Aktienrechtlicher Differenzhaftungsanspruch: Voraussetzungen, Vergleich und Aufrechnungsvereinbarung über den Differenzhaftungsanspruch

Urteil des BGH vom 06.12.2011, II ZR 149/10

I.

Der BGH hat mit Urteil vom 06.12.2011 entschieden:

  1. Der gesetzliche Differenzhaftungsanspruch besteht bei der Aktiengesellschaft auch, soweit der Wert der Sacheinlage zwar den geringsten Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG), aber nicht das Aufgeld (§ 9 Abs. 2 AktG) deckt.
  2. Ein Vergleich über den Differenzhaftungsanspruch ist grundsätzlich zulässig und bedarf nicht der Zustimmung der Hauptversammlung.
  3. Eine Aufrechnungsvereinbarung über unter § 66 I AktG fallende Ansprüche ist wirksam, wenn die Forderung des Aktionärs gegen die Gesellschaft vollwertig, fällig und liquide ist.

II.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

1.

Die B. AG (im Folgenden: Schuldnerin) und die P. AG (im Folgenden: Beklagte) vereinbarten im Februar 1999, dass die Schuldnerin von der Beklagten die Geschäftsanteile an deren Tochtergesellschaften P. N. GmbH (im Folgenden: PNG) und P. W. und R. GmbH (im Folgenden: PWR) sowie 50% der Aktien der H. D. W. AG (im Folgenden: HDW) übernehmen sollte.

2.

Nach einer Due-Diligence-Prüfung und Unternehmensbewertungen der drei Gesellschaften schlossen die Schuldnerin und die Beklagte am 19.05.1999 einen Transaktionsvertrag. Danach sollte die Beklagte im Rahmen einer Sachkapitalerhöhung der Schuldnerin unter Ausnutzung eines von der Hauptversammlung der Schuldnerin genehmigten Kapitals gegen die Übertragung von 99,9% der Geschäftsanteile an der PNG und an der PWR sowie 25% (35.000 Stück) der Aktien der HDW 3.493.103 neue nennwertlose Aktien der Schuldnerin zum Ausgabebetrag von 60 € je Aktie (= 209.586.280 €) übernehmen (1. Tranche). Die Beklagte verkaufte der Schuldnerin unter aufschiebenden Bedingungen weitere 35.000 HDW-Aktien (2. Tranche) gegen Zahlung eines Kaufpreises von 325.000.000 DM, der spätestens am 01.04.2000 zur Zahlung fällig sein sollte, und eine zusätzliche HDW-Aktie zum Preis von 9.286 DM.

3.

Am 16.06.1999 beschloss der Vorstand der Schuldnerin eine Kapitalerhöhung um 89.299.758,90 € (= geringster Ausgabebetrag) durch Ausgabe von 3.493.103 neuen Aktien zum Ausgabebetrag von 60 € je Stück (209.586.280 € [Differenz zum geringsten Ausgabebetrag = Aufgeld]). Zur Zeichnung wurde nur die Beklagte zugelassen, die die neuen Aktien durch eine Sacheinlage von 99,9% der Geschäftsanteile der PWR, 99,9% der Geschäftsanteile der PNG und 35.000 Aktien der HDW zu erbringen hatte. Für die Geschäftsanteile der PWR wurde ein Wert von 59.940.000 DM, für diejenigen der PNG von 24.975.000 DM und die 35.000 HDW-Aktien von 325.000.000 DM angenommen. Im Beschluss ist festgehalten, dass die Schuldnerin zusätzlich zu dem Erwerb von 35.000 Aktien der HDW als Teil der genannten Sacheinlage weitere 35.000 Aktien zum Kaufpreis von 325.000.000 DM sowie eine weitere Aktie zum Kaufpreis von 9.286 DM käuflich erwerben werde. Der Aufsichtsrat der Schuldnerin stimmte der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage und der Übernahme weiterer Geschäftsanteile der HDW am 01.07.1999 zu.

4.

