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SG Reutlingen, Gerichtsbescheid vom 28.06.2016 – S 8 R 1775/14

SGB IV § 7 a Abs. 1 S 1 GmbHG § 53 Abs. 2 BGB § 181

Eine für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit ausreichende Sperrminorität und Gestaltungsmacht kann sich auch aus einem gesellschaftsvertraglichen Zustimmungserfordernis zugunsten eines Minderheitsgesellschafters ergeben, welches Änderungen seines Geschäftsführervertrages erfasst und dieser Vertrag u. a. die weisungsfreie Ausübung der Gesellschaftertätigkeit vorsieht.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über den sozialversicherungsrechtlichen Status der vom Kläger bei der Beigeladenen ausgeübten Tätigkeit. Die Beigeladene ist eine GmbH, deren geschäftliche Tätigkeit im Bereich der Zimmerei und des Innenausbaus liegt. Der für die Beigeladene namensgebende Mehrheitsgesellschafter M verfügt über ein Gesellschaftsanteil von 52% und ist Zimmermann, der Kläger verfügt über einen Gesellschaftsanteil von 24% und ist Zimmermannsmeister; daneben ist ein weiterer Gesellschafter, B., ebenfalls mit 24% beteiligt, dieser ist ::0::und Energieberater.

Die mit notariellem Vertrag vom 27.11.2012 gegründete Beigeladene wurde am 18.01.2013 in das Handelsregister eingetragen. Ausweislich des Gesellschaftsvertrages habe die Gesellschaft einen oder mehrere Geschäftsführer. Bei mehreren Geschäftsführern werde sie durch zwei Geschäftsführer gemeinschaftlich oder durch einen Geschäftsführer in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertreten. Bei einem Geschäftsführer dagegen durch diesen allein (§ 4 Abs. 2). Die Gesellschafter können die Vertretung und Geschäftsführung abweichend regeln, insbesondere Einzel- statt Gesamtvertretung anordnen, die Geschäftsführungsbefugnis einschränken oder erweitern, sowie Befreiung von der Beschränkung des § 181 BGB erteilen (§ 4 Abs. 3). Gesellschafterbeschlüsse werden mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, wenn und soweit das Gesetz oder dieser Gesellschaftsvertrag keine andere Mehrheit vorsehen (§ 6 Abs. 3). Eine Änderung des Gesellschaftsvertrages sowie dessen Auflösung kann nur mit 75%iger Mehrheit erfolgen. Gesellschafter, die zum Geschäftsführer bestellt sind, müssen in jedem Fall zustimmen, wenn Beschlüsse über die Bestellung und Abberufung von GeschäftsführernBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern
, über den Abschluss, die Änderung und Kündigung von Anstellungsverträgen, sofern die betreffenden Personen Gesellschafter sind, gefasst werden sollen (§ 6 Abs. 7). Jeder Gesellschafter könne die Gesellschaft mit einer Frist von 6 Monaten zum Schluss des Geschäftsjahres kündigen (§ 10 Abs. 1 Satz 1). Im Falle der Kündigung der Gesellschaft werde diese von den übrigen Gesellschaftern fortgesetzt (§ 10 Abs. 2 Satz 1).

Nach dem Geschäftsführervertrag zwischen der Beigeladenen und dem Kläger werde diese ab dem 01.01.2013 als Geschäftsführer der Beigeladenen tätig (Nr. 1). Er vertrete die Gesellschaft allein und sei von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit (Nr. 2.1). Er führe die Geschäfte der Beigeladenen nach Maßgabe der Gesetze, der Satzung und des Anstellungsvertrages. Im Übrigen leite er die Geschäfte der Beigeladenen selbstständig, nach eigenem Ermessen und weisungsfrei (Nr. 2.2). Der Arbeitseinsatz erfolge nach eigenem Ermessen des Klägers und nach Bedarf der Firma (Nr. 3). Der Kläger erhalte Bezüge in Höhe von 3.800 EUR monatlich. Dieser Betrag werde nach Auftragslage und Leistungsfähigkeit der Beigeladenen angepasst (Nr. 4.1). Zusätzlich erhalte er eine jährliche Sonderzahlung, die zwischen den Parteien frei vereinbart werde und sich am Geschäftsergebnis des zurückliegenden Geschäftsjahres orientiere (Nr. 4.2). Der Kläger könne Dauer und Länge seines Urlaubs frei bestimmen, solange die Belange der Gesellschaft nicht beeinträchtigt würden (Nr. 5).

