Aktiengesellschaft I Voraussetzungen für das Absehen von der Ausschüttung der gesetzlichen Mindestdividende I Notwendigkeit einer Gewinnthesaurierung
1. Die als Voraussetzung für das Absehen von der Ausschüttung der Mindestdividende in § 254 Abs. 1 AktG geregelte Notwendigkeit der Gewinnthesaurierung zur Erhaltung der „Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft“ ist nicht auf eine statische und vergangenheitsbezogene Betrachtung und auf die absolute Substanzerhaltung beschränkt. Es ist vielmehr eine Planung des Unternehmens für einen übersehbaren Zeitraum zugrunde zu legen.
2. Eine schematische Festlegung des Gerichts auf einen bestimmten Planungszeitraum als Mindestanforderung verbietet sich bei der Anwendung des § 254 Abs. 1 AktG. Der längstmögliche Betrachtungszeitraum ist durch den individuellen Planungshorizont des jeweiligen Unternehmens begrenzt. Wenn jedoch bereits bei Betrachtung eines kurzen in der Zukunft liegenden Zeitraums deutlich wird, dass es bei Ausschüttung der Mindestdividende zur Illiquidität des Unternehmens käme, bedarf es keiner Ausführungen zur weitergehenden Planung des Unternehmens bis zum Planungshorizont.
3. Wird ein Gewinnverwendungsbeschluss einer AG angefochten, weil zu Unrecht die gesetzliche Mindestdividende gem. § 254 Abs. 1 AktG nicht ausgeschüttet worden sei, obwohl dies möglich gewesen sei, so muss bei der gerichtlichen Beschlusskontrolle berücksichtigt werden, dass der Mehrheitsentscheidung (und dem i.d.R. vorliegenden Verwaltungsvorschlag dazu) prognostische Elemente immanent sind. Beurteilungsgrundlage kann sowohl unter Verschuldungs- oder Liquiditätsgesichtspunkten nur eine unternehmerische Planungsrechnung sein, die – wie in Spruchverfahren – nur einer eingeschränkten gerichtlichen Prüfung unterliegt.
4. Maßgeblich für die Prognose und für die Rechtfertigung des Absehens von der Ausschüttung selbst der gesetzlichen Mindestdividende (§ 254 Abs. 1 AktG) ist der Erkenntnisstand zum Zeitpunkt des Gewinnverwendungsbeschlusses der Hauptversammlung. Die in Spruchverfahren entwickelten Grundsätze der „Wurzeltheorie“ können auch hier angewendet werden.
5. Die Nichtausschüttung der Mindestdividende begründet nicht automatisch die Pflicht zur Kürzung der Vorstandsbezüge. Eine unterbliebene Kürzung der Vorstandsbezüge, die unter den abweichenden Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 AktG möglich ist, lässt auch nicht darauf schließen, dass die Ausschüttung der gesetzlichen Mindestdividende i.S.d. § 254 Abs. 1 AktG ohne Weiteres möglich gewesen wäre (Abgrenzung LG Frankfurt, 15. Dezember 2016, 3-05 O 154/16, Rn. 90, juris).
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