Die Beklagte zeichnete und übernahm am 07.09.1999 die für das Erhöhungskapital von 89.299.758,90 € auszugebenden neuen 3.493.103 Aktien der Schuldnerin zum Gesamtausgabebetrag von 209.586.180 € zu den Festsetzungen des Kapitalerhöhungsbeschlusses. Sie übertrug entsprechend der vertraglichen Vereinbarung die Geschäftsanteile und Aktien auf die Schuldnerin. Die Kapitalerhöhung wurde am 10.09.1999 in das Handelsregister eingetragen.

Den zum 01.04.2000 fälligen Kaufpreis für die 2. Tranche der HDW-Aktien leistete die Schuldnerin nicht.

5.

Nach Verhandlungen schlossen die Parteien eine Vereinbarung mit Datum 28.06.2000, nach der die Beklagte der Schuldnerin im Wege des Vergleichs einen Ertragszuschuss in Höhe von 325.000.000 DM gewährte, mit dem die Schuldnerin die für die 2. Tranche der HDW-Aktien bestehende Kaufpreisforderung ausgleichen sollte, und die Schuldnerin durch Wirtschaftsprüfergutachten Verluste aus den übernommenen P. -Gesellschaften in entsprechender Höhe nachweisen sollte.

6.

Diese Vereinbarung wurde durch Vereinbarung vom 11.09.2000 dahin abgeändert, dass die Schuldnerin aus den von der Beklagten übernommenen Gesellschaften im Geschäftsjahr 1999/2000 Verluste in Höhe von 325.000.000 DM erwarte, der Kaufpreiszahlungsanspruch der Beklagten für die 2. Tranche der HDW-Aktien durch Aufrechnung mit dem Ertragszuschuss als mit Wirkung zum 28.06.2000 als erfolgt anzusehen sei und eine Rückzahlungspflicht des Ertragszuschusses nicht bestehen solle, wenn die Schuldnerin durch Wirtschaftsprüfungsgutachten auf der Basis des geprüften Jahresabschlusses zum nächsten Bilanzstichtag nachweise, dass die übernommenen Gesellschaften zumindest einen entsprechend hohen Verlust oder Drohverlust erlitten hätten.

7.

Am 01.09.2002 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger als Insolvenzverwalter der Schuldnerin meint, der Wert der von der Schuldnerin übernommenen Gesellschaften sei geringer als die vereinbarte Einlage, so dass die Beklagte die Differenz habe bar einzahlen müssen (sogenannte Differenzhaftung). Unter Einbeziehung des Kaufs der HDW-Aktien nach den Grundsätzen einer gemischten Sacheinlage ergebe sich ein Differenzhaftungsanspruch in Höhe von 171.443.837,14 €.

Mit der Klage begehrte der Kläger unter anderem Zahlung dieser 171.443.837 €. Das Landgericht Frankfurt am Main wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main als Berufungsgericht wies die Berufung des Klägers zurück. Die dagegen gerichtete Revision des Klägers hatte Erfolg. Der BGH hob das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

III.

Der BGH gelangt zu seinem Ergebnis auf folgendem Weg:

1.

Keine Befreiung der Aktionäre von ihren Leistungspflichten (§ 66 Abs. 1 AktG)

§ 66 Abs. 1 AktG besagt:

„Die Aktionäre und ihre Vormänner können von ihren Leistungspflichten nach den §§ 54 und 65 nicht befreit werden. Gegen eine Forderung der Gesellschaft nach den §§ 54 und 65 ist die Aufrechnung nicht zulässig.“

§ 54 Abs. 1 AktG besagt:

„Die Verpflichtung der Aktionäre zur Leistung der Einlagen wird durch den Ausgabebetrag der Aktien begrenzt.“

2.

Der aktienrechtliche Differenzhaftungsanspruch fällt ebenfalls unter § 66 Abs. 1 AktG.