Nach einem Stimmbindungsvertrag vom 17.08.2013 zwischen sämtlichen Gesellschaftern der Beigeladenen verpflichteten sich diese zur Verwirklichung der einheitlichen Führung der Gesellschaft in Zukunft übereinstimmend abzustimmen oder sich übereinstimmend der Stimme zu enthalten (Nrn. 1a). Der Stimmbindungsvertrag gelte für alle Gesellschafterbeschlüsse, die bei der Gesellschaft zu treffen seien (Nr. 1b). Nach einem Darlehensvertrag vom 17.08.2013 gewährte der Kläger der Beigeladenen ein Darlehen in Höhe von 50.000 EUR.

Mit am 19.08.2013 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben begehrte der Kläger die Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status. Hierzu führt er aus, er sei als einziger Geschäftsführer der Beigeladenen im Bereich Zimmerei tätig. Im Hinblick auf die Regelung des § 6 Abs. 7 des Gesellschaftsvertrages stehe ihm eine Sperrminorität für bestimmte Beschlüsse der Gesellschaft zu. Sie könne maßgeblichen Einfluss auf die Beschlüsse der Gesellschaft und auch sein eigenes Anstellungsverhältnis nehmen. Er verfüge aufgrund seiner Ausbildung über besondere Branchenkenntnisse. Er allein kenne die Kunden und den Markt und sei allein mit dem operativen Tagesgeschäft im Bereich Zimmerei betraut und leite daher das Unternehmen in diesem Bereich alleine. Ihm oblägen alle Investitionsentscheidungen sowie deren Finanzierungsfragen. Er könne selbstständig Personal einstellen und entlassen, nehme Arbeitgeberpflichten gegenüber dem Personal wahr und sei gegenüber allen Arbeitnehmern weisungsbefugt. Er verfüge frei über alle Geschäftskonten und sei entsprechend unterschriftsberechtigt. Gesellschafter sei er seit dem 27.11.2012 und Geschäftsführer seit dem 01.01.2013. Seit letztgenanntem Zeitpunkt sei er bei der Beigeladenen beschäftigt.

Mit Schreiben vom 18.11.2013 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Feststellung einer abhängigen Beschäftigung an. Er sei Minderheitsgesellschafter und eine Sperrminorität sei ihm nicht eingeräumt. Der geschlossene Stimmbindungsvertrag sei lediglich eine Vertretungsvollmacht und stelle eine schuldrechtliche Wirkung und keine Änderung der Gesellschaftssatzung dar. Er sei nicht alleiniger Geschäftsführer und verfüge nicht als einziger über die für die Führung des Unternehmens notwendigen Branchenkenntnisse. Es bestehe ein gesonderter Arbeitsvertrag, der die Mitarbeiten der Gesellschaft regele. Er enthalte arbeitsvertraglich typische Regelung zum Urlaubsanspruch und über die Fortzahlung des Entgeltes bei Arbeitsunfähigkeit sowie Kündigungsregelungen. Weiter erhalte er eine feste Vergütung. Für eine selbstständige Tätigkeit spreche, dass er indirekt am Gewinn der Gesellschaft beteiligt sei, vom Selbstkontrahierungsverbot befreit und einzelvertretungsberechtigt sei. Daneben sei er Darlehensgeber für die Beigeladene. Nach Gesamtwürdigung aller zur Beurteilung der tätigkeitrelevanten Tatsachen überwögen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis.

Hierzu nahm der Kläger mit Schreiben vom 10.12.2013 insofern Stellung, das er an keine festen Arbeitszeiten gebunden sei und allein bestimmen könne, zu welcher Zeit er an welchem Ort und welche Art von Tätigkeit ausübe. Er habe auch keinen festen Urlaubsanspruch. Eine einfache Kündigung seines Tätigkeitsverhältnisses sei nicht möglich. Die Zahlung liege deutlich unter dem was üblich für Geschäftsführer eines solchen Unternehmens seien. Auch erhalte er keine feste Vergütung. Der Betrag könne nach Auftragslage und Leistungsfähigkeit der Firma angepasst werden. Es werde nicht die Möglichkeit verkannt, dass der Kläger als Geschäftsführer abberufen werden könne. Wenn das der Fall wäre, dann wäre eine Prüfung des aktuellen Sozialversicherungsstatus angezeigt. Das sei jedoch vorliegend spekulativ. Schließlich sei der Stimmbindungsvertrag zu berücksichtigen. Er sei im Übrigen praktisch weisungsfrei gestellt.

