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Thüringer OLG, Urteil vom 09.09.2015 – 2 U 219/15

GmbHG § 46; BGB §§ 823, 1004; ZPO §§ 935, 940

1. Die Rechtshängigkeit wirkt nicht im Verhältnis zwischen dem Eilverfahren und dem Hauptsacheverfahren, da unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen. Während der Streitgegenstand des einstweiligen Rechtsschutzes der Anspruch auf Sicherung eines Individualanspruches ist, liegt dem Hauptsacheverfahren der zu sichernde Anspruch selbst als Streitgegenstand zu Grunde. Deswegen sind im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsschutzziele und Wirkungen beide Verfahren nebeneinander zulässig (Zöller-Stöber/Vollkommer, ZPO, 30. Auflage, vor § 916 ZPO, Rn. 5, 1 b;Zöller-Greger, aaO, § 261 ZPO, Rn. 2).

2. Aus diesem Grunde stünde selbst eine etwaige Rechtskraft in jenem Verfahren nicht der Zulässigkeit der Eilanträge entgegen. Anknüpfungspunkt für die objektiven Grenzen der Rechtskraft sind weder Tatsachen noch Rechtsfragen noch Rechtsverhältnisse, sondern ausschließlich der Streitgegenstand, über den im ersten Prozess tatsächlich entschieden wurde (Zöller-Vollkommer, aaO, vor § 322 ZPO, Rn. 19, 35).

3. Die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung zur Regelung des Zwischenzustandes bei einem Streit um die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis zur Sicherung der Ansprüche und des Vermögens der Gesellschaft ist in der Rechtsprechung als angemessenes Mittel anerkannt worden (OLG HammBitte wählen Sie ein Schlagwort:
OLG
OLG Hamm
, Urteil vom 10. November 1976, 8 U 44/75, BB 1977, 765).

4. Sie ist auch zur einstweiligen Regelung des Rechtsverhältnisses in gesellschaftsrechtlichen Abberufungskonflikten anerkannt worden (Baumbach/Hueck-Zöllner/Noack, GmbH-Gesetz, 20. Auflage, § 38 GmbH-Gesetz, Rn. 58, 69,75; BGH, Urteil vom 11. Juli 1960, II ZR 260/59, BGHZ 33,105; OLG Stuttgart, Urteil vom 26. Oktober 2005, 14 U 50/05, GmbHR 2006, 1258).

5. Die einstweilige Regelung kann auch die Untersagung der Ausübung von Geschäftsführerbefugnissen umfassen (KG, Urteil vom 11. August 2011, 23 U 114/11, zitiert nach juris, Rn. 16; BGH, Urteil vom 20. Dezember 1982, II ZR 110/82, zitiert nach juris, Rn. 14).

6. Die begehrte Untersagung der Wahrnehmung der Geschäftsführung stellt inhaltlich einen Fall der Leistungsverfügung dar, da der Verfügungsanspruch vorläufig befriedigt werden soll. Die Unterlassungsverfügung dient insoweit bereits der Durchsetzung des Anspruches (hierzu: Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Auflage, § 938 ZPO, Rn.N 3; § 940 ZPO, Rn. 1; OLG Stuttgart, Urteil vom 26. Oktober 2005, 15 U 50/05, GmbHR 2006,1258), so dass für den Erlass der Regelungsverfügung gewichtige Umstände zu verlangen sind.

7. In allen Fällen des einstweiligen Rechtsschutzes zählt zu dessen Voraussetzungen ein Verfügungsanspruch im Sinne einer materiellen Rechtsposition.

8. Bei der begehrten Untersagung der Wahrnehmung der Geschäftsführung handelt sich um einen quasinegatorischen Anspruch der Gesellschaft selbst auf Unterlassung von Eingriffen in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Zu dem gemäß § 823 Abs. 1 BGB geschützten eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gehört alles, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert eines Betriebes ausmacht, insbesondere Bestand, Erscheinungsformen, Tätigkeitskreis, Kundenstamm und Organisationsstruktur.

9. Daher gehört zu den für den Wert des Betriebs mitbestimmenden Umständen auch die Verteilung und die Art der Ausübung der Geschäftsführerbefugnisse, da durch diese der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens maßgeblich bestimmt wird. Gemäß §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB geschützt ist der Gewerbebetrieb gegen betriebsbezogene, also unmittelbare Beeinträchtigungen des Gewerbebetriebes als solchen.