2.1

Geringster Ausgabebetrag (§ 9 Abs. 1 AktG)

Nach dem BGH ist es allgemein anerkannt, dass der Aktionär bei einer Überbewertung von Sacheinlagen den Differenzbetrag zwischen dem Wert der Sacheinlage und dem geringsten Ausgabebetrag in Geld zu leisten hat. Dieser sog. „Differenzhaftungsanspruch“ wird aus § 36a Abs. 2 AktG in Verbindung mit §§ 183, 188 Abs. 2 Satz 1 AktG, aus der mit der Übernahme bzw. mit der Zeichnung zwangsläufig verbundenen Kapitaldeckungszusage, aus dem Verbot in § 9 Abs. 1 AktG, Aktien für einen geringeren Betrag als den Nennbetrag (oder den auf die einzelne Stückaktie entfallenden anteiligen Betrag des Grundkapitals) auszugeben sowie aus einer Analogie zu § 9 Abs. 1 GmbHG abgeleitet.

2.2

Aufgeld (§ 9 Abs. 2 AktG)

Ein gesetzlicher Differenzhaftungsanspruch besteht nach dem BGH aber auch insoweit, als der Wert der Sacheinlage zwar den geringsten Ausgabebetrag nach § 9 Abs. 1 AktG, nicht aber auch das Aufgeld nach § 9 Abs. 2 AktG deckt. Das Aufgeld ist bei der Aktiengesellschaft (anders als bei der GmbH) Teil des Ausgabebetrags und der mitgliedschaftlichen Leistungspflicht der Aktionäre nach § 54 Abs. 1 AktG, von der sie nach § 66 Abs. 1 AktG grundsätzlich nicht befreit werden können. Nach dem BGH wäre eine andere Sicht insbesondere auch damit nicht vereinbar, dass eine Wertdeckung im Umfang des Aufgelds auch erforderlich ist, um eine Verwässerung der Anteile der – regelmäßig – von der Sachkapitalerhöhung ausgeschlossenen Aktionäre (§ 255 Abs. 2 AktG) zu verhindern.

Etwas anderes ergibt sich nach dem BGH auch nicht aus den Vorschriften über die Durchführung der Kapitalerhöhung sowie die Prüfung durch Sachverständige und durch das Registergericht. § 188 Abs. 2 Satz 1 AktG verweist zur Durchführung der Anmeldung der Kapitalerhöhung auf § 36a Abs. 2 Satz 3 AktG, wonach der Wert der Sacheinlage auch das Aufgeld abdecken muss. Soweit § 183 Abs. 3 AktG bzw. § 205 Abs. 5 Satz 1 AktG nach seinem Wortlaut die Prüfung durch Sachverständige als Mindestanforderung durch die Verweisung auf § 34 Abs. 1 Nr. 2 AktG nur auf den geringsten Ausgabebetrag erstreckt, widerspricht die Norm nach Ansicht des BGH dem Art. 10 Abs. 2 der sog. „Kapitalrichtlinie“ (Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen). Art. 10 Abs. 2 der Kapitalrichtlinie verlangt nach Ansicht des BGH und der Literatur, dass der Sachverständigenbericht auch angibt, ob der Wert auch dem Mehrbetrag entspricht. Schließlich kann man nach dem BGH aus dem Umstand, dass das Registergericht nach § 184 Abs. 3 Satz 1 AktG bzw. § 205 Abs. 7 Satz 1 AktG die Eintragung ablehnen kann, wenn der Wert der Sacheinlage hinter dem geringsten Ausgabebetrag zurückbleibt, nur etwas für die Prüfungskompetenz des Registergerichts, nichts aber für den Umfang der Verpflichtungen des Sacheinlegers (Inferenten) ableiten.

3.

Trotz des Befreiungs- und Aufrechnungsverbots des § 66 Abs. 1 AktG ist ein Vergleich über den Differenzhaftungsanspruch zulässig.

3.1

Voraussetzungen eines Vergleichs über den Differenzhaftungsanspruch

Dafür spricht bereits, dass der Vergleich in § 66 Abs. 1 AktG  – im Gegensatz etwa zu § 50 Abs. 1, § 93 Abs. 4 Satz 3 oder § 117 Abs. 4 AktG – nicht erwähnt ist. Die Tatsache, dass im Rahmen des § 66 Abs. 1 AktG keine Befreiung möglich ist, schließt einen Vergleich bei tatsächlicher oder rechtlicher Ungewissheit nicht aus. Zwar gilt auch für den Differenzhaftungsanspruch das Befreiungs- und Aufrechnungsverbot des § 66 Abs. 1 AktG, mit dem die Kapitalaufbringung und die Kapitalerhaltung gesichert werden soll. Ein Vergleich über Ansprüche, die unter § 66 Abs. 1 AktG fallen, ist nach der Rechtsprechung und der Literatur aber trotzdem zulässig, wenn der Vergleich wegen tatsächlicher oder rechtlicher Ungewissheit über den Bestand oder Umfang des Anspruchs geschlossen wird und sich dahinter nicht nur eine Befreiung in der Form eines Vergleichs versteckt.

