stichtag des beabsichtigten Aktienerwerbs relevanten Umstände unterbreitet; dies aber wäre auch dann nicht entbehrlich gewesen, wenn der Streithelfer die Zulässigkeit eines früheren Aktienerwerbs geprüft gehabt hätte. Zum anderen waren in diesem Zusammenhang – auch für den Beklagten ersichtlich – Fragen zu klären, die ohne die Auskunft eines Wirtschaftsprüfers – hilfsweise Steuerberaters – durch einen Rechtsanwalt nicht abschließend beantwortet werden konnten. Klärungsbedürftig war die Frage, ob bei der Klägerin zum Zeitpunkt des jeweils beabsichtigten Aktienerwerbs entsprechende Rückstellungen gebildet werden könnten. Zwar kann ein Rechtsanwalt die rechtlichen Rahmenbedingungen des § 71 Abs. 2 Nr. 2 AktG aufzeigen. Die Würdigung, ob die (fiktive) Rücklagenbildung unter den Voraussetzungen des § 272 Abs. 4 HGB möglich gewesen wäre, hätte jedoch nur ein mit der Vermögenssituation der Gesellschaft vertrauter Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater in hinreichendem Maße beantworten können.

Da es eine originäre Pflicht des Vorstandsmitglieds im Zuge der Erfüllung seiner Aufgaben als Leitungsorgan darstellt, im Einzelfall fehlende eigene Sachkunde durch Einholung des Rates eines unabhängigen, fachlich qualifizierten Berufsträgers zu kompensieren (vgl. BGH, ZIP 2007, 1265, 1266 f.), hat es sich bei der hierzu erforderlichen Auswahlentscheidung selbst hinsichtlich der spezifischen Sachkunde des Berufsträgers zu vergewissern. Der Vorstand kann sich daher nicht damit entlasten, dass ihm der Aufsichtsratsvorsitzende der Gesellschaft deren Streithelfer als kompetenten Ansprechpartner genannt habe, weil dieser auch schon in der Vergangenheit die für den damaligen Aktienrückkauf notwendigen Voraussetzungen geprüft und bejaht habe.

Zudem besteht eine weitere originäre Pflicht des Vorstandsmitglieds, den Berufsträger über sämtliche für die Beurteilung erheblichen Umstände ordnungsgemäß zu informieren (vgl. BGH ZIP 2007, 1265, 1266 f.). Daher vermag sich der Vorstand nicht damit zu exkulpieren, er habe annehmen können, dass der Streithelfer der Gesellschaft die wirtschaftliche Situation des Unternehmens genau gekannt habe und erforderlichenfalls weitere Informationen eingefordert hätte.

5. Im Falle des Erwerbs eigener Aktien durch die Gesellschaft hat das handelnde Vorstandsmitglied zu jedem Erwerbszeitpunkt gesondert die Zulässigkeit nach § 71 AktG zu prüfen.

Abgesehen davon war es nicht hinreichend, wenn der Vorstand lediglich zu Beginn des sich über mehrere Jahre hinziehenden Zeitraums des Erwerbs eigener Aktien für sich gewissermaßen eine „Generalabsolution“ einholen wollte, ohne sich – wie dies § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG eigentlich erfordert – zum Zeitpunkt des jeweiligen Aktienerwerbs nochmals hinsichtlich der aktuellen Zulässigkeit zu vergewissern.

6. Die Sonderverjährung nach § 93 Abs. 6 AktG beginnt, sobald der Anspruch nach § 93 Abs. 2 AktG objektiv entstanden ist (§ 200 BGB), d.h. durch Klage (auch Feststellungsklage) gegen das Vorstandsmitglied geltend gemacht werden kann. Für jede gem. § 93 Abs. 3 AktG pflichtwidrige Handlung läuft eine gesonderte Verjährungsfrist.

Die Verjährungsfrist für Ansprüche aus § 93 Abs. 2 AktG beträgt fünf Jahre (§ 93 Abs. 6 AktG). Maßgeblich für den Beginn dieser aktienrechtlichen Sonderverjährung ist § 200 BGB, also die Entstehung des Anspruchs als objektiver Umstand (vgl. Hüffer, AktG 8. Aufl. § 93 Rn. 37; Freund, GmbHR 2009, 1185, 1187). Der Anspruch ist entstanden, sobald er durch Klage (auch Feststellungsklage) gegen das Vorstandsmitglied geltend gemacht werden kann; der Schaden muss entstanden sein, braucht aber in seiner Entwicklung noch nicht abgeschlossen zu sein (vgl. Hüffer aaO m.w.N.). Für jede gem. § 93 Abs. 3 AktG pflichtwidrige Zahlung läuft eine gesonderte Verjährungsfrist (Großkomm.z.AktG/Hopt aaO § 93 Rn. 437). Die Unterbrechung und Hemmung der VerjährungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Hemmung
Hemmung der Verjährung
Verjährung
richten sich nach den §§ 202 ff. BGB (Großkomm.z.AktG/Hopt aaO § 93 Rn. 447 m.w.N.).

7. Die erstmals im Berufungsrechtszug erhobene Verjährungseinrede ist nicht zuzulassen, wenn der Prozessgegner schlüssig Hemmung der VerjährungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Hemmung
Hemmung der Verjährung
Verjährung
einwendet.

Die erstmals im Berufungsrechtszug erhobene Verjährungseinrede ist – unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 3 ZPO – jedoch nur dann zuzulassen, wenn die Erhebung der Einrede und die den Verjährungseintritt begründenden tatsächlichen Umstände zwischen den Prozessparteien unstreitig sind (BGHZ 177, 212 Tz. 18). Im hier gegebenen Fall sind diese Umstände jedoch nicht unstreitig, da die Gesellschaft in ihrer Berufungserwiderung jedenfalls schlüssig Hemmung der VerjährungBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Hemmung der Verjährung
Verjährung
einwendet. Zu entsprechendem Vortrag hatte sie in erster Instanz keine Veranlassung gehabt, da der Vorstand seinerzeit noch nicht die Einrede der Verjährung geltend gemacht hatte.

Schlagworte: Auswahlverschulden, Berater, Darlegungs- und Beweislast, Haftung nach § 93 AktG, Schadensersatzanspruch, Verjährung, Verjährungseinwand im Berufungsrechtszug, Vorstand