10. Ein solcher unmittelbarer Eingriff liegt jedenfalls dann vor, wenn eine nicht oder nicht wirksam als Geschäftsführer bestellte Person sich als Geschäftsführer geriert, indem sie sich ins Handelsregister eintragen lässt und im Rechtsverkehr für die Gesellschaft auftritt. Denn hierdurch werden sowohl der Wert als auch die geschäftlichen Aktivitäten der Gesellschaft unmittelbar tangiert. Dies kann negative Auswirkungen haben, etwa das Vertrauen der Kunden erschüttern oder über Rechtsscheinsgrundsätze zu einer Haftung der Gesellschaft für eingegangene Verbindlichkeiten führen. Daher muss eine Gesellschaft grundsätzlich die Möglichkeit haben, das diesbezügliche Verhalten eines Scheingeschäftsführers im Wege der einstweiligen Verfügung zu unterbinden (Saarländisches OLG, Urteil vom 9. Mai 2006, 4 U 338/05, zitiert nach juris, Rn. 58-61, mit weiteren Nachweisen).

11. Daneben kann der Anspruch auch auf die zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern bestehende gesellschaftsrechtliche TreuepflichtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Treuepflicht
gestützt werden (vgl. a. Lutz, Einstweiliger Rechtsschutz bei Gesellschafterstreit in der GmbH, BB 2000, 833, 834) deren Inhalt es ist, als Mitglied der Gesellschaft deren Interessen zu wahren, sie insbesondere nicht durch schädigendes Verhalten zu beeinträchtigen und sie gegebenenfalls aktiv zu fördern. Die Treuepflicht bildet damit eine allgemeine Verhaltensregel gegenüber der Gesellschaft für die Ausübung von Rechten und sonstigen Befugnissen wie auch für die tatsächliche Einflussnahme innerhalb des Gesellschaftsverhältnisses (hierzu: Baumbach/Hueck-Fastrich, aaO, § 13 GmbH-Gesetz, Rn. 21).

12. Der Streit um die Rechtsmacht der Person, die sich als Geschäftsführer geriert, betrifft den Bestand des organschaftlichen Rechtsverhältnisses zwischen der Gesellschaft und jener Person (OLG BraunschweigBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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OLG Braunschweig
, Urteil vom 9. September 2009, 3 U 41/09, zitiert nach juris, Rn. 3), so dass grundsätzlich die Gesellschaft und die als Geschäftsführer auftretende Person die richtigen Parteien des Rechtsstreites sind (KG, Urteil vom 11. August 2011, 23 U 114/11, zitiert nach juris, Rn. 10).

13. Die Durchsetzung der beantragten einstweiligen Verfügung als Individualanspruch eines Gesellschafters der Gesellschafter würde voraussetzen, dass zwischen den Parteien unmittelbare Rechtsbeziehungen bestehen, gegen die der als Geschäftsführer auftretende Person durch ihr Auftreten als Geschäftsführer der Gesellschaft verstoßen hat (hierzu: BGH, Urteil vom 28. Juni 1982, II ZR 199/81, zitiert nach juris, Rn. 6).

14. Zumeist begründet der Gesellschaftsvertrag in Bezug auf die Geschäftsführung nur korporative Regelungen und kein individuelles Recht. Die Regelung hat in der Regel lediglich körperschaftsrechtlichen, nicht aber individualrechtlichen Charakter, weil sie sich an einen unbegrenzten Personenkreis richtet und sowohl für gegenwärtige und künftige Gesellschafter als auch für Gläubiger der Gesellschaft von Bedeutung ist. Der körperschaftliche Charakter gesellschaftsvertraglicher Regelungen über die Besetzung und die Kompetenzen der Gesellschaftsorgane ist in der Rechtsprechung des BGH anerkannt.

15. Zwar besteht die gesellschaftsrechtliche TreuepflichtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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nicht nur im Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern, sondern gebietet auch, auf die mitgliedschaftlichen Interessen der Mitgesellschafter Rücksicht zu nehmen; zusammenfassend häufig als allgemeine Loyalitäts- und Treuepflicht umschrieben. Solchermaßen bildet sie eine allgemeine Verhaltensregel auch gegenüber den Mitgesellschaftern (Baumbach/Hueck-Fastrich, aaO, § 13 GmbH-Gesetz, Rn. 21, 22).