Auch wenn durch den Abschluss eines Vergleichs objektiv eine Befreiung des Aktionärs von seinen Leistungspflichten eintreten kann, so steht doch wegen der Unklarheit, ob und in welchem Umfang ein Anspruch besteht, eine solche Befreiung bei einem Vergleichsschluss, der die durch die Unklarheit gezogenen Grenzen nicht überschreitet, gerade nicht fest. Nach der Rechtsprechung des BGH ist ein Vergleich, durch den die Ungewissheit darüber, was der Gesetzeslage entspricht, durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird, trotz eines Widerspruchs zu zwingendem Recht wirksam, wenn der Vergleichsinhalt den Bereich nicht verlässt, der bei objektiver Beurteilung ernstlich zweifelhaft ist. Die Beurteilung, ob ein Vergleich ernsthaft gewollt ist und sein Inhalt den Bereich nicht verlässt, der ernstlich zweifelhaft ist, obliegt nach Ansicht des BGH in erster Linie dem Tatrichter. Vor Abschluss eines Vergleichs über den Differenzhaftungsanspruch muss regelmäßig weder ein Wertgutachten eingeholt werden noch muss sonst der Wert der Sacheinlage fachlich überprüft werden.

Auch der Grundsatz der effektiven Kapitalaufbringung steht bei Einlageansprüchen oder Einlageähnlichen Ansprüchen einem Vergleichsschluss nicht entgegen, wenn gerade die Unsicherheit beseitigt werden soll, ob das Kapital aufgebracht ist. Ein vollständiges Vergleichsverbot würde den Vorstand zwingen, trotz Zweifel am Bestand der Forderung und an den Erfolgsaussichten ein gerichtliches Verfahren einzuleiten und bis zu einem Urteil durchzuführen, oder von vorneherein wegen der die Chancen übersteigenden finanziellen Risiken der Prozessführung auf eine Geltendmachung zu verzichten.

3.2

Keine Zustimmung der Hauptversammlung erforderlich

Ein Vergleich bedarf nach Überzeugung des BGH auch nicht in Analogie zu § 50 Satz 1, § 93 Abs. 4 Satz 3, § 117 Abs. 4 AktG der Zustimmung der Hauptversammlung, da es diesbezüglich an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Nach ihrem Zweck lassen sich die Zustimmungserfordernisse der §§ 50 Satz 1, 93 Abs. 4 Satz 3, 117 Abs. 4 AktG nicht auf Ansprüche nach § 66 Abs. 1 AktG übertragen. Das Zustimmungserfordernis in § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG soll der Gefahr einer kollegialen Verschonung einzelner Vorstandsmitglieder und der wechselseitigen (Selbst-)Befreiung von Haftungsansprüchen vorbeugen. Eine solche Gefahr besteht beim Abschluss eines Vergleichs über einen unter § 66 Abs. 1 AktG fallenden Anspruch nicht, weil sich der Anspruch gegen den Aktionär richtet und der Vorstand bei pflichtwidrigem Vergleichsschluss seinerseits nach § 93 AktG haftet. § 50 Satz 1 AktG soll die Gesellschaft vor einem Verzicht oder einem Vergleich über die Ansprüche der Gesellschaft zu einem Zeitpunkt schützen, der noch in der zeitlichen Nähe der Gründung liegt und in dem sich die Auswirkungen der schädigenden Handlung noch nicht abschließend übersehen lassen.

Ein Vergleich über den Differenzhaftungsanspruch gemäß § 66 Abs. 1 AktG rührt auch nicht an der Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Aktiengesellschaft zu bestimmen. Er bedarf nach Ansicht des BGH mangels wesentlicher Bedeutung für die Gesellschaft auch deshalb nicht der Zustimmung der Hauptversammlung.