Mit Bescheid vom 21.01.2015 stellte die Beklagte fest, der Kläger übe die Tätigkeit als Gesellschafter Geschäftsführer bei der Beigeladenen im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses aus. Es bestehe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung ab dem 01.01.2013. Zur Begründung wiederholte die Beklagte ihre Ausführungen aus dem Anhörungsschreiben, lediglich ihre Ausführungen zum Urlaubsanspruch, der Vertretung im Krankheitsfall und den Kündigungsregelungen hielt sie nicht mehr aufrecht.

Hierauf erhob der Kläger mit Schreiben 20.02.2014 Widerspruch. Zur Begründung wiederholte er im Prinzip denselben bisherigen Vortrag.

Mit Bescheid vom 18.06.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Begründung des Widerspruchs sei bekannt gewesen. Eine Überprüfung habe daher nur nach der bekannten Sachlage erfolgen können. Hiernach sei der Bescheid nicht zu beanstanden.

Mit am 17.07.2014 zugegangenen Schreiben hat der Kläger darauf Klage beim hiesigen Gericht erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt er vor, alle Mitarbeiter der Beigeladenen unterständen ihm. Diese seien nahezu ausschließlich im Bereich Zimmerei/Innenausbau beschäftigt und auch für diesen Bereich angestellt. Die beiden anderen Gesellschafter überließen ihm den Personalbereich vollständig. Sofern in den Bereichen Balkon oder Energieberatung Arbeitnehmer gebraucht würden, würden diese Arbeitnehmer aus dem Bereich Zimmerei/Innenausbau abgestellt. Daraus folge, dass der Kläger auch die gesamte Personalplanung für die beiden anderen Bereiche übernommen habe. Die zehn Mitarbeiter würden in allen drei Geschäftsbereichen eingesetzt. Die Geschäftsbereiche seien der dem Kläger unterstehende Bereich Zimmerei/Innenausbau, der Bereich Balkone (zuständig M …) und der Bereich Energieberatung (zuständig Geschäftsführer B). Jeder der Geschäftsführer sei für seinen Bereich allein verantwortlich. Es sei weiter ein neuer Stimmbindungsvertrag vom 20.12.2015 geschlossen worden, welcher nicht mehr jederzeit kündbar sei, sondern eine feste Laufzeit bis zum 31.12.2020 habe. Auch durch eine Liquidation der Gesellschaft durch den Hauptgesellschafter würde lediglich die Zielrichtung der Gesellschaft ändern. Der Kläger wäre nach wie vor als Geschäftsführer, dann Liquidator, in gleicher Rechtsposition tätig. Auch ein solcher Beschluss komme, wenn er dann gefasst würde, änderte daher die Rechtsposition des Klägers nicht.

Der Kläger beantragt:

1. Die Bescheide der Beklagten vom 21.01.2014 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 18.06.2014 werden aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die Tätigkeit des Klägers bei der Beigeladenen als Gesellschafter Geschäftsführer ab dem 01.01.2013 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde und damit nicht der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Zur Begründung vertieft die Beklagte ihre Ausführungen aus dem angefochtenen Ausgangsbescheid.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Das Gericht hat die Beteiligten zur Möglichkeit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid angehört. Einwendungen wurden nicht erhoben. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze und hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts auf die beigezogene Verfahrensakte der Beklagten, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand des Erörterungstermins vom 12.02.2016 war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über welche das Gericht nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden konnte, da der Sachverhalt geklärt ist und die Sache keine Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist, ist zulässig und begründet.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht beim sachlich und örtlich zuständigen Gericht erhoben.

Die Klage ist auch begründet.

Die angefochtene Entscheidung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Die Tätigkeit des Klägers für die Beigeladene ab dem 01.01.2013 ist als selbstständige einzustufen, so dass er insoweit nicht der Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegt.

Für eine solche Statusfeststellung ist nach § 7a Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch IV (SGB IV) die Beklagte zuständig, nicht die nach § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV zur Entscheidung berufene Einzugsstelle. Einen Antrag auf Statusfeststellung hatte der Kläger mit dem am 19.08.2013 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben bei der Beklagten gestellt. Ein vorheriges Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung durch einen anderen Versicherungsträger oder die Einzugsstelle ist nicht ersichtlich.

Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, unterliegen grundsätzlich (u. a.) in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung der Versicherungspflicht ( s.§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, §§ 24 Abs. 1 1. Alt, 25 Abs. 1 S. 1 SGB III). Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, vgl. Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4 – 2400 § 7 Nr. 7, Urteil vom 04. Juli 2007, B 11 a AL 5/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 8) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Vornehmlich bei Diensten höherer Art kann das Weisungsrecht auch eingeschränkt und zur „dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein (dazu BSG, Urt. v. 18.12.2001, – B 12 KR 10/01 R -, in juris). Höhere Dienste werden im Rahmen abhängiger Beschäftigung geleistet, wenn sie fremdbestimmt bleiben, sie in einer von der anderen Seite vorgegebenen Ordnung des Betriebs aufgehen (BSG, Urt. v. 19.06.2001, – B 12 KR 44/00 R -, in juris). Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit sowie das Unternehmerrisiko gekennzeichnet (vgl. BSG, Urt. v. 29.08.2012, – B 12 KR 25/10 R -, in juris). Letzteres besteht meist in der Gefahr, bei wirtschaftlichem Misserfolg des Unternehmens das eingesetzte Kapital zu verlieren oder nicht ausreichend nutzen zu können; ihm entspricht die Aussicht auf Gewinn, wenn das Unternehmen wirtschaftlichen Erfolg hat. Abhängig Beschäftigte tragen demgegenüber das Arbeitsplatzrisiko, das in der Gefahr besteht, bei wirtschaftlichem Misserfolg des Unternehmens die Arbeitsstelle einzubüßen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27. April 2016 – L 5 R 2484/14 -, Rn. 31, juris).

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit BVerfG SozR 3 – 2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4 – 2400 § 7 Nr. 7).

Das Gesamtbild bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben. Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht (BSG SozR 3 – 2400 § 7 Nr. 4; SozR 3 – 4100 § 168 Nr. 18). In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen (BSGE 45, 199, 200 ff.; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 13; BSGE 87, 53, 56; jeweils m. w. N.). Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (vgl. hierzu insgesamt BSG, Urteil vom 24. Januar 2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4 – 2400 § 7 Nr. 7).

Ist ein GmbH-Geschäftsführer – wie hier der Kläger – zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Hinzu kommen die Stimmrechte in der Gesellschafterversammlung. Entscheidend für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ist dabei, ob die rechtliche Möglichkeit besteht, als beherrschender oder zumindest mit einer Sperrminorität ausgestatteter Gesellschafter-Geschäftsführer nicht genehme Weisungen jederzeit abzuwenden (BSG, Urteil vom 11. November 2015 – B 12 KR 10/14 R -, SozR 4, Rn. 24; vgl. hierzu allgemein z. B.: BSGE 66, 69; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr. 4 S 13 f; aus jüngerer Zeit BSG (12. Senat) SozR 4-2400 § 7 Nr. 7 RdNr. 28 und (11a. Senat) SozR 4-2400 § 7 Nr. 8 RdNr. 15, jeweils m. w. N.; zuletzt BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 17, RdNr. 25).

Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben und unter Auswertung des Vorbringens der Beteiligten ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Tätigkeit des Klägers bei der Beigeladenen als selbstständig einzustufen ist.