16. Im Rahmen einer GmbH vermittelt die gesellschaftsrechtliche TreuepflichtBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Treuepflicht
aber nicht in jedem Fall ein individuell durch den einzelnen Gesellschafter durchzusetzendes Recht. Unter welchen besonderen Voraussetzungen eine Treuepflichtverletzung einen unmittelbaren Anspruch des betroffenen Gesellschafters begründen kann, hängt davon ab, welche satzungsmäßigen Zwecke die GmbH verfolgt, wie sie gesellschaftsintern gestaltet ist und welchen Umfang die Mitgliedschaft hat, außerdem aber auch, ob bereits die gesetzlichen und satzungsmäßigen Regelungen den benachteiligten Mitgliedern ausreichenden Rechtsschutz gewähren und den aus einer Treuepflichtverletzung abgeleiteten Ansprüchen vorgehen (BGH, Urteil vom 5. Juni 1975, II ZR 23/74, zitiert nach juris, Rn. 11). Decken sich die möglichen Ansprüche des Gesellschafters mit denjenigen der Gesellschaft, obliegt es in erster Linie der Gesellschaft, ihre Ansprüche geltend zu machen (vgl. a. BGH, Urteil vom 14.05.1990, II ZR 125/89, zitiert nach juris, Rn. 9).

17. Daneben kommt die Geltendmachung von Ansprüchen aus eigenem Recht und im eigenen Namen des Mitgesellschafters im Wege der actio pro socio in Betracht (vgl. Henze/Born, GmbH-Recht, Höchstrichterliche Rechtsprechung, 2012, Rn. 945), jedenfalls dann, wenn – wie hier – ein Gesellschafter in Anspruch genommen wird (vgl. Baumbach/Hueck-Fastrich, aaO, § 13 GmbH-Gesetz, Rn. 38).

18. Gegenüber einer Gesellschafterklage besteht ein grundsätzlicher Vorrang der inneren Zuständigkeitsordnung der GesellschaftBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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Vorrang der inneren Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft
(BGH, Urteil vom 29. November 2004, II ZR 14/03, zitiert nach juris, Rn. 7). Dass dieser Vorrang entfällt, setzt voraus, dass eine Klage der Gesellschaft undurchführbar, durch den Schädiger selbst vereitelt worden oder infolge der Machtverhältnisse in der Gesellschaft so erschwert ist, dass es für den betroffenen Gesellschafter ein unzumutbarer Umweg wäre, müsste er die Gesellschaft erst zu einer Klage zwingen (BGH, aaO).

19. Jedenfalls für das einstweilige Verfügungsverfahren ist daher die Handlungsunfähigkeit oder Handlungsunwilligkeit der Gesellschaft für eine Übergangszeit als gegeben anzusehen und der antragstellende Gesellschafter nicht auf die Herbeiführung einer Beschlussfassung nach § 46 Nummer 8 GmbH-Gesetz zu verweisen (Baumbach/Hueck-Zöller/Noack, aaO, § 38 GmbHG, Rn. 73; Lutter-Kleindieck, GmbHG, 18. A., § 38 GmbHG, Rn. 27, 36).

20. Klagt ein Gesellschafter-Geschäftsführer gegen die Gesellschaft, ist er nicht zur Vertretung der beklagten Gesellschaft befugt (Baumbach/Hueck-Zöllner, aaO, Anhang § 47 GmbHG Rn. 165).

21. Die Abberufung aus wichtigem Grunde erfordert, dass der Verbleib des Geschäftsführers in der Organstellung für die Gesellschaft unzumutbar geworden ist (Baumbach/Hueck-Zöllner/Noack, aaO, § 38 GmbHG, Rn. 12). Ein wichtiger Grund kann vorliegen, wenn eine die Erfüllung der Geschäftsführeraufgaben gefährdende Unordnung in den wirtschaftlichen Verhältnissen des Geschäftsführers eintritt (aaO, Rn. 14).

22. Zur Beurteilung der Umstände, die zur Zeit der Beschlussfassung bereits vorgelegen haben, können ergänzend auch Sachverhalte herangezogen werden, die zeitlich nach der Fassung des Abberufungsbeschlusses liegen (Baumbach/Hueck-Zöllner/Noack, aaO, § 38 GmbHG, Rn. 18).

23. Dringlichkeit ist gegeben, wenn glaubhaft gemacht wird, dass die sich als Geschäftsführer gerierende Person weiterhin als Geschäftsführer der GmbH auftritt und Rechtsgeschäfte tätigt, die die Gesellschaft grundlegend tangieren.

24. Das Tätigkeitsverbot kann sich bei einer GmbH & Co. KGBitte wählen Sie ein Schlagwort:
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GmbH & Co. KG
GmbH & Co. KG
KG
auch auf die KG beziehen. Die GmbH ist die persönliche Gesellschafterin der KG und deren Geschäftsführerin, sodass die als Geschäftsführer der GmbH auftretende Person im Rechtsverkehr daher letztlich als Vertreter der KG auftritt.

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