3.3

Keine relative Unwirksamkeit gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft

Auch die §§ 93 Abs. 5 Satz 3, 117 Abs. 5 Satz 2 AktG (relative Unwirksamkeit des Verzichts/Vergleichs den Gläubigern gegenüber) sind nach Ansicht des BGH nicht entsprechend anzuwenden. Der Schutz der Gläubiger der Gesellschaft vor einem kollusiven Zusammenwirken von Organen und Aktionären zu ihrem Nachteil gebietet eine entsprechende Anwendung nicht, weil ein Vergleich von vorneherein nur bei Ungewissheit über das Bestehen oder den Umfang der Schuld in Betracht kommt.

3.4

Fazit

Der BGH ist vorliegend wie das Berufungsgericht zur der Auffassung gelangt, dass die Beklagte und die Schuldnerin mit der Vereinbarung vom 28.06.2000 wirksam einen wegen tatsächlicher und rechtlicher Unsicherheit über den Bestand oder den Umfang des Differenzhaftungsanspruchs „echten“ Vergleich abgeschlossen haben, mit dem die Beklagte an die Schuldnerin einen Ertragszuschuss in Höhe von 325.000 Euro leisten sollte.

4.

Die Beklagte konnte allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen gegenüber dem nach dem Vergleich geschuldeten Ertragszuschuss mit ihrem Kaufpreisanspruch für die 2. Tranche aufrechnen.

Die Aufrechnungsbeschränkung nach § 66 Abs. 1 Satz 2 AktG für den Differenzhaftungsanspruch gilt für die in einem Vergleich über diesen Anspruch vereinbarte Forderung fort. Nach der Rechtsprechung des BGH ändert ein Vergleich i.S.d. § 779 BGB das ursprüngliche Schuldverhältnis nur insoweit, als in ihm streitige oder ungewisse Punkte geregelt werden; im Übrigen besteht das ursprüngliche Rechtsverhältnis nach Inhalt und Rechtsnatur unverändert fort. Da der Vergleich in der Vereinbarung vom 28. Juni 2000 die Rechtsnatur der Forderung nicht veränderte, gelten deshalb auch die Beschränkungen des § 66 Abs. 1 AktG fort.

Da der Gesellschaft im Gegensatz zum Aktionär die Aufrechnung nach § 66 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht verboten ist, sind Aufrechnungsvereinbarungen zulässig, wenn die Gesellschaft ihrerseits die Aufrechnung erklären könnte. Die Gesellschaft kann nach Rechtsprechung und Literatur die Aufrechnung aber nur erklären, wenn die Forderung des Aktionärs gegen die Gesellschaft vollwertig, fällig und liquide ist. Die Vollwertigkeit ist nicht nach den subjektiven Vorstellungen der Parteien bei der Vereinbarung, sondern objektiv zu bestimmen; der Aktionär ist für die Vollwertigkeit grundsätzlich darlegungs- und beweisbelastet.

Das Berufungsgericht hatte angenommen, dass eine solche Vollwertigkeit der Kaufpreisforderung wegen einer ausreichenden Sicherheit (Zurückbehaltungsrecht der Beklagten an ihren HDW-Aktien bis zur Kaufpreiszahlung) vorhanden gewesen war. Der BGH stellte insofern klar: Eine Forderung ist zwar auch vollwertig, wenn sie in voller Höhe durch eine Sicherheit gedeckt ist. Eine Sicherheit macht die Forderung aber nur dann vollwertig, wenn sie für den Fall verwertet werden kann, dass die Forderung nicht durchsetzbar ist. Eine solche Verwertungsbefugnis gibt das Zurückbehaltungsrecht nicht. Da im Übrigen das Berufungsgericht zur Vollwertigkeit der Gegenforderung der Beklagten keine Feststellungen getroffen hatte, konnte der BGH nicht selbst entscheiden und musste deshalb die Sache an das Berufungsgericht zurückverweisen (§ 563 Abs. 1S. 1 ZPO).

Für weitere Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Erfurt/ Thüringen Januar 2012