Entscheidender Gesichtspunkt dieser Bewertung ist die Regelung in § 6 Abs. 7 des Gesellschaftsvertrages der Beigeladenen. Hiernach müssen Gesellschafter, welche zum Geschäftsführer bestellt sind, im Rahmen von sonst mit einer Mehrheit von 75% möglichen Beschlüssen zur Änderung des Gesellschaftsvertrages in jedem Fall zustimmen, wenn Beschlüsse über die Bestellung und Abberufung von GeschäftsführernBitte wählen Sie ein Schlagwort:
Abberufung
Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern
, über den Abschluss, die Änderung und Kündigung von Anstellungsverträgen, sofern die betreffenden Personen Gesellschafter sind, gefasst werden sollen. Diese Regelung ist auch gesellschaftsrechtskonform, vgl. § 53 Abs. 2 GmbHG. Hieraus folgt eine weitreichende Sperrminorität auch des Klägers mit einem Geschäftsanteil von 24% für sämtliche Gesellschafterbeschlüsse, welche die in seinem Geschäftsführervertrag niedergelegten Rechte sowie seine Stellung als Geschäftsführer als solches beeinträchtigen könnten. Dabei fällt besonders ins Gewicht, dass der Kläger seine Tätigkeit als Geschäftsführer unter Berücksichtigung der maßgeblichen Gesetze, der Satzung und seines Anstellungsvertrages ausweislich des Letzteren ausdrücklich nach eigenem Ermessen und weisungsfrei ausübt (dort Nr. 2.2). Die Satzung, wie auch der Anstellungsvertrag enthält keine weitergehenden Verpflichtungen, welche die Leitung der Geschäfte durch den Kläger nennenswert einschränken. Somit ist der Kläger im Wesentlichen bei der Führung der Geschäfte der Beigeladenen ausdrücklich weisungsfrei gestellt und dies kann auch nicht ohne seine Zustimmung geändert werden. Auch die Geschäftsführungsbefugnis des Klägers ist umfassend. Er vertritt die Gesellschaft allein und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit (Geschäftsführervertrag Nr. 2.1). Eine Beschränkung dieser Geschäftsführungsbefugnis ist – da Gegenstand des Anstellungsvertrages – nach dem Gesellschaftsvertrag ebenfalls nur mit Zustimmung des Klägers möglich. Der Kläger könnte zwar beispielsweise eine Neuausrichtung des Geschäftsfeldes der Beigeladenen oder auch deren Auflösung nicht verhindern. Allerdings führte dies, worauf der Kläger im Hinblick auf eine Liquidation der Gesellschaft zutreffend hinwies (s. dazu § 66 Abs. 1 GmbHG), nicht zu einer Änderung, insbesondere zu einer Schwächung, der Position des Klägers. Sie wäre vielmehr wiederrum nach denselben Maßgaben zu bewerten.

Die Selbstständigkeit des Klägers wird Übrigen durch seine indirekte Gewinnbeteiligung, den Verzicht auf arbeitsvertragstypische Regelungen zum Urlaubsanspruch, zur Arbeitsunfähigkeit und zur Kündigung, die Darlehensgabe an die Beigeladene und die Vergütungsregelung bekräftigt. So erhält der Kläger grundsätzlich Bezüge i. H. v. 3800 EUR monatlich, wobei dieser Betrag nach Auftragslage und Leistungsfähigkeit der Beigeladenen angepasst werden kann (Geschäftsführervertrag Nr. 4.1). Durch diese an die Geschäftsentwicklung gekoppelte Anpassungsmöglichkeit erhält der Kläger gerade kein festgesetztes Entgelt, vielmehr kann sich in seinen Bezügen die wirtschaftliche Lage – und damit das Unternehmerrisiko – niederschlagen. Ein weiteres Indiz für die Gestaltungskraft des Klägers in seiner Position bei der Beigeladenen ist der zwischen den Gesellschaftern geschlossene Stimmbindungsvertrag vom 17.08.2013 bzw. in der neuen Fassung vom 20.12.2015. Aus ihm ergibt sich in beiden Fassungen zwar keine eigenständige Sperrminorität des Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2015 – B 12 KR 13/14 R -), allerdings rundet er, wie auch die zuvor genannten Merkmale, das Gesamtbild ab.

Den tatsächlich bei der Beigeladenen geübten Verfahrensweisen, etwa der vom Kläger glaubhaft geschilderten und seitens der beigeladenen unwidersprochenen Übernahme des Personalbereiches für sämtliche Geschäftsbereiche durch den Kläger, welche aber weder im Gesellschaftsvertrag noch im Geschäftsführervertrag begründet sind, kommt aufgrund der ständigen Möglichkeit der Änderung dieser Gepflogenheiten kein tragendes Gewicht zur Annahme der Selbstständigkeit zu. Sie stehen dieser Annahme aber selbstredend auch nicht entgegen.

Erhebliche oder gar durchgreifende Anhaltspunkte für die Einstufung der Tätigkeit des Klägers als abhängige Beschäftigung sind neben dem vorgesagten nicht ersichtlich und auch seitens der Beklagten nicht dargetan.

Schlagworte: Beherrschender Einfluss auf die Entscheidungen der GmbH auf Grund der Beteiligung am Stammkapital?, Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls, Die sozialversicherungsrechtliche Stellung des Geschäftsführers einer GmbH, Entscheidenden Kriterien für die Abgrenzung der sozialversicherungsfreien von der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung, Gesellschafter-Geschäftsführer, Schließt allein die Organstellung des Geschäftsführers das Vorliegen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses aus?